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Medikamente für die Ärmsten. Auch weil Forscher protestierten, sind Arzneimittel gegen HIV billiger geworden. So können Hilfsorganisationen, wie hier Ärzte ohne Grenzen in einem Slum von Nairobi, die Pillen an Bedürftige ausgeben.

© MSF/ Jun Aoki/ picture-alliance/ dpa

Weltgesundheitsgipfel 2012: Das Prinzip Verantwortung

Wenn an Universitäten Impfstoffe und Arzneimittel erforscht werden, geschieht das oft mit öffentlichen Geldern. Die Ergebnisse sollten möglichst vielen Menschen zugute kommen.

Mit großen Worten wurde am Sonntag der Weltgesundheitsgipfel eröffnet. „Gesundheit, das bedeutet geteilte Verantwortung“, sagte etwa US-Botschafter Philip Murphy. Bereits zum vierten Mal treffen sich rund 1400 Wissenschaftler, Vertreter von Regierungen und Industrie, der großen internationalen Gesundheitsorganisationen und von Nichtregierungsorganisationen für vier Tage in Berlin. „Forschung für Gesundheit und nachhaltige Entwicklung“ lautet in diesem Jahr ihr anspruchsvolles Ziel.

Um Politik und Entscheidungsträger aus der Wirtschaft zu beraten, haben sich weltweit führende medizinische Fakultäten und Zentren für Gesundheitsforschung, darunter die Charité, das Imperial College in London, die Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore, die Monash Universität im australischen Melbourne und die Pariser Sorbonne, zum M8-Netzwerk zusammengeschlossen. Ihre Verantwortung für die Gesundheit aller Erdenbürger ist ein zentrales Thema des Gipfels.

Dass Forscher diese Verantwortung wahrnehmen und mit ihren Forderungen Gehör finden, zeigt die Verbreitung von Medikamenten gegen HIV in afrikanischen Ländern. Angehörige von Hochschulen hatten sich dafür eingesetzt, dass die antiretroviralen Medikamente, die zum größten Teil an Universitäten und mit öffentlichen Mitteln entwickelt worden waren, auch Infizierten in den ärmsten Ländern zu erschwinglichen Preisen angeboten wurden. Denn dort werden sie besonders nötig gebraucht.

Meist sorgen Patente dafür, dass pharmakologische Innovationen gesalzene Preise haben. Die Juraprofessorin Christine Godt von der Universität Oldenburg ist allerdings davon überzeugt, dass Patentverwertung und Verantwortung für Entwicklungspolitik sich keineswegs ausschließen. Den Universitäten komme dabei eine Schlüsselrolle zu. „Sie sollten ihre Rechte an einer neuen Substanz nicht verkaufen, sondern behalten und umsichtig nutzen.“

Ihre Arbeitsgruppe untersucht in einem Projekt mit dem Titel „med4all“, wie eine gerechte Lizensierung aussehen könnte. Inzwischen hat ihr Team Vorschläge erarbeitet, wie die Ergebnisse öffentlich finanzierter medizinischer Forschung möglichst vielen Menschen zugute kommen können. Zum Beispiel sollten die Universitäten den Firmen Handlungspflichten auferlegen. Leider gebe es in der EU für das Thema nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie in den USA, sagte die Juristin.

Faire Lizenzen und erschwingliche Preise für Medikamente oder Impfstoffe sind nur eine Facette des Problems. Eine andere ist, wo geforscht wird. „Wie wäre es für uns in den reichen Ländern, wenn die wichtigen Forschungsergebnisse immer von anderen Kontinenten kämen?“, fragte der Mediziner Neil Johnson von der Warwick Medical School in England. Feste Partnerschaften zwischen Universitäten in Europa und Afrika, zu denen Austauschprogramme ebenso gehören wie persönliche Beziehungen eines akademischen Mentors zu einzelnen angehenden Ärzten oder Gesundheitswissenschaftlern, könnten das allmählich ändern. Als Beispiel nannte er ein Austauschprogramm seiner Universität mit dem afrikanischen Staat Malawi.

Neben HIV und der nach wie vor großen Bedrohung, die Malaria, Durchfallerkrankungen und Lungenentzündungen vor allem für das Leben kleiner Kinder darstellen, spielen in den armen Ländern inzwischen auch die typischen „Zivilisationskrankheiten“ eine Rolle. „Die größte gesundheitliche Herausforderung ist der exorbitante Anstieg nicht infektiöser Erkrankungen“, sagt selbst der HIV-Spezialist Peter Piot, derzeit Direktor der London School of Hygiene and Tropical Medicine – und warnt vor einem weltweiten „Tsunami“ von Krankheiten, die durch Fettleibigkeit begünstigt werden.

Etwa 80 Prozent der erfassten Todesfälle des Jahres 2008, die von nicht übertragbaren Krankheiten verursacht wurden, ereigneten sich in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Die Forschung zu diesen Krankheiten kommt überwiegend aus den USA und aus Europa. Doch sie wird für andere Regionen immer bedeutsamer.

So suchen Gesundheitswissenschaftler zunehmend bei Wirtschaftswissenschaftlern und Psychologen Rat, um zu verstehen, wie Kauf- und Ernährungsentscheidungen beeinflusst werden. Längst steht fest, dass ein guter Wissensstand allein Menschen nicht dazu bringt, sich ausgewogen zu ernähren und dabei eine angemessene Energiemenge zu sich zu nehmen, Zu einem guten Teil fallen die Entscheidungen irrational. „Studien zeigen, dass die Vielfalt des Angebots zu erhöhtem Konsum führt“, erläuterte Sara Bleich von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. Werden bunte Süßigkeiten in zehn verschiedenen Farben angeboten, dann essen Testpersonen fast doppelt so viel davon, als wenn „nur“ sieben Farben zur Auswahl stehen. „Klar ist auch, dass gestresste Menschen ihre Entscheidungen weniger rational treffen. Sie bevorzugen beim Lebensmitteleinkauf dann Produkte, die mehr Fett und mehr Zucker enthalten“, sagte Bleich.

Ihre britische Kollegin Cecile Knai von der London School of Hygiene and Tropical Medicine plädierte für die Zusammenarbeit mit der Industrie, um die Informationen auf den Etiketten, vor allem aber die inhaltliche Zusammensetzung von verarbeiteten Nahrungsmitteln zu verbessern. „Wir wollen den Konsumenten damit nicht bevormunden, sondern ihm einen Anstoß geben.“ Schon das ist ein anspruchsvolles Ziel.

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