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Blick in den Himmel. Das Teleskop Bicep2 an der amerikanischen Südpolstation. Hier meinten Forscher, Spuren aus der Zeit unmittelbar nach dem Urknall gefunden zu haben.

© picture alliance / dpa

Vermeintlicher Durchbruch von Bicep2: Am Ende bleiben nur Scherben

Doch keine Spur von der kosmischen Inflation, sondern nur Staub. Vorschnell verkündete Sensationen, wie die der Bicep2-Forscher, schaden der Wissenschaft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Nestler

Touristen an historischen Stätten zeigen oft ein merkwürdiges Verhalten. Ob am Kölner Dom, den Pyramiden von Gizeh oder in Stonehenge – die Säulen und Wände werden betatscht. Als ließe sich dadurch das Alter von Jahrhunderten und Jahrtausenden besser begreifen. Wir können nicht anders, es ist zutiefst menschlich, alten Dingen einen besonderen Wert beizumessen. So durchfährt den Archäologen, der eine 40 000 Jahre alte Flöte aus Tierknochen berührt, ebenso ein Schauer wie die Paläontologin, die einen Hai mit 400 Millionen Jahren auf dem versteinerten Buckel freigelegt hat.

Kein Mensch hatte so weit in die Vergangenheit geblickt

All das ist nichts im Vergleich zu dem, was John Kovac und seine Kollegen vor einem Jahr vor sich hatten: eine Grafik mit kleinen schwarzen Balken, die zusammengenommen Strudel bilden, wie man sie vom Wannenabfluss kennt. Sie basierte auf Messungen eines Teleskops, mit dem die Physiker – wie sie meinten – Signale aufgefangen hatten, die unmittelbar nach dem Urknall entstanden waren. Vor unvorstellbaren 13,82 Milliarden Jahren. Kein Mensch hatte jemals etwas so Altes gesehen und kein Mensch würde so schnell etwas noch Älteres zu Gesicht bekommen.

Die Euphorie der Forscher muss enorm gewesen sein. Es war nicht nur das schiere Alter. Ihre Daten schienen zu belegen, dass es die „kosmische Inflation“ wirklich gab. So bezeichnen Astrophysiker eine ziemlich abgefahrene Idee: Das junge Universum wuchs für einen kurzen Moment mit so unglaublichem Tempo, dass der Begriff Explosion nicht annähernd beschreiben kann, was damals abging. Die Inflationstheorie wurde vor rund 30 Jahren ersonnen, um die Formeln vom Werden des Universums irgendwie mit der Realität in Einklang zu bringen. Mittlerweile ist sie leidlich anerkannt. Der Beweis wäre ein Knaller vom Kaliber eines Higgs-Teilchens, dessen Existenz 2012 belegt wurde.

Umgehend wurde vom Nobelpreis gesprochen

Nobelpreis!, riefen manche gleich, als Kovacs Team im März seine Entdeckung verkündete. Aber nicht, wie üblich, nach eingehender Prüfung durch Kollegen und in einem Fachjournal, sondern zuerst vor den Kameras und Diktiergeräten aus aller Welt.

Bald meldeten Forscher, die nicht beteiligt waren, Zweifel an. Erst recht, als die Messungen des Teleskops „Bicep2“ Monate später publiziert wurden. Es hatte die kosmische Hintergrundstrahlung aufgezeichnet und darin besagte Muster gefunden, die ihren Ursprung laut Theorie direkt nach dem Urknall gehabt haben könnten.

Die Muster können aber ebenso durch die Strahlung des Staubs in der Milchstraße entstehen. Und genau so war es auch, wie neue Daten des Satelliten „Planck“ zeigen, der ebenfalls die Hintergrundstrahlung misst. Vor wenigen Tagen gaben Kovac und Kollegen, die lange auf ihrer Entdeckung beharrten, schließlich ihren Irrtum zu.

Überlichtschnelle Neutrinos und arsenfressende Bakterien

Immer wieder kommt es vor, dass vermeintliche Sensationen in der Wissenschaft in sich zusammenfallen. Erinnert sei an überlichtschnelle Neutrinos, fossile Marsbakterien auf einem Meteoriten namens ALH 84001 oder Mikroben in einem kalifornischen See, die von Arsen lebten. Die genaue Prüfung zeigte in allen Fällen, dass nichts dran war.

Das ist die gute Nachricht: Das System der Begutachtung durch unbeteiligte Forscher kann viele Fehlschlüsse enttarnen. Das ist für den Einzelnen, der vor dem Scherbenhaufen seines vermeintlichen Durchbruchs steht, brutal. Doch nur so kommt Wissenschaft voran, wächst Erkenntnis wirklich.

Entscheidend ist aber, dass zuerst geprüft und dann veröffentlicht wird. Das haben die Neutrino- wie die Bicep-Leute missachtet und so doppelten Schaden angerichtet. Sie haben sich selbst in Misskredit gebracht und ihre Zunft. Noch ist die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft hoch. Je häufiger Sensationen verkündet werden, die sich später als Ente erweisen, umso mehr sinkt das Vertrauen. Und damit die Bereitschaft, öffentliches Geld dafür auszugeben.

Die Jagd nach den uralten Spuren der Inflation geht längst weiter

Die Gefahr ist größer denn je. Zunehmend wird die Qualität einer Forschergruppe auch daran bemessen, wie präsent sie in den Medien ist. Der Ruhm des Ersten ist verlockend, da bilden Wissenschaftler keine Ausnahme. Auf der anderen Seite müssen auch Journalisten ihre Standards wahren: kritisch nachhaken, unabhängige Experten befragen und Unsicherheiten klar benennen.

Ob das funktioniert, werden die Teams zeigen, die derzeit weiter nach den uralten Spuren der Inflation suchen. Mittlerweile sind schon drei Teleskope im Rennen.

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