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Zucker in Würfelform liegt am auf einem Tisch. (Symbolbild)

© dpa/Rolf Vennenbernd

Warnschuss für die deutsche Politik: Das würde eine Zucker-Steuer tatsächlich bringen

Studien aus Großbritannien zeigen, dass freiwillige Verpflichtungen in der Industrie unwirksam sind. Ein umstrittenes Instrument hat jedoch Erfolge erzielt.

Weltweit steigt die Prävalenz von Adipositas und dessen Folgeerkrankungen, eine ungesunde Ernährung ist einer der wichtigsten Treiber dieser Entwicklung. Die Politik bleibt vielerorts ratlos zurück. Mit der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten und der Einführung der Lebensmittelkennzeichnung Nutri-Score in Deutschland wurden hierzulande erste Maßnahmen umgesetzt – allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Der Nutri-Score bietet Verbrauchern zwar eine einfach zu verstehende Nährwert-Orientierung von verarbeiteten Lebensmitteln über ein Buchstaben- und Farbleitsystem. Das Instrument hat aber auch erhebliche Schwächen. Zum einen ist die Kennzeichnung bisher freiwillig und nicht EU-weit verpflichtend.

Zum andern lassen sich darüber nur Produkte innerhalb einer Produktgruppe vergleichen. Folge: Ein Schokoriegel mit weniger Zucker-, Salz- und Fettgehalt als Konkurrenzprodukte schneidet beim Nutri-Score besser ab und erweckt vermeintlich den Eindruck, gar nicht so ungesund zu sein – von einem gesunden Lebensmittel ist er aber trotz besserem Nutri-Score noch reichlich viele Zuckerwürfel entfernt.

Diese kleinen Fortschritte im Bereich der Ernährungspolitik erfolgten „im Schneckentempo“ und seien bloß „ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagte beispielsweise Martina de Zwaan, Präsidentin der Deutschen Adipositas Gesellschaft, kürzlich dem Tagesspiegel Background.

Das zuständige Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung dagegen lobte sich selbst für die erreichten Ziele, die im Ergebnisbericht Produktmonitoring 2020 veröffentlicht wurden. Die Auswertung zeigte, dass etwa verpacktes Brot und Kleingebäck inzwischen durchschnittlich vier Prozent weniger Salz oder dass Nuss- und Kernriegel durchschnittlich 15,8 Prozent weniger Zucker enthalten.

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Gleichzeitig argumentieren Vertreter der Lebensmittelindustrie, eine zu radikale und schnelle Veränderung der Rezepturen führe dazu, dass Konsument:innen die Produkte meiden würden. Sie müssten stattdessen sukzessive an die gesünderen Produktvarianten gewöhnt werden.

Vertreter:innen medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften und verschiedene Fachpolitiker:innen, vor allem der Grünen, kritisierten in den vergangenen Jahren vehement die freiwilligen Reduktionsverpflichtungen, fordern verpflichtende Ziele und die Einführung einer Zuckersteuer. Doch ob diese die gewünschten Effekte haben, ist nicht unumstritten.

Großbritannien müht sich bei Zuckersteuer – mit ersten Erfolgen?

Seit April 2018 gilt in Großbritannien eine Zuckersteuer – offiziell „Soft Drinks Industry Levy“ (SDIL) – für zuckerhaltige Getränke mit Ausnahme von Fruchtsäften, Getränken auf Milchbasis und den Produkten sehr kleiner Unternehmen. Die Einnahmen werden unter anderem dafür verwendet, Schulen bei der Modernisierung ihrer Sporteinrichtungen zu unterstützen.

Angekündigt worden war die Steuer im Haushaltsplan 2016. Die Weltgesundheitsorganisation hatte im selben Jahr in einem Bericht empfohlen, den Einzelhandelspreis für zuckerhaltige Getränke über Steuern „um mindestens 20 Prozent zu erhöhen“, was „zu einem proportionalen Rückgang des Konsums solcher Produkte führen“ sollte. Das ist zumindest in Großbritannien nicht eingetreten, wie bereits eine Anfang März 2021 in BMJ veröffentlichte Studie belegte.

Forscher:innen des epidemiologischen Instituts der Universität Cambridge untersuchten die Veränderungen des Kaufvolumens und des Zuckergehalts der von britischen Haushalten erworbenen Getränke, der von der Abgabe befreiten Getränkekategorien (einschließlich alkoholischer Getränke) und der Süßwaren im Zeitraum von zwei Jahren vor der Ankündigung der SDIL bis ein Jahr nach ihrer Einführung (März 2014 bis März 2019).

