zum Hauptinhalt
In Trümmern. Eines der untersuchten Beben löste den Tsunami vor Fukushima aus, Das Bild entstand in den Tagen danach.

© AFP

Wenn sich die Erdplatte seltsam zurückzieht: Erdbeben könnten besser vorhergesagt werden

Millimeterkleine Verformungen der Erdkruste könnten auf drohende Erdbeben hinweisen. Das zeigen Untersuchungen von verheerenden Beben in Japan und Chile.

Immer wieder ereignen sich rund um den Pazifik schwere Erdbeben. Wie jenes vor der japanischen Küste im März 2011, das im Zusammenspiel mit dem folgenden Tsunami rund 20 000 Menschen das Leben kostete und die Reaktorkatastrophe in Fukushima ausgelöst hat. Es kam überraschend, wäre die Bevölkerung gewarnt gewesen, wären die Folgen wohl weniger schlimm gewesen, meint Onno Oncken vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ in Potsdam.

Zwar ist eine präzise Vorhersage, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Wucht die Erde bebt, nach bisherigem Wissensstand unmöglich. „Doch bereits die Information, dass in den nächsten Wochen die Wahrscheinlichkeit für Erdbeben deutlich erhöht ist, hilft“, sagt Oncken. Genau das könnte seiner Ansicht nach künftig möglich sein – mithilfe eines Prozesses, den GFZ-Wissenschaftler und internationale Kollegen im Fachmagazin „Nature“ beschreiben. Es wäre ein enormer Fortschritt, die Reaktionen aus der Fachwelt indes sind verhalten.

Ein überraschendes Muster bei den Erdkrusten

Das Team um Hauptautor Jonathan Bedford hat analysiert, wie sich die Erdkruste vor besagtem Tohoku-Oki-Erdbeben 2011 (Magnitude 9,0) sowie vor dem Maule-Beben 2010 (Chile, Magnitude 8,8) verformt hat. Sie nutzten dafür Daten von Satellitennavigationssystemen wie GPS und entdeckten ein überraschendes Muster.

Beide Orte befinden sich an einer Subduktionszone, wo eine tektonische Platte unter die andere abtaucht. Normalerweise bewegt sich das „aufreitende Festland“ – hier Japan beziehungsweise Chile – von der Subduktionszone weg, weil die kontinentale Platte ein wenig zusammengedrückt und damit verkürzt wird. In diesen Fällen jedoch gab es plötzlich einen Richtungswechsel, das Land bewegte sich für einige Monate um wenige Millimeter in Richtung offener Ozean, bevor es zur gewohnten Bewegung zurückkehrte. Kurz darauf kam es zu den starken Erdbeben.

Entwässerungen der ozeanischen Platte

Die Forscher schlagen folgende Erklärung für den Richtungswechsel vor: Die abtauchende ozeanische Platte erfährt in der Tiefe Gesteinsumwandlungen, bei denen das Material dichter wird und damit stärker und schneller nach unten zieht. Diese Umwandlung ist gesichert, allerdings geschieht sie dem Modell zufolge sehr schnell und weiträumig.

Hinzu kommen Entwässerungen der ozeanischen Platte, die wie Schmiermittel wirken und so beiden Platten das Aneinander-Vorbeigleiten in der Tiefe erleichtern. Dadurch rutscht die obere kontinentale Platte nach vorn, wodurch in nur wenigen Kilometern Tiefe, wo die beiden Platten starr und ineinander verhakt sind, die Spannung noch größer wird und es bald zum Bruch kommt – einem Erdbeben.

Sollte das vorgeschlagene Modell stimmen, könnten Geoforscher anhand der vorübergehenden Bewegungsänderung ein drohendes Erdbeben voraussehen? Dieser Gedanke liegt nahe und Onno Oncken sagt zuversichtlich: „Wir haben eine gewisse Hoffnung, dass wir damit die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens erkennen können.“ Freilich mit der vagen Angabe, dass dies „in den nächsten Wochen und Monaten“ zu erwarten sei.

Doch selbst diese ungenaue Angabe ist hilfreich, weil sich die Menschen darauf einstellen, Fluchtwege verinnerlichen und Übungen abhalten, sagt der GFZ-Wissenschaftler. „Die meisten Todesopfer bei schweren Erdbeben gibt es nicht durch einstürzende Gebäude, denn die sind in den typischen Regionen entsprechend konstruiert. Stattdessen sind es Folgeereignisse wie Tsunami und Brände.“ Langfristige Vorkehrung sei essenziell, um Menschenleben zu schützen.

Enge Grenzen des Modells

Das Modell hat jedoch enge Grenzen. Es kommt nur für große Beben an Subduktionszonen infrage und hat überdies bisher nur bei den zwei genannten Ereignissen funktioniert. Bei anderen großen Erdbeben konnte die markante Deformation der Erdplatten bisher nicht identifiziert werden. Mit besseren Sensoren und einem dichteren Messnetz sollte die Empfindlichkeit zunehmen und dies künftig eher gelingen, sagt Oncken.

Jean-Philippe Avouac vom California Institute of Technology ist nicht an der Studie beteiligt und zurückhaltend. „Es sind gerade zwei Fälle, an denen das gezeigt wurde“, sagt er. „Möglicherweise treten diese auffälligen Bewegungen, auch auf, ohne dass es anschließend zu einem Erdbeben kommt.“ Die Hypothese müsste durch weitere Arbeiten gestützt werden. Das meint auch Roland Burgmann (Berkeley). „Ich bin noch nicht überzeugt, dass die gemessenen Verformungen wirklich von den Bewegungen der abtauchenden Platte in großer Tiefe herrühren und dass sie vor allem als Vorzeichen zweier Starkbeben gelten können.“

Sollten weitere Studien die Annahme stützen, wäre das gewiss „eine große Sache“, schreibt Bürgmann weiter. Bereits jetzt darüber zu spekulieren, mithilfe dieses Modells die Gefahr eines baldigen Erdbebens erkennen zu wollen, hält er für verfrüht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false