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Duft der Natur. Kinder entdecken ihre Welt auch über das Riechen.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Welt der Düfte: Alles riecht

Das Riechen ist ein unterschätzter menschlicher Sinn. Hanns Hatt plädiert in seinem neuen Buch für einen besseren Umgang mit der Nase.

Hanns Hatt ist eine Linksnase. Der Professor für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum atmet die meiste Zeit durch das linke Nasenloch. Das ist kein Trick, sondern Ergebnis der Evolution. „Die meisten Menschen benutzen drei Viertel des Tages nur eine Nasenhälfte“, sagt Hatt. Jeder könne das an sich testen. Man müsse sich nur hinsetzen und auf die Atmung konzentrieren.

Es gibt Linksnasen und Rechtsnasen, so wie es Links- und Rechtshänder gebe, sagt Hatt, der deutsche Experte für das Riechen. Je nach Bedarf „aktiviert“ der Körper das zweite Nasenloch. Ein skurriler Fakt und nur einer von vielen, die der Wissenschaftler zusammen mit der Journalistin Regine Dee aufgeschrieben hat. Nachzulesen in: „Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken“.

Hanns Hatt will, dass die Menschen nicht nur mit offenen Augen durch die Welt gehen, „sondern auch mit offener Nase“. Der Geruchssinn arbeite ständig, anders als etwa das Sehen – auch im Schlaf. Mit jedem Atemzug nehme der Mensch Duftmoleküle auf, das Gehirn verarbeite diese Informationen andauernd. „Es gibt keinen duftfreien Raum“, sagt Hatt. Der Mensch ist sich dessen jedoch oft nicht bewusst.

Seine Riechfibel ist ein Plädoyer für zwei unterschätzte Sinne: Riechen und Schmecken. Beides ist verbunden, denn das Aroma einer Speise kann man nur über die Duftsensoren in der Nase wahrnehmen. Warum, das erklärt das Buch kurzweilig auf zwei Seiten. Keines der rund 70 Kapitel ist viel länger.

Weil die menschliche Evolution nicht mehr dafür sorgt, dass dieser Sinn geschärft wird, legt Hatt seinen Zeitgenossen eine bessere Riechkultur nahe. Er zieht einen Vergleich zum Tierreich: Tausend Riechgene habe die Maus, ebenso die meisten Säugetiere. Aber beim Menschen sind etwa zwei Drittel ausgeschaltet. Bei Menschenaffen sind es ein Drittel, bei Mäusen nur ein Fünftel.

„Menschen brauchen den Geruchssinn nicht mehr zum Überleben“, sagt Hatt. Trotzdem bedeutet das Riechen für den Wissenschaftler Lebensqualität. Zum einen, weil es Genuss ermöglicht. Zum anderen betrifft das Riechen nahezu alle Lebensbereiche: von der sexuellen Anziehung bis zum Erinnern. Im Alter nimmt der Riechsinn außerdem oft ab – die Nase wird „blind“. Dem kann man laut Hatt entgegenwirken (siehe Kasten).

Der Mensch hat 350 Duftsensoren, für jedes Duftmolekül gibt es einen entsprechenden Rezeptor. Das muss passen „wie ein Schlüssel zum Schloss“, so Hatt. Nur von etwa zwanzig dieser Sensoren kennt man bisher die dazugehörigen Düfte. Entschlüsselt wurden „die meisten von unserem Labor“, schreibt Hatt. Sein Team hat außerdem nachgewiesen, dass Riechrezeptoren in allen menschlichen Organen vorkommen. Deren Funktionen sind bislang kaum erforscht.

Die meisten Sensoren sitzen jedoch in den Zilien, das sind bis zu dreißig Fäden, die sich am unteren Ende der ovalen Riechzellen befinden und in die Nasenschleimhaut hineinragen. An ihrem oberen Ende sind die Riechzellen über eine Nervenfaser mit dem Riechhirn verbunden. Wenn ein Duftmolekül andockt und die Zelle aktiviert, sendet sie einen elektrischen Impuls ins Gehirn.

Das Riechhirn wiederum liegt direkt neben dem Mandelkern. Dieser zentrale Bestandteil des Limbischen Systems bewertet Situationen emotional. Außerdem ist das Riechhirn weit vernetzt und besonders eng mit dem Hippokampus verbunden, der für das Formen neuer Erinnerungen und das Abrufen alter Erinnerungen zuständig ist. Dufterinnerungen sind mit dem Verstand nur schwer steuerbar. Die beiden Autoren benutzen zur Veranschaulichung wieder die Schlüssel-Schloss-Metapher: „Düfte sind wie Schlüssel, die uns ganz plötzlich eine Tür zur Vergangenheit öffnen“, schreiben sie.

„Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken“ ist vor allem ein Buch für nachhaltiges Genießen. Die Autoren erklären etwa, warum Speisen mit einem hohen Anteil an Bitterstoffen gesund sind. Gemüsesorten mit einer bitteren Note, wie Artischocken oder Rosenkohl, können sogar beim Abnehmen helfen: Sie enthalten weniger Kalorien, ein schnelleres Sättigungsgefühl setzt ein und sie fördern die Fettverbrennung.

Eines der kurzen Kapitel behandelt auch die Beeinflussung von Kaufentscheidungen durch Düfte. Hatt berichtet etwa von einem asiatischen Fernsehhersteller, der seine Geräte beduften lässt, um potenzielle Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Studien zufolge lässt sich der Umsatz durch Duftmarketing um sechs bis 15 Prozent steigern. Hatt rät zu etwas Demut beim Thema Duftmarketing: „Wir manipulieren selbst unsere Mitmenschen jeden Tag – durch Shampoos und Deos.“

Hanns Hatt, Regine Dee: „Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken“, Knaus Verlag, 14,99 Euro.

Christian Werner

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