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Viadrina Frankfurt: Aufbruch an der Oder

Neue Studiengänge, mehr Geld: Als renommierte Stiftungsuni will die Viadrina in Frankfurt ihr Profil stärken.

Die Viadrina ist so klein, dass sie an einer Berliner Universität nur den Umfang einer großen Fakultät hätte. Mit knapp 70 Professoren und 5199 Studenten ist sie sehr überschaubar. Bei nur 80 Kilometer Entfernung würde die Viadrina an der Nähe zu Berlin ersticken, wenn sie kein Alleinstellungsmerkmal hätte. Statt ihr Leben auszuhauchen, will die kleine Uni in Frankfurt an der Oder jetzt richtig loslegen. Neue internationale Studiengänge sollen Studenten anlocken, die von Wissenschaftlern aus Frankreich, Großbritannien, den USA, Polen und Deutschland unterrichtet werden.

Nach der Aufbauarbeit unter Hans Weiler gibt es an der Viadrina drei Fakultäten für Jura, Wirtschaft und Kulturwissenschaften. Aber gemessen an ihren internationalen Aufgaben ist die Viadrina unterfinanziert. Daher hat Gesine Schwan seit der Übernahme des Präsidentenamtes im Jahr 1999 das Ziel verfolgt, die Viadrina in eine internationale Stiftungsuniversität zu verwandeln. Bis jetzt war die Viadrina eine brandenburgische Landesuniversität mit dem bescheidenen Etat von 20 Millionen Euro jährlich. Wenn Gesine Schwan Ende September aus dem Amt scheidet, soll ihr Nachfolger wenigstens über 24 bis 25 Millionen jährlich verfügen. Alles, was darüber hinausgeht, müsste der künftige Präsident aus der Wirtschaft oder von Privatpersonen einwerben, die etwa die Viadrina in ihren Testamenten fördern wollen.

Seit dem ersten März ist die Viadrina nun Stiftungsuni und nimmt eine Sonderrolle ein, die weit über eine Brandenburger Landesuniversität hinausreicht. Die Chance dazu verdankt die Viadrina ihrer Grenzlage zu Polen und ihrer Partnerschaft mit dem Collegium Polonicum in Slubice am östlichen Ufer der Oder. Als 2001 das Collegium Polonicum als Außenstelle der Adam-Mickiewicz-Universität Posen eröffnet wurde, hatte Gesine Schwan ein wichtiges Etappenziel erreicht: Ihre Uni hatte ein einzigartiges Profil in Deutschland. Dazu sollte eine starke Verankerung in Europa kommen: Nicht zweisprachige Studiengänge, sondern dreisprachige mussten her.

Leitgedanke war: Die kurz nach der Wende geborene Idee des „Weimarer Dreiecks“ sollte sich in einer Stiftungsuniversität spiegeln. Das „Weimarer Dreieck“ beruhte auf der engen Kooperation von Polen, Deutschland und Frankreich. Aber Frankreich spielte als Mitträger bei der Stiftungsuniversität nicht mit. Auch Polen zuckte zurück – jedenfalls solange die Brüder Kaczynski das Sagen hatten.

Die jetzt ins Leben gerufene Stiftungsuniversität beruht auf zwei Stiftungen: einer brandenburgischen Stiftung öffentlichen Rechts, über die jährlich 20 Millionen Euro an die Viadrina fließen. Dieses Geld entspricht den bisherigen Landeszuschüssen, die Stiftung übernimmt die staatlichen Aufgaben (siehe Kasten). Dazu kommt eine vom Bund und Polen getragenen Stiftung für deutsch-polnische und internationale Projekte mit einem Kapitalstock von 50 Millionen Euro. Die Polen haben sich vertraglich verpflichtet, fünf Millionen Euro zuzugeben. Unter der Regierung der Kaczynski-Brüder wurde diese Dotation auf eine lange Bank geschoben. Erst jetzt, nach dem Regierungswechsel, ist mit in die Länge gezogenen Jahresraten zu rechnen. Frankreichs Beitrag beschränkt sich auf die Bereitstellung von zwei Professuren, die als Gäste nach Frankfurt kommen.

Man soll sich durch die Zahlenspiele nicht täuschen lassen. Bestenfalls zwei Millionen Euro pro Jahr sind für die Viadrina als Zinserträge von einer Kapitaleinlage in Höhe von über 50 Millionen Euro zu erwarten. Die Viadrina hat nämlich keinen alleinigen Zugriff auf die deutsch-polnische Stiftung, die dem Brückenbau von Ost nach West und der Völkerverständigung dienen soll. Daran könnten sich mehrere Universitäten beteiligen. Die Viadrina hat allerdings einen Vorteil: Nach dem Stiftungsauftrag sollen „insbesondere Anträge aus dem deutsch-polnischen Grenzgebiet“ gefördert werden.

