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So nützlich der Kaiserschnitt bei lebensbedrohlichen Geburtsverläufen ist, inzwischen wird die Methode auch aus finanziellen Gründen eingesetzt.

© mauritius images/BSIP

Weltweit häufigste Operation bei Frauen: Wann der Kaiserschnitt notwendig ist - und wann nicht

Eine Sectio kann Kind und Mutter das Leben retten. Heute wird in Deutschland fast jedes dritte Kind damit zur Welt gebracht. Nun gibt es endlich Leitlinien.

Es ist die weltweit häufigste Operation bei Frauen: der Kaiserschnitt, medizinisch auch Sectio oder Schnittentbindung genannt. Jetzt haben sich die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sowie die zuständigen österreichischen und schweizerischen Fachgesellschaften auf eine erste gemeinsame S3-Leitlinie verständigt, die den Umgang mit der Technik regeln soll.

Ein lange überfälliges Papier, denn der Anteil von Kaiserschnittgeburten an den Entbindungen hat drastisch zugenommen. Erfolgten im Jahr 1991 laut Statistischem Bundesamt noch 15,3 Prozent der Entbindungen per Kaiserschnitt, sind es 2018 mit 29,1 Prozent fast doppelt so viele gewesen. Das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen gibt für 2018 sogar 30,66 Prozent an. Und das, obwohl sich die Steigerungsrate medizinisch nicht begründen lässt, argumentierten Fachleute wiederholt.

„Ursachen für die hohe Sectio-Rate in Deutschland sind meiner Meinung nach die mangelnde Ausbildung und Organisation, dazu zählt auch die Vergütung und der Personalschlüssel sowie der juristische Druck“, sagt etwa die Chefärztin der Frauenklinik am Krankenhaus Porz am Rhein in Köln, Patricia Van de Vondel.

Datenlücken bei der Standard-OP

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland – genauso wie die Schweiz und Österreich – im oberen Drittel. Laut dem europäischen Peristat-Projekt lag der Median 2010, dem letzten Datenvergleich, bei 25,2 Prozent. Die höchste Rate wies Zypern mit 52,2 Prozent auf, gefolgt von Italien mit 38 Prozent. Besonders niedrige Sectio-Raten verzeichneten Island (14,8 Prozent), Finnland (16,8 Prozent), die Niederlande (17 Prozent), Norwegen (17,1 Prozent) und Dänemark (22,1 Prozent). In diesen Ländern sterben laut dem Europäischen Bericht für Perinatalgesundheit weniger Neugeborene als in Deutschland. Auch die Müttersterblichkeit ist niedriger oder ähnlich niedrig.

Neben einer besseren Planbarkeit – der Kaiserschnitt dauert deutlich kürzer als eine durchschnittliche vaginale Erstgeburt – profitieren Kliniken bei häufiger Sectio-Anwendung von höheren Vergütungen durch die Krankenkassen. Zwar gibt es bisher keine evidenzbasierten Aussagen über eine optimale Kaiserschnitt-Rate. Die DGGG schreibt in der Einleitung ihrer Leitlinie jedoch, als gesichert dürfe gelten, dass eine Kaiserschnittrate über 15 Prozent „keinen günstigen Einfluss auf die mütterliche und neonatale Morbidität und Mortalität hat und deshalb gut medizinisch begründet sein sollte“.

Denn obwohl der Kaiserschnitt heutzutage trotz Risiken als sicheres Verfahren angesehen wird, ist noch immer nur wenig über Kurz- und Langzeitmorbiditäten von Mutter und Kind bekannt.

Widersprüchliche Ergebnisse

Medizinisch notwendig ist ein Kaiserschnitt zum Beispiel, wenn die Gebärmutter zu reißen droht, die Plazenta den Geburtskanal verschließt oder wenn das Kind in Querlage liegt. Die Inzidenz einer solchen Beckenendlage liegt bei drei bis vier Prozent aller Geburten, bei Frühgeburten ist der Prozentsatz höher.

