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Abwartend. Ein Grund für ein längeres Studium könnte sein, dass Studierende den Berufseinstieg verzögern wollen.

©  FU/Bernd Wannenmacher

Wenige schaffen Studium in Regelzeit: Berliner Bummel-Bachelor

Mit den neuen Studiengängen sollte das Studium deutlich kürzer werden. Aber das klappt immer seltener. Vor allem in Berlin an der FU und an der HU wird in den Geistes- und Sozialwissenschaften wieder überzogen.

Die Studienzeiten an der Freien Universität werden wieder länger, hat FU-Präsident Peter-André Alt dem Tagesspiegel vor kurzem im Interview gesagt. Die meisten Studierenden an der FU würden bis zum Bachelorabschluss acht statt sechs Semester brauchen und für den Master sechs statt vier. Vielleicht hätten die Studierenden Angst vor dem Berufseinstieg, sagte Alt. Präziser teilt die FU nun mit, im Jahr 2010 seien die Bachelorabsolventen im Schnitt noch in 6,8 Semestern zum Abschluss gekommen, im Jahr 2012 aber erst mit 7,3 Semestern, im Mehrfach-Studium („Kombi-Bachelor“) sogar erst mit 7,9 Semestern. Im Master sei die durchschnittliche Studiendauer von 5,1 auf 5,5 Semester gestiegen.

Eine weitere gescheiterte Bildungsreform?

Lange Studienzeiten trotz Bachelor und Master? Gäbe es hier einen größeren Trend, würde das in die Debatte über die Rückkehr vom acht- und zum neunjährigen Gymnasium passen. Der Eindruck könnte entstehen, in Deutschland seien zwei große Bildungsreformen gescheitert, jedenfalls, was die angestrebte Straffung von Bildungswegen angeht. Lehrkapazität in Schule und Hochschule sollte über die verkürzte Schulzeit und ein knapperes Studium gespart werden, Absolventen sollten früher in die Sozialkassen einzahlen.

In Deutschland wurde die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem im Zuge der europäischen Bolognareform nicht zuletzt damit begründet, die überlangen Studienzeiten an Universitäten würden so verkürzt. Das Studium wurde gegen viel Widerstand aus den Universitäten stärker geregelt und mit berufspraktischen Anteilen versehen. „Verschulung“ und „Fachhochschulisierung“ nannten Kritiker das. Schon nach dem kurzen Bachelor, in der Regel nach sechs Semestern, sollten die meisten die Hochschule verlassen, so wünschten es die deutschen Kultusminister.

Vor der Studienreform brauchten Absolventen im Schnitt oft 14 Semester

Schon seit Jahren ist aber bekannt, dass zwei Drittel nach dem Bachelor mit dem Master weitermachen wollen – sei es, aus Hunger nach Erkenntnis, sei es, weil sich viele mit dem Master auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen ausrechnen. Damit verlängert sich schon die Regelstudienzeit – also die Dauer, in der das Studium idealiter absolviert werden sollte. Bei den meisten alten Diplom- und Magisterstudiengängen lag die Regelstudienzeit bei sieben bis neun Semestern. Aber bis zum neuen Master sind es meist zehn.

Überziehen nun auch noch die meisten Studierenden im Bachelor und im Master um je zwei Semester, liegen sie bei 14 Semestern für das gesamte Studium. Das entspricht dem Schnitt vieler Absolventen vor der Studienreform, die die Bundesländer erst ab 2003 umzusetzen begannen. Beispielsweise kamen bundesweit Germanisten, Informatiker oder Geologen vor der Studienreform, nämlich im Jahr 2002, im Schnitt nach 14 Semestern zum Uni-Abschluss. Nur an Fachhochschulen ging es immer mehrere Semester schneller. Aber hier studiert nur ein Drittel.

Bundesweite Statistiken sahen bisher eine Beschleunigung

Bislang belegten bundesweite Statistiken, dass Bachelor und Master das Studium tatsächlich beschleunigt haben. Im Jahr 2011 haben die Studierenden bis zum Masterabschluss im Schnitt 10,6 Semester gebraucht, in den alten Diplomstudiengängen hingegen 12,4 Semester, heißt es in der Broschüre „Hochschulen auf einen Blick“ des Statistischen Bundesamtes. Über alte und neue Abschlussarten hinweg erreichten 39 Prozent der Absolventen im Jahr 2012 ihren Abschluss in der Regelstudienzeit. Im Bachelor schafften das aber deutlich mehr, bundesweit 53 Prozent. Und wird die Regelstudienzeit überschritten, dann nicht dramatisch: Der Schnitt kommt im Bachelor nach 6,3 Semestern zum Abschluss. Kommt noch der Master hinzu, nach 10,6 Semestern (inklusive FHs).

Historiker brauchen besonders lange, Mathematiker besonders kurz

Doch nicht nur an der FU, auch an der Humboldt-Universität überziehen die Studierenden die Regelstudienzeit immer häufiger, an beiden Unis vor allem in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern. Seit dem Jahr 2010 kommen etwa die Philosophen und Historiker der HU im Schnitt auf 8,1 beziehungsweise 8,2 Semester im Bachelor. Nicht einmal jeder vierte Historiker bewältigt das Studium in der Regelzeit. Die ersten Bachelor-Kohorten, die zwischen 2007/8 und 2009/10 ihren Abschluss machten, waren noch nach 6,9 (Philosophie) beziehungsweise 6,8 Semestern (Geschichte) fertig. Gestiegen, wenn auch nicht so stark, sind die Studienzeiten auch in den Sozialwissenschaften (7,8 Semester), der Erziehungswissenschaft (7,4 Semestern), in BWL (7,3 Semester) oder in Deutscher Literatur (7 Semester).

