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Studierende protestieren gegen einen Auftritt von Verteidigungsminister de Maizière an der Humboldt-Universität.

© IMAGO

Wer darf an der Uni auftreten?: Das fällt aus dem Rahmen

Gregor Gysi, Wolfgang Schäuble, Sahra Wagenknecht: Wer darf an der Uni auftreten? Immer wieder streiten sich Studierende mit den Hochschulleitungen.

Gregor Gysi durfte nicht, Wolfgang Schäuble schon. So einfach lässt sich aus Sicht der Hochschulgruppe der Linken an der Freien Universität (FU) Berlin die Frage beantworten, wer das Recht hat, sich an der Universität politisch zu äußern. Das FU-Präsidium hatte Ende Oktober einen Raum für einen Auftritt des Linken-Fraktionschefs Gysi verweigert. Als Grund gab das Präsidium an, dass es sich um eine „politische Veranstaltung“ handele und dafür keine Räume an der FU zur Verfügung stünden. Wenige Monate zuvor hatte jedoch Finanzminister Wolfgang Schäuble an einer Podiumsdiskussion teilgenommen.

Eine Veranstaltung zum Thema Menschenrechte: nicht wissenschaftlich genug?

Für Studierendenvertreter ist die Sache klar: Mit Regierenden schmückt sich die FU gern, während linke Positionen keinen Platz haben. Versuche, die Meinungsfreiheit einzuschränken, habe es an der Universität zwar immer gegeben, sagt Lucas Feicht vom Asta der FU. Doch die Aktionen gegen studentisches Engagement hätten in diesem Jahr eine „neue Qualität“ bekommen. Studierende, die Flyer verteilten, würden vom Sicherheitsdienst schikaniert, Plakate für Vollversammlungen mit dem Hinweis auf Brandschutz abgerissen, eine Veranstaltung zum Thema Menschenrechte sei mit dem Hinweis auf mangelnde Wissenschaftlichkeit abgelehnt worden.

Gegen die selektive Raumvergabe wehren sich die Studierenden nun. Mitte November haben sie im Akademischen Senat der FU einen Antrag eingebracht, in dem sie eine Diskussion über die „politisch motivierte Zensur“ von Veranstaltungen fordern. Mit ihrem Protest stehen sie nicht allein. An der Humboldt-Universität (HU) regt sich gerade heftiger Widerstand gegen Raumabsagen. Dabei geht es aber keinesfalls um die freie Rede, sondern auch um sexuelle Praktiken, wie das erstaunte Publikum im Akademischen Senat der Uni in der vergangenen Woche erfuhr. In einem offenen Brief wirft das studentische „Referat für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter*“ dem Präsidium vor, nicht-heterosexuelle Studierende zu diskriminieren. Das Präsidium hatte sich geweigert, Räume für Workshops zu bewilligen, die praktische Übungen zu Bondage (Fesselspiele) und Drag (mit Kleidung experimentieren, um Geschlechterrollen zu hinterfragen) anbieten sollten.

Doch auf welcher Grundlage kann das Präsidium einen Raum verweigern? Diese Fragen stehen im Zentrum der Debatte, und sie sind juristisch umstritten. Auf der einen Seite garantiert das Grundgesetz Professoren und Studierenden Rede- und Wissenschaftsfreiheit. Dazu gehört auch das Recht, eine Veranstaltung zu organisieren. Nachdem in den 1960er und 1970er Jahren dieses Recht stark eingeschränkt war, haben Unis die Meinungsfreiheit meist geschützt.

Nur mit hochschulpolitischem oder wissenschaftlichem Rahmen

Auf der anderen Seite verteidigen Hochschulen ihr Hausrecht. Das legt in der Regel fest, dass Veranstaltungen einen hochschulpolitischen oder wissenschaftlichen Bezug brauchen. Das kann jedoch sehr unterschiedlich ausgelegt werden. „Ein hochschulpolitischer oder fachlicher Rahmen lässt sich immer irgendwie herstellen“, sagt Ulrich Battis, emeritierter Staatsrechtler der HU. Entscheidend sei häufig, wer die Veranstaltung plane. Lade ein Fachbereich einen Politiker ein, etwa im Rahmen einer Vorlesungsreihe, halte das Präsidium das oft „eher für legitimiert“ als eine Einladung des Asta – selbst wenn Parteipolitik in beiden Fällen nicht auszuschließen sei. Zum Schäuble-Besuch am Otto-Suhr-Institut erklärt die FU dementsprechend, dass Studierende „im Rahmen ihres Studiums die Gelegenheit hatten, mit Ministern zu diskutieren“. Die Veranstaltung sei von einem Politikprofessor moderiert worden. Auch parteipolitisch habe man der Veranstaltung „schwerlich ein einseitiges Profil zuschreiben können“, da ein deutscher Christdemokrat und ein französischer Sozialist auf dem Podium saßen.

Wagenknecht und Lafontaine durften beim SDS auftreten

Studierende halten das Argument der Wissenschaftlichkeit für vorgeschoben. „Wir sind eine politische Hochschulgruppe. Was sollten wir organisieren, wenn nicht politische Veranstaltungen?“ fragt Ole Guinand von der Hochschulgruppe „SDS.Die Linke FU“, die den Gysi-Auftritt organisierte und schließlich ins Foyer vor der Mensa verlegte. Der SDS habe „mehrfach prominente Leute eingeladen“, die stets einen Raum bekamen, darunter Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine. Auch für allgemeinpolitische Vorträge, etwa zur europäischen Krisenpolitik oder zur erneuerbaren Energie, habe es früher Räume gegeben.

