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Die Gen-Schere "CRISPR/Cas9" (grün) kann das Erbgutmolekül DNA (weiß) gezielt verändern.

© Promo/Visual-Science.com and Scoltech

Vom Interessenvertreter zum Experten: Genome Editing und die Schere im Kopf

Sind Eingriffe ins Erbgut mit neuen Gentechniken riskant? Mit der Beantwortung dieser Frage beauftragt der Staat ausgerechnet einen Anti-Gentechnik-Aktivisten.

Es ist ohne Zweifel eine mächtige Methode: Das „Genome Editing“, ein Strauß neuer Techniken zur Erbgutveränderung bei Menschen, Tieren und Pflanzen, revolutioniert derzeit nicht nur die medizinische Forschung, sondern beschleunigt auch das Züchten neuer Pflanzensorten und Nutztiere. Während die Verfahren außerhalb Europas bereits eingesetzt werden, wird in der EU noch heftig diskutiert: Ob das Verändern der Gene ungewollte Nebenwirkungen hat. Ob ökologische oder gesundheitliche Risiken für heimische Pflanzen- und Tierarten oder  Menschen bestehen. Und ob genom-editierte Organismen genauso streng reguliert werden müssen wie jene, die mit alten Gentechnikmethoden hergestellt werden.

Hausherr im "Clearing House": Ein Aktivist

Groß ist also der Bedarf an wissenschaftlicher Expertise zur Einordnung eventueller Risiken. Es überrascht demnach nicht, dass das Bundesumweltministerium 203.580 Euro für eine „Fachstelle für Gentechnik und Umwelt“ am Bundesamt für Naturschutz (BfN) ausgibt. Verwunderung herrscht allerdings über die Auswahl der Institution, die diese Fachstelle bis Februar 2020 betreiben soll. Statt anerkannter, unabhängiger Experten mit Kenntnissen zum „Genome Editing“ beauftragte das Bundesamt den eingetragenen Verein „Testbiotech“ – gegründet und geleitet vom Ex-Greenpeace-Mitarbeiter und Anti-Gentechnik-Aktivisten Christoph Then.

Christoph Then (56) beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Fragen der Gen- und Biotechnologie. Der promovierte Tierarzt war Mitarbeiter der Grünen und leitete bis Ende 2007 die Anti-Gentechnik-Kampagne von Greenpeace Deutschland, bevor er den Verein „Testbiotech e.V.“ gründete, dessen Geschäftsführer er seitdem ist. Die „Folgenabschätzung“, die „Testbiotech“ betreiben will, bezieht sich aber mittlerweile kaum noch auf die Gentechnik der ersten Generation, bei der noch zusätzliche Erbgutstücke ins Genom eingebracht werden mussten. Inzwischen können Forscher mit molekularen Gen-Scheren (etwa CRISPR/Cas9) direkt im Buch des Lebens redigieren, also die Buchstabenfolge des Gencodes wie gewünscht anpassen.
Christoph Then (56) beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Fragen der Gen- und Biotechnologie. Der promovierte Tierarzt war Mitarbeiter der Grünen und leitete bis Ende 2007 die Anti-Gentechnik-Kampagne von Greenpeace Deutschland, bevor er den Verein „Testbiotech e.V.“ gründete, dessen Geschäftsführer er seitdem ist. Die „Folgenabschätzung“, die „Testbiotech“ betreiben will, bezieht sich aber mittlerweile kaum noch auf die Gentechnik der ersten Generation, bei der noch zusätzliche Erbgutstücke ins Genom eingebracht werden mussten. Inzwischen können Forscher mit molekularen Gen-Scheren (etwa CRISPR/Cas9) direkt im Buch des Lebens redigieren, also die Buchstabenfolge des Gencodes wie gewünscht anpassen.

© privat

Kann eine „Fachstelle“ zu einem unabhängigen Urteil kommen und – so das offizielle Ziel – als „Clearing-House“ fungieren, wenn sie von einem erklärten Gentechnik-Gegner geführt wird?

Beirat voller Gegner

Zweifel sind angebracht, da auch im Beirat der Fachstelle ausschließlich Organisationen vertreten sind, die der Gentechnik kritisch gegenüberstehen. Es handelt sich um das Gen-ethische Netzwerk, den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland oder die Organisation Save our Seeds. In einem gemeinsamen Aufruf an die Politik forderten diese Vereine kürzlich „alle Verfahren, die unter Begriffen wie ‚Genome-Editing', ‚zielgerichtete Mutagenese', ‚neuere Mutagenese-Verfahren' etc. firmieren“ als Gentechnik zu regulieren.