Medizinische Leitlinien haben das Ziel, den aktuellen Stand des Wissens über ein Fachgebiet zusammenzustellen und daraus möglichst klare Handlungsempfehlungen für die Beratung und Behandlung von Patienten abzuleiten; S3 ist dabei der Standard mit dem höchsten wissenschaftlichen Anspruch. Mit der Leitlinie wollen die Fachgesellschaften Schwangeren, bei denen eine Indikation zu einer Sectio vorliegt oder die eine Sectio aus anderen Gründen erwägen, die Entscheidungsfindung erleichtern.

Die Autoren der vorliegenden Leitlinie legen auf den 136 Seiten unter anderem dar, dass die vaginale Geburt nach einer unkomplizierten Schwangerschaft laut aktueller Studienlage insgesamt vorteilhafter für Mütter und Kinder sei als der Kaiserschnitt.

Habe eine Schwangere bereits zuvor per Kaiserschnitt entbunden, sei der optimale Geburtsmodus nach heutiger wissenschaftlicher Literatur jedoch unklar. Studien kämen hier zu widersprüchlichen Ergebnissen.

Die Autoren der Leitlinie schätzen die vaginale Geburt nach einem vorangegangenen Kaiserschnitt aber für die meisten Frauen als sicher ein. Liege das Kind in Beckenendlage, solle die Schwangere vor der Entbindung in einer Klinik beraten werden, die auch ausreichend Erfahrung mit der vaginalen Geburt aus Beckenendlage hat.

Erwartete Leitlinien

Die Fachgesellschaften betonen, dass bei einem Wunsch nach einem Kaiserschnitt die Gründe hierfür identifiziert, diskutiert und dokumentiert werden sollten. „Da in der Leitlinie keine neuen Anforderungen an Geburtskliniken gestellt werden, müsste sie theoretisch gut umgesetzt werden können. Allenfalls wird es notwendig werden, die Aufklärungsinhalte zu verändern“, so Patricia Van de Vondel.

Was sich in der Umsetzung allerdings als problematisch herausstellen könnte, sei die Forderung nach umfassender Aufklärung der Eltern, dem „shared decision making“. Es sei schlicht und ergreifend bei den bestehenden personellen und oft auch räumlichen Voraussetzungen in geburtshilflichen Abteilungen unmöglich, alle Eltern, die dies für sich in Anspruch nehmen wollten, nach der Leitlinie zu beraten. „Die Beratung wird von den Krankenkassen nicht adäquat vergütet, sodass dafür nicht ausreichend Personal zur Verfügung steht“, so die Ärztin.

Ulrich Thome, Leiter der Abteilung für Neonatologie am Universitätsklinikum Leipzig, kritisiert hingegen fehlende Ausführungen zur Vorhaltung struktureller Voraussetzungen für bestimmte Entbindungen: „An manchen Stellen ist von einer Vorstellung in einer ‚geeigneten' Geburtsklinik die Rede. An anderen Stellen ist von einer ‚entsprechenden technischen Ausstattung' und von ‚Fachpersonal' die Rede. Leider wird nicht spezifiziert, was damit gemeint ist.

Eventuell finden sich diesbezügliche Hinweise in der zitierten Fachliteratur, aber es wäre besser, die Leitlinie würde für sich stehen, ohne dass die zitierte Literatur mitgelesen werden muss.“

Sein Kollege, Holger Stepan, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Leipzig, befürwortet, dass die Leitlinie definiere, welche Maßnahmen im Kontext der Sectio durch Evidenz belegt seien und aus diesem Grund gemacht werden sollten und welche nicht.

Dass diese S3-Leitlinie sehnlichst erwartet wurde, zeigt schon eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Juni 2017. In seinen Antworten verwies das Bundesgesundheitsministerium bei vielen Fragen zur Steigerung der Kaiserschnittraten und Beurteilung der Studienlage auf die jetzt fertiggestellte S3-Leitlinie. „Bisher wurde hauptsächlich nach ‚Expertenmeinung' beraten und gehandelt, wobei häufig jeder sein eigener Experte ist“, so Van de Vondel. Die neue Leitlinie liefere, auch juristisch, belastbare Daten für die Beratung und Aufklärung werdender Eltern, so die Chefärztin. (mit smc)

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