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WERT sachen: Antiquariatskataloge

Zwei meiner Tübinger akademischen Lehrer pflegten während langweiliger Sitzungen des Fakultätsrates ostentativ Antiquariatskataloge durchzuarbeiten und ich fand das vor Zeiten ziemlich ungehörig. Damals war ich allerdings als Assistentensprecher auch nur dazu verpflichtet, die Sitzungen des Fakultätsrates zu besuchen – ich saß nicht in irgendeinem der vielen weiteren Gremien, die sich die deutsche Universität im Laufe ihrer Demokratisierungsversuche zugelegt hat.

Zwei meiner Tübinger akademischen Lehrer pflegten während langweiliger Sitzungen des Fakultätsrates ostentativ Antiquariatskataloge durchzuarbeiten und ich fand das vor Zeiten ziemlich ungehörig. Damals war ich allerdings als Assistentensprecher auch nur dazu verpflichtet, die Sitzungen des Fakultätsrates zu besuchen – ich saß nicht in irgendeinem der vielen weiteren Gremien, die sich die deutsche Universität im Laufe ihrer Demokratisierungsversuche zugelegt hat.

Heute, da ich in zahllosen Gremien sitzen muss, kann ich meine akademischen Lehrer viel besser verstehen, darf das aber natürlich niemals öffentlich sagen. Und schon gar nicht selbst in Sitzungen Antiquariatskataloge lesen. Weil das so ist, kann ich auch leichter verschmerzen, dass immer weniger dieser wunderbaren Broschüren ins Haus gesendet werden. Ein „zentrales Verzeichnis antiquarischer Bücher“ im Internet hat bei vielen Geschäften die Funktion der gedruckten Kataloge übernommen, stellenweise auch bebildert, wie eh und je. Aber nun sind so viele Bücher im Internetkatalog, dass keine Sitzung dieser Welt reichen würde, das Verzeichnis durchzuarbeiten. An die Stelle des fröhlichen Stöberns ist die gezielte Suche getreten.

Mit den Katalogen der Antiquariate ist uns eine Sache von besonderem Wert abhanden gekommen. Bei der Vorbereitung der Eröffnung einer Ausstellung über jüdische Geschäfte in Berlin, die die Nationalsozialisten nach 1933 liquidiert hatten, stieß ich auf das Berliner Antiquariat von Martin Breslauer, einstmals ansässig in der Potsdamer Straße. Der Sohn des im Londoner Exil verstorbenen Inhabers, Bernhard Breslauer, Antiquar in London und New York, hat vor vielen Jahren einen Vortrag über „Glanz und Elend der Antiquare“ gehalten und dabei die Kataloge als die „einzigen bleibenden Zeugen“ des „Wirkens und Wissens“ seines Berufsstandes bezeichnet: „Der höchste Ruhm eines Antiquars ist es, der Autor eines Kataloges zu sein, der über seinen unmittelbaren händlerischen Zweck hinaus vielleicht Generationen von Sammlern und Forschern als wissenschaftliches Hilfsmittel, als Nachschlagewerk dient; wir alle besitzen in unseren Bibliotheken solche Buchhändlerkataloge. ‚Unsterblichkeit durch Kataloge!' ist die Devise, mit der ich, halb im Scherz und halb im Ernst, diese wohl positivste, man könnte fast sagen, schöpferische Tätigkeit des Antiquars apostrophiere."

Bernhard Breslauer hat verfügt, dass nach seinem Tode sein Nachlass an die Staatsbibliothek zu Berlin gegeben wurde, direkt hinter dem Ort seines einstigen Antiquariats. Ich weiß nicht, ob eigene und fremde Kataloge darunter sind. Ich hoffe es aber sehr.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden dritten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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