Fragwürdig ist die Besetzung der Fachstelle auch deshalb, weil die Ergebnisse am Ende in Form von „Factsheets“ dem öffentlichen Diskurs zur Verfügung gestellt werden sollen. Fakten also, die von voreingenommener Stelle erarbeitet wurden, am Ende aber den Stempel des Bundesumweltministeriums tragen werden. Werden im Namen des Staates am Ende alternative Fakten verbreitet? Das Bundesamt für Naturschutz zweifelt auf Nachfrage nicht daran, dass die Fachstelle in „wissenschaftlich korrekter Weise“ arbeiten werde, erklärt aber, dies zu überprüfen.

Forschung ohne Labor

Das Umweltministerium ist nicht die einzige Bundesbehörde, die den Verein „Testbiotech“ in den Stand des wissenschaftlichen Expertentums erhebt. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung kofinanziert „Testbiotech“ für zwei Jahre mit mehr als 73.000 Euro im Rahmen des Projekts „Forschung für Nachhaltige Entwicklung". Dafür soll der Verein, der gar kein Labor betreibt, „ökologische Gefährdungsdimensionen“ der neuen Gentechniken „erforschen“.

Forschungsorganisationen halten diese Entwicklung für bedenklich. Zwar seien Projekte, die die öffentliche Diskussion über Gentechnologie befördern, zunächst einmal begrüßenswert, sagt Jörg Hacker, Präsident der Leopoldina, die seit nunmehr zehn Jahren alle Wissenschaftsakademien Deutschlands repräsentiert. Eine wissenschaftliche Politikberatung könne aber nur dann als unabhängig gelten, wenn sie „ergebnisoffen und wissenschaftsbasiert erfolgt und mögliche Partikularinteressen offengelegt werden“, betont Hacker. „Mögliche Interessenkonflikte, die eine beratende Institution offenlegen muss, können dabei übrigens nicht nur wirtschaftlichen oder monetären Interessen entspringen, sondern können sich auch aus einer bestimmten Weltanschauung ergeben.“

Haben die beiden Ministerien diesen Unterschied zwischen Weltanschauung und sachorientierten Fakten aus den Augen verloren, als sie gutachterliche Aufgaben an einen Verein übertrugen, der wirtschaftlich von seiner oppositionellen Haltung zur Gentechnik abhängt?

Wissenschaftliche Publikationen als Kriterium für Expertentum

Tatsächlich ist es keine triviale Frage, wann eine Organisation oder ein Gutachter unabhängig und kompetent genug ist, zu einem Sachverhalt wissenschaftlich fundierte Fakten für eine demokratische Debatte zusammenzutragen. Die Leopoldina habe daher „klare Kriterien bei der Auswahl von Expertinnen und Experten“, sagt Hacker. Wissenschaftler müssten anerkannt und aktiv in ihrem jeweiligen Fachgebiet sein und ihre Expertise müsse durch Publikationen in den für das Fachgebiet wichtigsten Zeitschriften belegt sein.

„Einfache Patentlösungen, wann jemand ein Experte für einen Sachverhalt ist, gibt es leider nicht“, meint Volker Stollorz, Gründer und Leiter des Science Media Centers, einer unabhängigen, stiftungsfinanzierten Organisation, die „wissenschaftlich zuverlässiges Wissen von irrelevanten Informationen zu unterscheiden“ sucht. Kriterien für einen Experten seien „fachbezogene Expertise, wissenschaftliche Reputation und aktuelle Forschungspublikationen in renommierten Zeitschriften“. Ein wichtiges Kriterium sei zudem, „ob der Wissenschaftler sich im Sinne der Öffentlichkeit wie ein ‚ehrlicher Makler’ äußert“.

Christoph Then werde vom Science Media Center nicht als wissenschaftlicher Experte geführt, sagt Stollorz. „Schon deswegen nicht, weil seine wissenschaftliche Publikationsliste überschaubar erscheint.“ Er falle eher in die Kategorie „Themenanwalt“.

Ausgewogen statt einseitig

Dem Bundesamt für Naturschutz reicht es hingegen als Beleg für wissenschaftliche Kompetenz aus, dass Then „regelmäßig“ zu „fachlichen und politischen Veranstaltungen als Redner eingeladen“ und vom „Deutschen Bundestag und dem EU-Parlament als Experte angefragt“ wird, wie die Behörde erklärt. Allerdings ist der Verein dabei meist eingebunden in einen Strauß von Spezialisten und wissenschaftlichen Arbeitsgruppen. Die Perspektive von „Testbiotech“ ist dort also nur eine von vielen.