Kinder lieben Süßes. Hoher Zuckerkonsum im Kindesalter kann Krankheiten im Erwachsenenalter begünstigen.
Kinder lieben Süßes. Hoher Zuckerkonsum im Kindesalter kann Krankheiten im Erwachsenenalter begünstigen.

© dpa/Mascha Brichta

Dabei stellten sie fest, dass sich die Gesamtmenge aller eingekauften besteuerten und unbesteuerten Erfrischungsgetränke ein Jahr nach der Einführung nicht verändert hatte. Datengrundlage waren 22.183 untersuchte Haushalte. Allerdings: Die Menge des in diesen Getränken enthaltenen Zuckers ging um etwa 30 Gramm pro Haushalt und Woche oder umgerechnet fast zehn Prozent zurück.

Freiwillige Reduktionsstrategie ein Schleichprozess

Im Jahr 2016 beauftragte die britische Regierung Public Health England (PHE), eine Behörde des britischen Gesundheitsministeriums, zunächst mit der Konzeption und Überwachung eines freiwilligen Programms zur Zuckerreduzierung. Sie konzentrierte sich auf Lebensmittel, die für die größte Zucker-Aufnahme bei Kindern verantwortlich sind (darunter Süßigkeiten, Schokolade, Kuchen, Kekse, Eiscreme, Müsli, Joghurt) und führte freiwillige Zielvorgaben von Salz, Zucker und Kalorien für neue Rezepturen ein, um die Hersteller zu Veränderungen zu bewegen.

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So sollte die Lebensmittelindustrie den Zuckergehalt bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 2015 senken. 2018 wurde das Programm auf jene Säfte und Getränke auf Milchbasis ausgeweitet, die von Zuckersteuer bisher nicht berücksichtigt wurden.

Doch erfolgreich war das bisher nicht, zeigten mehrere Zwischenberichte. Zwischen 2015 und 2019 wurde demnach der durchschnittliche Zuckergehalt von Produkten um mickrige drei Prozent gesenkt. In einigen Kategorien und bei einigen Unternehmen verzeichneten die Autor:innen zwar größere Reduzierungen – etwa 13 Prozent weniger Zucker bei Frühstückszerealien, Joghurt und Frischkäse. Diese wurden jedoch durch den Anstieg der Verkäufe von Produkten mit höherem Zuckergehalt wieder aufgehoben.

Gestern bestätigte nun eine weitere Untersuchung des Nuffield Department of Population Health der Universität Oxford, dass die politischen Maßnahmen im Vereinigten Königreich nicht zu einer allgemeinen Verbesserung des Nährwerts von Lebensmitteln geführt haben.

Die in der Open-Access-Zeitschrift PLOS ONE veröffentlichte Studie bewertet die Lebensmittel der zehn größten Lebensmittel- und Getränkehersteller über einen Zeitraum von vier Jahren (2015 bis 2018).

Studie: Ziele der Politik werden verfehlt

Dabei stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass sich die Nährwertprofile der Produkte dieser Unternehmen im Laufe der Zeit nicht verändert haben. Lediglich bei Kellogg's sei eine kleine Gesamtverbesserung durch die Zuckerreduzierung in zwei(!) Müsli-Produkten registriert worden.

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Die Anzahl der nach ihrem Nährwertprofil als gesund eingestuften Produkte stieg um grade einmal einen Prozentpunkt – von 46 Prozent im Jahr 2015 auf 47 Prozent im Jahr 2018. Von den fünf meistverkauften Marken jedes der zehn Unternehmen verbesserten nur sechs ihren Nährwertwert um 20 Prozent oder mehr.

„Wir haben kaum Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die empfohlenen aktuellen Zielvorgaben einen signifikanten Unterschied gemacht haben, und wir glauben, dass es ohne weitere politische Maßnahmen und ein transparentes Überwachungs- und Bewertungssystem unwahrscheinlich ist, dass es zu bedeutsamen Veränderungen kommt“, heißt es in einem Statement der Hauptautorin Lauren Bandy.

Sie fügt hinzu: „Unsere Studie zeigt, dass bisher nicht viel getan wurde, um die Gesundheit der Haushaltsmarken der großen Unternehmen zu verbessern. Eine Ausnahme bilden Erfrischungsgetränke, die einer Steuer unterliegen, die zu einem niedrigeren Zuckergehalt geführt hat.“

Auch zum Salzgehalt von Produkten und zur Gesamtkalorienzahl gibt es PHE-Zielvorgaben. Die ersten Bewertungen des Kalorienreduktionsprogramms liegen noch nicht vor, das PHE will sie im kommenden Jahr veröffentlichen. Zu erwarten ist, dass auch hier die Reduktionsziele verfehlt wurden.

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