Wohl aber kann das Collegium Polonicum Gelder aus dieser Stiftung beantragen. Der Verwaltungsleiter des Collegium Polonicum, Krzysztof Wojciechowski, hofft auf die Anschubfinanzierung für Lehrpersonal, um neue Studiengänge ins Leben zu rufen. Nach zwei Jahren Anschubfinanzierung könnte dann die Universität Posen die endgültige Finanzierung übernehmen.

Der leidenschaftliche Vorkämpfer für die deutsch-polnische Zusammenarbeit hat mit der Viadrina auch schon abgesprochen, für welche Studiengänge das Geld verwendet werden soll: Das Collegium Polonicum möchte eine Germanistikausbildung aufbauen. Die kulturwissenschaftliche Fakultät an der Viadrina kennt nämlich keine Germanistik, weil sie nicht nach dem Muster einer klassischen Philosophischen Fakultät errichtet worden ist. In Polen dagegen kann man nur Deutschlehrer werden, wenn man ein Germanistikstudium absolviert hat. Mit der Kulturwissenschaft als Grundlage können polnische Gymnasien wenig anfangen, selbst wenn die so Qualifizierten perfekt Deutsch und Polnisch sprechen.

Diese Erweiterung des Fächerangebots ist dringend. Denn der Zustrom polnischer Studenten läuft seit 2004 nicht mehr so ungebrochen wie vorher. Bis dahin war die Viadrina das Tor zu Deutschland, die Pforte zum Westen und zur EU. Seit der Mitgliedschaft Polens in der EU wollen die jungen Polen lieber in Großbritannien, Irland, den USA oder Spanien studieren. Der feste Block von einem Drittel der Studenten aus Polen schmilzt, derzeit kommen von 5199 Studenten der Viadrina nur noch 1053 aus Polen.

Wojciechowski führt auch noch andere Gründe für dieses Abbröckeln an: In den 1990er Jahren verließen in Polen starke Jahrgänge die Schulen. Von 37 Millionen Polen studierten 1,8 Millionen. Ein Vergleich mit Deutschland verdeutlicht die Dramatik: In Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern studierten damals auch 1,8 Millionen. Heute haben schwache Jahrgänge den Studentenboom abgelöst. Statt früher 40 Prozent eines Jahrgangs in Polen studieren nur noch 24 Prozent. Die Folgen bekommt die Viadrina ebenso zu spüren wie das Collegium Polonicum. Am Collegium ist die Studentenzahl innerhalb von drei Jahren von 2100 auf 1750 Studenten zurückgegangen. Zudem hat die Attraktion der Betriebswirtschaft abgenommen. Früher gingen viele Polen an die Viadrina, um nach dem Ende der Planwirtschaft modernes Management zu lernen. Heute bevorzugen sie diverse Angebote in Business Administration, die in Polen für Gebühren angeboten werden.

Dennoch verstehen sich deutsche und polnische Jugendliche heute besser. Das sagt nicht nur Wojciechowski, das berichten auch polnische Studenten. Wojciechowski bringt die deutsch-polnischen Studentenbeziehungen auf den Punkt: „Wir haben keine Konflikte mehr, aber Deutsche und Polen fallen sich auch nicht zu einem vierjährigen Kuss in die Arme.“

Tomasz Freier kommt aus Schlesien und ist in einer deutsch-polnischen Umgebung aufgewachsen. Er studiert deutsches und polnisches Recht. Die Absolventen dieses Studiengangs sind in deutschen und polnischen Unternehmen, Anwaltskanzleien und in der EU in Brüssel gefragt. Deutsches Recht mit dem intensiven Training von Fällen wird hier in einem Bachelor- und Masterstudium mit polnischer dogmatisch orientierter Rechtslehre verbunden.

Innovative Studiengänge zeugen von der Qualität der Lehre. Gäbe es einen Wettbewerb um gute Lehre, dann würde die Viadrina hervorragend abschneiden. Davon ist zumindest Stephan Kudert, Professor für betriebswirtschaftliche Steuerlehre, überzeugt. Bei der Umstellung auf Bachelor und Master seien die Lehrinhalte völlig neu konzipiert worden. Die klassische Einteilung in Vorlesungen, Seminare und Übungen sei aufgegeben und durch Fallstudien und Praxisprojekte ersetzt worden. Im Masterstudium hätten die Studenten die Wahl, nach drei Semestern in einem Freisemester entweder die Forschung kennen zu lernen oder in Praxisprojekten zu trainieren. Die Berufschancen seien gut: „Ich kenne keinen einzigen Studenten, der nicht schon ein halbes Jahr vor dem Ende des Studiums seinen Arbeitsvertrag in der Tasche hat.“

Uwe Schlicht

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