Durch Vielfalt versucht auch die Leopoldina strittige Sachverhalte möglichst objektiv einzuschätzen. Stets seien unterschiedliche Fächer – Biologen, Mediziner, Ethiker, Juristen, Ökonomen, Soziologen, Historiker, Philosophen – in den Arbeitsgruppen vertreten, sagt Hacker. „So stellt man die Ausgewogenheit der Diskussionen sicher und vermeidet, dass es zu einseitigen Ergebnissen kommt.“ Anders als in der „Fachstelle für Gentechnik und Umwelt“.

Auf die Frage nach der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit von „Testbiotech“ antwortet das Bundesamt für Naturschutz nur ausweichend mit dem Hinweis, dass der Verein keine Gentechniken anwende und keine finanziellen Interessen an deren Anwendung habe. Und lässt dabei unberücksichtigt, dass ein auf Kritik spezialisierter und auf Spenden angewiesener Verein ebenso in einen Interessenkonflikt geraten kann. Etwa wenn Fakten die Kritik ad absurdum führen und zu erstellende Gutachten gegen die Thesen des Vereins sprechen.

"Bankrotterklärung für Bildungs- und Forschungspolitik"

Die Bundestagsabgeordnete Carina Konrad (FDP) hat diesen Interessenkonflikt in einer Kleinen Anfrage ihrer Fraktion an die Bundesregierung zur Sprache gebracht: Auf die Frage, ob die wissenschaftliche Unabhängigkeit der Fachstelle gewahrt sei angesichts der Eigeninteressen von „Testbiotech“ und der Institutionen im Beirat der Fachstelle, blieb die Regierung eine klare Antwort schuldig.

Das sei eine „Bankrotterklärung“ für die Bildungs- und Forschungspolitik, sagt Konrad. Mit der Fachstelle werde „tatsächlich und offiziell Forschungspolitik durch Meinungspolitik“ ersetzt und ein Projekt finanziell unterstützt, „das in erheblichem Maße Einfluss auf die Meinungsbildung der Gesellschaft nehmen soll“. Nicht neue Erkenntnisse in der Risikobewertung von Genome Editing stünden im Vordergrund, „es ist einzig und allein geplant, den öffentlichen Diskurs zu gestalten, und zwar so, wie die beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen das gerne hätten“, kritisiert Konrad. Das Prinzip staatlicher Gewaltentrennung habe in diesem Fall „versagt“.

Die Fachstelle will "Pionierarbeit" leisten

Für Änderungen an der Konstruktion der Fachstelle sieht das Bundesamt indes „keine Veranlassung“, wie eine Sprecherin mitteilte Die Bundesregierung fördere verschiedene Projekte, um den öffentlichen Dialog zu den Entwicklungen in der Gentechnologie zu unterstützen. Dazu gehöre auch die Fachstelle Gentechnik und Umwelt, die zu betreiben auch andere Institutionen in der Lage gewesen wären, so das BfN: „Den Antrag auf eine Zuwendung hat jedoch Testbiotech e.V. gestellt.“ Staatliche Förderung aus Mangel an anderen Bewerbern?

Aus Thens Perspektive leiste die Fachstelle „Pionierarbeit“, erklärte er dem Tagesspiegel. Bisher gebe es zu dem Thema Gentechnik und Umwelt „sehr wenig Literatur“. Die Fachstelle beobachte und bewerte „Publikationen, die sich speziell mit der Weiterentwicklung und den Anwendungen der neuen Gentechnikverfahren befassen“ oder solche, die „Unterschiede zwischen herkömmlicher Mutagenese und Genome Editing“ untersuchen. Die Auswahl orientiere sich dabei aber nicht an bestimmten Ergebnissen, beteuert Then. Weder der Beirat noch die Fachstelle hätten Interesse an einer einseitigen Auswahl von Publikationen, sagt Then. „Im Gegenteil, die Fachstelle soll dabei helfen, die Diskussion auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen – unabhängig von den Interessen der Entwickler und Anwender der Technologie.“ Der Beirat sei lediglich „bei der Auswahl der relevanten Fragestellungen behilflich“ und solle die „Perspektive des Schutzes von Mensch, Natur und Umwelt“ zur Geltung bringen. Die habe bei Behörden und staatlichen Förderprogrammen oft zu wenig Gewicht. Die Wissenschaftlichkeit der Fachstelle werde über die „üblichen wissenschaftlichen Maßstäbe“ abgesichert.

Den Beirat der Fachstelle um unabhängige Wissenschaftler zu erweitern, ist für Then keine Option. Von Industrie-Interessen wirklich unabhängige, belastbare Expertise sei selten. Auf die Frage was für ihn ein „Experte“ sei, hat Then „keine spezielle Definition zu bieten“. Niemand könne schließlich alles wissen über ein Forschungsgebiet: „Man sollte sich stetig selbst reflektieren und sich den Grenzen des eigenen Wissens stellen.“

Dieser Text erschien am 9. Oktober 2018 in "Agenda", einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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