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Sensibel. Wasserflöhe reagieren sehr empfindlich auf Gift im Wasser. Sie ändern dann ihre Bewegungsmuster. Sobald eine Kamera das erkennt, wird Alarm ausgelöst. Foto: Mauritius

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Wissen: Wasserflöhe als Vorkoster

Das Szenario ist Stoff für Albträume: Im Schutz der Dunkelheit kippen Verbrecher Gift ins Trinkwassernetz einer Großstadt. Am nächsten Morgen kochen Millionen argloser Bürger mit dem Wasser Kaffee und putzen sich die Zähne.

Das Szenario ist Stoff für Albträume: Im Schutz der Dunkelheit kippen Verbrecher Gift ins Trinkwassernetz einer Großstadt. Am nächsten Morgen kochen Millionen argloser Bürger mit dem Wasser Kaffee und putzen sich die Zähne. Weil die Befunde der Routineanalysen erst Stunden später vorliegen, sind bereits Tausende vergiftet, ehe Wasserversorger und Behörden die Gefahr erkennen. Damit diese Horrorvision nie Wirklichkeit wird, entwickelt ein Konsortium unter Leitung der Berliner Wasserbetriebe ein neuartiges Sensorsystem, das die Trinkwasserqualität kontinuierlich überwacht.

Im Wasserwerk Friedrichshagen dröhnen die Motoren. Starke Pumpen pressen Trinkwasser in meterdicke Rohrleitungen. Rund 550 000 Kubikmeter pumpen die Berliner Wasserbetriebe täglich in ihr 8000 Kilometer langes Leitungsnetz. Ein beträchtlicher Teil davon stammt aus dem Wasserwerk am Nordufer des Müggelsees. Eine Batterie von Messfühlern überwacht die Reinheit des Produkts. Temperatur, Sauerstoffgehalt, Leitfähigkeit und pH-Wert werden kontinuierlich gemessen. Das Problem: Käme jemand auf die Idee, etwa an einer der jährlich rund 3000 Berliner Baustellen toxische Substanzen ins Rohrnetz zu leiten, bekäme man das in Friedrichshagen unter Umständen viel zu spät mit.

„Die heutigen Sensoren sprechen nicht bei allen Substanzen an, die schädigend wirken können“, sagt der Leiter der Wasserversorgung, Jens Feddern. Für eine detaillierte Analyse werden dem Netz deshalb Proben entnommen, bis zu 16 000 mal pro Jahr. Doch deren Untersuchung im Labor braucht Zeit. „Es vergehen bis zu 48 Stunden, bevor wir wissen, was da eigentlich drin ist.“

Um diese Zeit deutlich zu verkürzen, hat Feddern das Forschungsprojekt „Aquabiotox“ ins Leben gerufen. Bei Spuren von Nervengiften, Schwermetallen, Zyaniden oder Pflanzenschutzmitteln soll der Trinkwasserwächter Alarm schlagen. Damit das funktioniert, setzen die Forscher auf biologische Vorkoster. Empfindliche Mikroorganismen bilden das Herzstück des Breitbandsensors. Dazu gehören auch kleine Wasserkrebse, „Daphnien“ genannt,die im Volksmund auch als Wasserflöhe bezeichnet werden und sensibel auf Gifte im Wasser reagieren.

Die Laborversion eines Daphnien-Toximeters steht im Keller einer denkmalgeschützten Pumpstation in Friedrichshagen. Noch ist das Gerät groß wie ein Kühlschrank, künftig soll es mal in eine Aktentasche passen. Aquabiotox-Projektleiterin Fereshte Sedehizade zieht ein zigarettenschachtelgroßes Aquarium aus der Maschine. „Da schwimmen die Daphnien drin. Außerdem gibt es noch Kamera und Leuchtdioden“, erklärt sie.

Strömen Toxine in die Kammer, ändern die Kleinkrebse ihre Bewegungsmuster, was die automatische Bilderkennung sofort registriert. Wirklich neu ist das Verfahren nicht. Die Herausforderung besteht darin, die sensiblen Laborgeräte fit für den rauen Alltag zu machen. Um das gesamte Berliner Trinkwassernetz zu überwachen, müssten rund ein Dutzend Daphnien-Toximeter an verschiedenen Stellen eingebaut werden. Das lohnt sich nur, wenn die Geräte mindestens drei Monate lang wartungsfrei laufen, die Wasserkrebse sich also wohl darin fühlen.

Doch damit nicht genug. Weil Daphnien nicht auf Nervengifte ansprechen, sollen sie durch andere lebende Messfühler ergänzt werden – darunter Kulturen von Hamsterzellen und speziell modifizierte Bakterienstämme, die schwach leuchten, solange keine Toxine im Wasser schwimmen. „Mit Sensoren können wir dieses Leuchten erfassen“, sagt Feddern. Nimmt es ab, ist Gefahr im Verzug.

Im Labor konnten die Forscher bereits zeigen, dass sie durch eine Verknüpfung klassischer Sensoren mit den biologischen Vorkostern die meisten Toxine im Wasser rasch aufspüren können.

Was jetzt noch fehlt, ist der Beweis, dass das Ganze auch in der Wirklichkeit funktioniert. Die Vorbereitungen dafür laufen. In einem 600 Meter langen unterirdischen Testnetz, das keinerlei Verbindung zum Versorgungsnetz hat, sollen die sensiblen Trinkwasser-Wächter demnächst unter realen Bedingungen erprobt werden. Ralf Krauter

Dieser Beitrag läuft im Deutschlandfunk im Rahmen der Reihe „Schutz durch Technik“, immer montags, mittwochs und freitags um 16.35 Uhr. In Berlin ist der Sender auf UKW 97,7 MHz zu hören.

Ralf Krauter

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