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Wissen: Wärme, die krank macht

Die Klimaveränderung lässt nicht nur die Temperaturen steigen. Auch die Zahl der Infektionen nimmt zu

In den letzten 30 Jahren hat sich die Temperatur auf der Erde um 0,6 Grad Celsius erhöht. Schreitet die Klimaerwärmung fort, kommen – je nach Region – bis Ende des Jahrhunderts schätzungsweise 1,1 bis 6,4 Grad dazu. Für Deutschland wird sich eine Erhöhung der mittleren Jahrestemperatur ziemlich wahrscheinlich auf Art und Häufigkeit von Infektionskrankheiten auswirken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht diesen Zusammenhang als gesichert an und mahnt die europäischen Gesundheitsbehörden, sich rechtzeitig darauf vorzubereiten.

Prinzipiell sind drei Szenarien denkbar: Krankheiten treten wieder auf, die es lange in Europa gab, die aber seit Jahrzehnten von der seuchenmedizinischen Landkarte verschwunden sind. Zweitens: Erreger, die bislang im Mittelmeerraum beheimatet waren, schaffen den Sprung nach Norden und werden auch bei uns endemisch. Schließlich könnten Mikroorganismen in unsere Breiten „zuwandern“, die bisher ausschließlich in den Tropen verbreitet waren.

Wärmere Winter und feuchtere Sommer sind für die unterschiedlichsten Insektenspezies ideal, um in kurzer Zeit große Populationen aufzubauen. Sind darunter auch stechende Arten, die für den Menschen gefährliche Keime übertragen, steigt das Krankheitsrisiko mit jedem wärmeren beziehungsweise längerem Sommer. Ein charakteristisches Beispiel für dieses Szenario ist die Malaria.

Es ist weitgehend vergessen, dass diese Krankheit bis Mitte des 20. Jahrhunderts im norddeutschen Tiefland heimisch war. Emden konnte man damals – mit etwas Übertreibung – als die Malaria-Hauptstadt Mitteleuropas bezeichnen. Zwischen 1900 und 1950 wurden dem Emdener Gesundheitsamt jedes Jahr autochthone, das heißt in der Region selbst erworbene Malaria-Erkrankungen bekannt (1918 waren es 2852 Fälle).

Dabei handelte es sich im Wesentlichen um die Malaria tertiana, eine Form der Malaria, die durch Plasmodium vivax verursacht wird. Gerade an den Grenzen seiner Verbreitungsgebiete profitiert dieser Einzeller von geringen Temperaturerhöhungen. Diese Parasitenspezies vermehrt sich bei einer Temperatur von unter 15 Grad Celsius überhaupt nicht.

Eine Durchschnittstemperatur von 16 Grad für die Dauer von etwa sechs Wochen reicht, damit es zur Übertragung von Malaria-Parasiten kommt. Deshalb sind durch Plasmodium vivax bedingte Sommerepidemien sogar im nordrussischen Archangelsk, in 64 Grad nördlicher Breite, bekannt geworden. Beträgt die Temperatur 20 Grad, so dauert die Entwicklung im Inneren der Mücke nur noch16 Tage. Steigt die Temperatur jedoch auf 28 Grad, so brauchen die Parasiten nur noch eine Woche, um zu einer infektionsfähigen neuen Generation heranzuwachsen.

Aber auch die Reproduktionszeit der Anophelesmücken ist stark temperaturabhängig. Während Anophelinen bei einer Temperatur von 20 Grad fast drei Wochen für die Entwicklung vom Ei bis zum blutsaugenden Insekt benötigen, sind es bei 31 Grad nur noch sieben Tage. Während eines langen Sommers kann P. vivax so sechs bis acht Zyklen durchlaufen.

Diese biologischen Grundlagen erklären die Rückkehr der Tertiana-Malaria nach Moskau Ende der 1990er Jahre. Vermutlich hatten mit P. vivax infizierte Migranten aus Armenien oder Tadschikistan den Erreger als „blinden Passagier“ mit in die Hauptstadt gebracht. Da in Moskau die Mehrzahl aller Wasserläufe, Teiche, Seen und Feuchtgebiete von Anophelesmücken bevölkert sind, konnte sich die Parasitose leicht wieder etablieren.

Dass die Malaria in Mitteleuropa wieder zu einer Massenseuche wird, wie sie in Italien im 19. Jahrhundert gang und gäbe war, ist jedoch unwahrscheinlich. Der Insektenforscher Steve W. Lindsay von der Universität Durham in England schließt in einer Studie, dass es eher bei sporadischen Ereignissen bleiben wird.

