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Frühchen bekommt Milch

© IMAGO

Weiße Ware: Muttermilchbörse gefährdet Babys

Hepatitis, HIV, Medikamentenrückstände: Wer im Netz die Milch einer fremden Mutter kauft, riskiert die Gesundheit seines Säuglings, warnen Kinderärzte.

Tränen stiegen ihr in die Augen, als Tanja Müller vor dem Waschbecken stand und mehr als 100 Fläschchen ihrer Muttermilch in den Ausguss schütten musste. Ihre Tochter lag auf der Intensivstation für Frühchen einer Hamburger Klinik. Sie konnte kaum etwas trinken. An das viel zu kleine Baby einer anderen Frau durfte Müller die Milch trotzdem nicht weitergeben. Ein Unding, fand die gelernte Hotelfachfrau. Überzeugt von der „Solidarität unter Müttern“ baute die 37-Jährige eine Tauschbörse im Internet auf. Seit Ende Januar ist ihre private Muttermilchbörse online, mittlerweile haben 30 Frauen Anzeigen geschaltet. „Muttermilch aus vegetarischer Ernährung“ bietet dort die 28-jährige Ani an. „Liebevolle vegane Stillmama sucht hungrigen Fratz“, schreibt Sarah, 27.

„Gut gemeint“, sagt Andrea Loui. Die Oberärztin leitet die Milchsammelstelle an der Klinik für Neonatologie der Berliner Charité. „Aber die Umsetzung ist erschreckend.“ Sie ist nicht allein mit dieser Kritik. Sowohl der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte als auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Mitglieder der Nationalen Stillkommission am Bundesinstitut für Risikobewertung warnen einhellig vor der Muttermilchbörse. Darunter sind Experten, die sonst fast gebetsmühlenartig die Vorteile des Stillens predigen.

Wenn Mütter im Netz die Milch fremder Frauen einkaufen, setzen sie ihr Kind enormen Risiken aus: Ist die Anbieterin mit Erregern wie dem Immunschwächevirus HIV, mit Hepatitis oder Syphilis infiziert, kann sie die jeweilige Krankheit über die Muttermilch übertragen. Medikamente, die die Frau einnimmt, können je nach Wirkstoff und Dosierung Atempausen beim Säugling verursachen oder lebenslange Organschäden. Die Zusammensetzung der Milch hängt außerdem von der Ernährung der Spenderin und dem Alter ihres Babys ab. Unkontrollierte Milch enthält also mitunter nicht genügend Nährstoffe, warnen die Kinderärzte. Nimmt es die Frau mit der Hygiene nicht so genau oder wird die Kühlkette unterbrochen, können sich alle möglichen Keime in der rohen Milch vermehren. Hinzu kommt der finanzielle Anreiz. Wenn man mit Muttermilch bis zu acht Euro pro 100 Milliliter verdienen kann, lockt das Geld vielleicht unredliche Anbieterinnen an. Ob Rückstände von Alkohol, Tabak oder Drogen die Milch kontaminieren, sieht man ihr nicht an.

Die Frauen müssen wie vor einer Blutspende untersucht werden

Tanja Müller sind solche Gefahren bewusst. Trotzdem vertraut sie darauf, dass keine Mutter einem anderen Baby schaden würde. Wer auf ihrer Seite inseriert, macht freiwillig Angaben zu allen kritischen Punkten. Die Bakterienbelastung oder andere Rückstände in der Milch könne man am Institut für Milchuntersuchung in Bremen prüfen lassen, sagt sie. Das Institut überwacht sonst die Qualität tierischer Milch.

„Das reicht natürlich nicht“, sagt Loui. „Man muss die Frau untersuchen. Genau wie bei einer Blutspende.“ Die Ärztin kennt jede der 25 bis 30 Berlinerinnen, die in einem Jahr in der Milchsammelstelle der Charité ihre Milch spenden. Manche haben hier ihr Kind geboren, andere werden von Kliniken oder Hebammen an die Sammelstelle verwiesen, weil sie viel zu viel Milch haben. Bis ihr Säugling drei Monate alt ist, können sie die überschüssige Milch spenden. Pasteurisiert und mit Eiweißen und Kalzium angereichert, kommt sie den Frühchen oder schwerkranken Babys auf der Neonatologie zugute. Kostenlos. „So haben diese Kinder weniger Darmprobleme und entwickeln sich besser“, sagt Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie.

Selbstverständlich ist das nicht. In der DDR hatte jeder Landkreis eine Frauenmilchbank, nach der Wende blieben nur neun übrig. Im Westen der Republik wurden alle Milchbanken und Sammelstellen spätestens in den 1970er Jahren geschlossen. Zu bequem war die industrielle Babynahrung, zu unsicher das natürliche Pendant. „Damals gab es noch nicht so gute Tests“, sagt Bührer. Erst allmählich denken die Ärzte an den Kliniken um. 1997 eröffnete die Sammelstelle an der Charité, 2012 folgten Jena und Großhadern/ München. Zwei weitere sind geplant.

„Initiativen wie die Muttermilchbörse sind ein Zeichen dafür, dass die Kinderkliniken versagt haben“, sagt Bührer. Es gebe keinen Grund, warum es an großen Kliniken in Hamburg oder Hannover nicht zumindest eine Milchsammelstelle für die Frühchen auf den eigenen Stationen gibt. „Vielleicht ist das jetzt ein Weckruf.“ Tanja Müller stimmt zu, mit einer Ergänzung: „Es sollte in allen Kliniken eine Mini-Milchbank geben für alle Babys, deren Mütter nicht stillen können. Dann mache ich meine Seite zu.“

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