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Blick in ein futuristisches Gebäude, in dem Studierende von einem schräg geschnittenen Balkon ins Foyer schauen.

© Philipp Schulze/dpa

Wachsendes Hochschulsystem: Akademische Anarchie

Die Hochschulen wachsen, auch in Deutschland. Was geschehen muss, damit der Prozess sinnvoll gesteuert werden kann, war jetzt Thema einer Tagung in Wien.

Das Hochschulwesen befindet sich weltweit in einer „Phase der Anarchie“. Der Studierendenboom sowie die steigenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Erwartungen lassen die Hochschulsysteme weltweit unkontrolliert wachsen, stellte unlängst eine Studie im Auftrag der Körber-Stiftung fest. Die Folge sei zwar eine zu schätzende Vielfalt der Angebote, die aber leider längst nicht alle qualitativ hochwertig und nützlich seien. Das klare Plädoyer am Schluss lautet: Ordnung und Struktur in das aktuelle Bildungschaos zu bringen.

Nicht alle Universitäten können alles machen

Wie aber soll das wann genau geschehen, und wer ist hier eigentlich in welchem Umfang zum Handeln aufgefordert? Überlegungen dazu stellten Wissenschaftler und Hochschulmanager gemeinsam mit Vertretern aus Forschungsorganisationen und der Wissenschaftspolitik jetzt bei einer Tagung in Wien an. Organisiert worden war der Austausch von den Wissenschaftsräten in Deutschland und Österreich. Dort sind die Fragen zur Differenzierung der Hochschulsysteme nicht weniger virulent als in anderen Teilen der Welt.

Der deutsche Wissenschaftsrat hat bereits im Jahr 2010 für eine „funktionale Differenzierung“ des Hochschulsystems plädiert, also für Arbeitsteilung. Nicht alle können alles machen, lautete die Devise. Hochschulen sollen sich spezialisieren, um so in der Summe den Anforderungen gerecht zu werden. Doch selbst Hochschulen, denen es gelingt, sich zu fokussieren, müssen immer mehr Aufgaben übernehmen: etwa in der Weiterbildung, bei der Akademisierung von Berufen oder im Wissens- und Technologietransfer.

Die Politik soll den "Typenzwang" für Hochschulen lockern

Die vielfältigen Ansprüche von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an Hochschulen sind für sich genommen „vernünftig – und doch in der Summe geeignet, die einzelne Institution zu überfordern“, stellte die Vorsitzende des Wissenschaftsrates Martina Brockmeier in Wien fest. Die Politik könne den Prozess unterstützen, indem sie die Entwicklung neuer Hochschultypen und die Lockerung des „Typenzwangs“ zulasse und fördere.

Außerdem denkt der Wissenschaftsrat nicht nur an befristete finanzielle Anreize, wie sie im Exzellenz-Wettbewerb für Universitäten, im Qualitätspakt Lehre oder zuletzt auch dem Förderprogramm „Innovative Hochschule“ speziell für die Fachhochschulen und kleinere Universitäten gesetzt werden. Es geht auch um die dauerhafte Finanzierung von Kooperationen oder Fusionsmodellen wie die Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung oder auch dem KIT, das aus der Universität Karlsruhe und dem Forschungszentrum Karlsruhe entstand.

Die DFG-Vizepräsidentin spricht von "akademischem Kapitalismus"

Dass dabei mit Reibungsverlusten zu rechnen ist, lässt sich aktuell am Berlin Institute of Health (BIH) sehen. Gemeinsam neben der Charité und dem Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Jahr 2013 gegründet, ging das BIH mit klarem Exzellenzanspruch in der Forschung an den Start. Nach einer kosten- und nervenaufreibenden Anfangsphase glitt das BIH nun in Machtgerangel mit Führungskrise. Mag der Wissenschaftsrat die Differenzierung im Wissenschafts- und Hochschulsystem noch so sehr als einen Prozess skizzieren, in dem die Wissenschaft ausgehend von den Bedürfnissen der Wissensgesellschaft passende Organisationsformate findet: Der institutionelle Wettstreit um Wertschätzung, Anerkennung und Reputation lässt sich nicht ausblenden.

Überbietungslogiken bestimmen also den Takt bei der Differenzierung. Von einem „akademischen Kapitalismus“ spricht die Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft Julika Griem. Die marktwirtschaftliche Dynamik sei längst Fakt, erklärte die Literaturwissenschaftlerin von der Goethe-Universität Frankfurt während der Tagung in Wien und: „Wir müssen uns fragen, wie wir den akademischen Kapitalismus systemisch gestalten wollen.“

Droht die frühere Wertegemeinschaft Universität zu zersplittern?

Zu Griems Befund passt die Analyse des Vorsitzenden der Österreichischen Wissenschaftsakademie Antonio Loprieno. Der ehemalige Rektor der Universität Basel gehört zu den Herausgebern des Buches „Die entzauberte Universität“ und sieht mit der Profilbildung einen grundlegenden Wandel markiert, bei dem die frühere Wertegemeinschaft Universität im institutionellen Wettbewerb in viele Hochschulen zersplittert.

Diese dunkle Sicht auf die Profilbildung wollte Sascha Spoun, Rektor der Leuphana in Lüneburg, nicht teilen. Ein nach außen gerichtetes Profil könne durchaus auch nach innen Identität stiften und akademische Werte tradieren. In Lüneburg hat Spoun den Erfindungs- und Selbstfindungsprozess einer ganzen Universität schon einmal komplett durchexerziert. „Humanistisch, nachhaltig, handlungsorientiert“ – das ist die Mission, mit der die Leuphana sich der Konkurrenz stellt und die, wie Spoun sagt, auch die Uni-Gemeinschaft zusammenschweißt.

Christine Prußky

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