Ein Beispiel für die temperaturabhängige Ausbreitung einer Parasitose von Süden nach Norden ist die Leishmaniose. Leishmania infantum, ein Einzeller wie der Malaria-Erreger, ist bisher nur in der Mittelmeerregion verbreitet. Dort sind zwei Arten von Schmetterlingsmücken, den Überträgern der Parasiten, verbreitet: Phlebotomus perniciosus und P. perfiliewi. Untersuchungen haben gezeigt, dass P. perniciosus vorwiegend in Gebieten mit warmen Wintern und milden Sommern, P. perfiliewi dagegen eher in Regionen mit niedrigen Winter- und hohen Sommertemperaturen zu finden ist.

Nach einem kürzlich entwickelten mathematischen Modell wird eine Klimaerwärmung Einfluss auf das Verbreitungsgebiet und die Population beider Erreger haben. Für P. perfiliewi wird vorausgesagt, dass sich die Population auf ganz Italien ausbreiten und vermutlich bis zum 49. Grad nördlicher Breite vordringen wird. P. perniciosus dürfte dagegen in Italien an Bedeutung verlieren, aber sich möglicherweise in der Schweiz und Österreich etablieren.

Doch nicht nur Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, bekommen mit zunehmender Erwärmung neue Chancen. Die mit einem Klimawandel einhergehenden Extremwetterlagen werden sich auf die heimischen Nagetierpopulationen auswirken. Dadurch könnten sich Zoonosen ausbreiten, Krankheiten durch Erreger, die vorwiegend Tiere infizieren, aber jederzeit auf den Menschen überspringen. Dazu zählen die Hanta-Virus-Infektion, die Tularämie (Hasenpest) und die Leptospirose.

Ist es bereits früh im Jahr warm oder halten warme Tage bis in den Spätherbst an, werden Freizeitaktivitäten in freier Natur zunehmen. Wandern, zelten und naturkundliche Beobachtung führen aber nicht nur zu vermehrtem Kontakt mit Wildtieren, auch das Risiko von Zeckenbefall wird sich erhöhen. Die Zunahme der Frühsommerenzephalitis in Skandinavien und das erstmalige Auftreten der Infektion in Norwegen 1997 bringen Experten mit klimabedingten Verhaltensänderungen der skandinavischen Bevölkerung und vermehrtem Zeckenbefall im letzten Jahrzehnt in Zusammenhang.

In anderen Teilen Europas kann sich eine Klimaänderung jedoch eher negativ auf die Zeckenpopulation auswirken. Nach Meinung von Sarah Randolph vom Institut für Zoologie der Universität Oxford hatten die in den vergangenen Jahren zunehmend heißen und trockenen Sommer auf dem Balkan einen entgegengesetzten Effekt: Die erwachsenen Zecken, die sehr empfindlich für Trockenphasen sind, starben in Massen. Parallel dazu ging die Häufigkeit der Zeckenenzephalitis markant zurück.

Auch durch ein Ansteigen der Wassertemperatur von Nord- und Ostsee drohen neue Krankheiten. So wurden im vergangenen Sommer erstmals bei Badegästen Wundinfektionen durch Vibrio vulnificus (einem entfernten Verwandten des Cholera-Erregers) diagnostiziert. Vermutlich leben diese Bakterien schon seit längerer Zeit in den Badegewässern vor unserer Haustür. Aber erst bei Wassertemperaturen von über 20 Grad vermehren sie sich rapide und werden für den Menschen gefährlich.

So einig Infektionsmediziner, Epidemiologen und Gesundheitswissenschaftler darüber sind, was uns zukünftig in Mitteleuropa an gesundheitlichen Problemen droht, so stark gehen die Meinungen auseinander, wenn es darum geht, abzuschätzen, ob ein Klimawandel nicht auch medizinische Vorteile mit sich bringt.

Denkbar ist beispielsweise, dass Erkältungskrankheiten – die häufigste infektiöse Krankheitsursache in unseren Breiten – mit zunehmend wärmeren Wintern seltener werden. Vielleicht wird sich sogar das Menetekel einer in der nahen Zukunft drohenden, weltumspannenden Grippeepidemie als „warme Luft“ entpuppen.

Möglicherweise werden auch weniger Menschen an bakteriell bedingter Gehirnhautentzündung erkranken. Aufrechnen lassen sich die mikrobiellen Gewinner und Verlierer einer Klimaveränderung derzeit noch nicht. Wahrscheinlich ist aber, dass die infektionsmedizinische „Landschaft“ Mitteleuropas in den nächsten Jahrzehnten „bunter“, aber auch für die hier lebenden Menschen gefährlicher wird.

Hermann Feldmeier

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