Im weiterführenden Master liegt die Durchschnittsstudiendauer in den meisten Fächern bei rund fünfeinhalb Semestern, also gut eineinhalb Semester über der Regelstudienzeit. Nimmt man etwa für die Geschichte ein Bachelor- und ein Masterstudium zusammen, kommen HU-Absolventen heute so am Ende ihres zweistufigen Studiums auf insgesamt 13,9 Semester, also sieben Jahre. Das ist sogar etwas mehr, als ein Magister-Historiker Anfang der 2000er-Jahre an der HU brauchte: nämlich 13,8 Semester.

Auffällig ist, dass es die Bachelor-Studierenden in kleineren Geisteswissenschaften und in den Naturwissenschaften durchaus schneller zum Examen schaffen: In Archäologie in 6,8 Semestern oder in Physik in 6,4 Semestern. In Chemie liegen die Absolventen genau im Schnitt der Regelstudienzeit von sechs Semestern, in der Mathematik sogar etwas darunter (5,8 Semester). Bei den Naturwissenschaften handelt es sich allerdings anders als in den Geisteswissenschaften um „Mono-Bachelorstudiengänge“: Das heißt, die Studierenden müssen kein zweites Fach belegen, was offenbar beim Tempo hilft.

Berliner Phänomen oder bundesweiter Trend?

Noch nicht so viel Erfahrung hat die TU Berlin mit Bachelor und Master. Denn sie stellte erst vier Jahre später als FU und HU um, zum Studienjahr 2007/2008. Die Absolventen der ersten Kohorten lagen meistens in der Regelstudienzeit, heißt es aus der TU – was eine gewisse Zwangsläufigkeit habe, weil Langzeitstudierende der ersten Jahrgänge womöglich bis heute noch nicht abgeschlossen haben. Mittlerweile beobachte man, dass „die Regelstudienzeit überschritten wird“. Ob sich die Lage so wie an FU und HU entwickelt, lasse sich aber noch nicht sagen.

Auch an den meisten Unis in anderen Bundesländern wurden die neuen Studiengänge erst später eingeführt. So ist noch offen, ob es sich bei den länger werdenden Studienzeiten bloß um ein Berliner Phänomen oder um einen bundesweiten Trend handelt. An der Universität Hamburg liegt die durchschnittliche Studiendauer für den Bachelor bei 7,3 Semestern, für den Master bei 4,8 Semestern, heißt es auf Anfrage. 39 Prozent schafften das Studium in der Regelstudienzeit. Jeweils um ein Semester im Bachelor wie im Master überziehen im Schnitt die Studierenden an den Universitäten Frankfurt/Main und Bonn.

Selbst wenn die Master- und Bachelorabsolventen auch in anderen Bundesländern zunehmend langsamer werden sollten – Berliner Verhältnisse wären nicht sofort erreicht. Denn nirgendwo in Deutschland wird so langsam studiert wie an Berliner Unis (ganz im Unterschied zu Absolventen Berliner Fachhochschulen, die besonders schnell sind).

Haben Berliner Studierende besondere Angst vorm Berufseinstieg?

Was sind die Ursachen? Haben die Berliner Studierenden wirklich mehr Angst vor dem Berufseinstieg als ihre Kommilitonen in Bremen? Oder liegt es daran, dass sie mehr jobben? Sind die Studiengänge in Berlin vielleicht immer noch zu vollgepackt und schlecht studierbar?

FU-Sprecher Goran Krstin verweist auf regelmäßige Studierendenbefragungen. Das „individuelle Studierverhalten“ werde demnach nicht nur durch das Curriculum und die Studienorganisation geprägt, sondern auch durch die persönliche Lebenssituation, etwa dadurch, in welchem Umfang jemand jobbt. Bestimmt hätten die Berufsperpektiven nach dem Abschluss einen Einfluss auf das „Studierverhalten“. Aber studieren die Berliner langsamer als früher, weil sie mehr Angst vor dem Arbeitsmarkt haben? Oder weil sie weniger Angst haben und sich ein paar Semester mehr gönnen?

Für einige sind die Studienbedingungen schuld

Gabriele Metzler, Professorin für die Geschichte Westeuropas an der HU, sieht die Gründe bei den Studienbedingungen. Die Historiker hätten seit 2010 rund 400 zusätzliche Studienanfänger aufnehmen müssen, ohne aber entsprechend zusätzliches Personal zu bekommen. Die „chronische Unterfinanzierung“ der Berliner Unis bedeute so „auf mittlere Sicht nichts anderes, als dass sich die Studienbedingungen verschlechtern müssen“, sagt Metzler: „Das kann auch der enorme Einsatz der Lehrenden in den Berliner Universitäten nicht verhindern.“ Wenn das stimmt, sind die langen Studienzeiten in Berlin ein klarer Effekt der Hochschulpolitik des Landes.

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