Andere Regeln als für die Hochschulgruppen gelten aber für die Asten. Laut Berliner Hochschulgesetz dürfen sich Studierendenvertreter zu politischen Themen jenseits des Hochschulbetriebs nicht äußern. Damit wird darauf Rücksicht genommen, dass alle Berliner Studierenden Mitglieder der verfassten Studierendenschaften sein müssen, egal, welche politischen Ansichten sie hegen.

HU-Präsidium fragt nach Verbindung von "Gender-Performen" zur Wissenschaft

Der Asta der HU, der sich „Refrat“ nennt, hält das Gesetz für antidemokratisch und ist 2006 dagegen bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen. Hochschulpolitik sei von allgemeiner Politik nicht sinnvoll abzugrenzen, sagt Enno Hinz, Referent für Hochschulpolitik im „Refrat“. Tatsächlich ist im Berliner Hochschulgesetz festgelegt, dass der Asta die „politische Bildung“ Studierender fördern und ihre „wirtschaftlichen und sozialen Belange“ wahrnehmen soll. Anders als die Hochschulgruppen kann der Asta klagen, wenn er sich in dieser Aufgabe eingeschränkt sieht.

Was die Aufgabe konkret umfasst, darüber wird gerade an der HU gestritten. Das Referat für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intersexuelle (LGBTI) Studierende innerhalb des „Refrats“ hatte Anfang November Räume für einen Bondage- und einen Drag-Kurs beantragt und Absagen kassiert. Das Präsidium könne keine „Verbindung zwischen ‚Gender-Performen’ und wissenschaftlicher Auseinandersetzung bzw. sozialer Selbsthilfe“ erkennen, hieß es in der Begründung. Vor allem Bondage sei eine private Sache, die nicht in der Universität praktiziert werden müsse.

Uni sollte ein Ort sein, an dem über Normen diskutiert wird

Die Studierenden halten das genau für die Argumentation, gegen die sie mit ihren Kursen vorgehen wollen: „Der Grund, warum wir diskriminiert werden, ist ja gerade, was ins Private verschoben wird: unsere Sexualität, unsere Geschlechtlichkeit“, schreiben sie in einer ersten Antwort an das Präsidium. In einem offenen Brief weisen sie außerdem auf Widersprüche bei der Raumvergabe hin: Der hochschulpolitische Gehalt von studentischen Schachclubs oder Gottesdienstgruppen werde nämlich nicht geprüft. „Hier scheinen deutliche Wertvorstellungen darüber wirkmächtig zu werden, was an einer Universität Platz findet und was nicht.“ Drag- und Fesselkultur hätten im übrigen einen eindeutigen Wissenschaftsbezug und würden in den Gender Studies an der HU erforscht.

Tatsächlich ließe sich mit dem Hinweis auf die Forschung praktisch jede Veranstaltung begründen. Stefanie von Schnurbein, Professorin für Neuere Skandinavische Literaturen an der HU, zögerte deshalb, bevor sie den offenen Brief unterschrieb. „Grundsätzlich sollte eine Universität darauf achten, wer an der Uni spricht“, sagt sie. Sie hat zum Rechtsextremismus geforscht und findet, dass Studierende „es sich zu einfach machen, wenn sie unter dem Deckmantel der Redefreiheit extreme Positionen einnehmen“. Dennoch ist Schnurbein für „Streitfreiheit“. Das Anliegen der LGBTI-Studierenden hält sie für legitim, weil sich die Gruppe wichtigen Forschungsfragen zu sexueller Norm und Abweichung praktisch nähern wolle. Auch die Uni sei selbstverständlich von kulturellen Normen geprägt. Aber sie sollte ein Ort sein, an dem man über diese Normen reden kann.

Muss auch ein Ultrarechter reden dürfen?

Allerdings sind es nicht immer die Präsidien, die sich vor einseitigen Positionen fürchten. An der TU Berlin haben Studierende gerade selbst eine Podiumsdiskussion zur Frauenquote abgesagt, weil auf Facebook und Twitter gegen die Teilnahme eines Gastes protestiert wurde, der für frauenfeindliche und homophobe Aussagen bekannt ist. Der Gast hat sich nun seinerseits über mangelnde Redefreiheit an der TU beschwert. Muss nicht auch ein Ultrarechter reden dürfen?

Der alt-linke Aktivist Peter Grottian, emeritierter Politikwissenschaftler an der FU, sagt, Gruppen mit radikalen Ansichten hätten sich häufig unter einem „studentischen Schutzschirm“ Zugang zur Universität verschafft. Solange niemand zu Gewalt aufrufe, solle man aber auch Positionen zulassen, die man selbst als Irrsinn erachte. Das gehöre zu einer Demokratie. Der Sinn einer Universität sei ja gerade, dass Studierende „ein breites Spektrum an Positionen durchschreiten, um sich am Ende selbst ein Urteil zu bilden“. Letztlich hätten es Rechtsextremisten „in Berlin aber immer schwer gehabt“.

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