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WERT sachen: Übersetzen

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

„Die Götter bitte ich um eine Änderung, um ein Ende meiner Mühen“ – so beginnt der „Agamemnon“, der erste Teil der Tragödientrilogie „Orestie“ des griechischen Dichters Aischylos, 458 v. Chr. in Athen uraufgeführt. Eine ganze Schar von Altertumswissenschaftlern hat das Stück ins Deutsche zu übersetzen versucht. Johann Gustav Droysen beispielsweise, aber auch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Für seine mindestens den alten Westberlinern unvergessene Inszenierung in der Schaubühne hat Peter Stein 1980 acht solcher Übersetzungen ausgewertet und dann eine eigene in Prosa vorgelegt. Stein hat öfter einen griechischen Ausdruck mit mehreren deutschen Synonymen wiedergegeben. Wörtlich müsste man den ersten Vers aus dem Griechischen so übersetzen: „Die Götter fleh’ um dieser Arbeit End’ ich an“. Exakt so kann man das in der Fassung lesen, die Wilhelm von Humboldt nach vielen Jahren Arbeit am Text 1816 publiziert und seiner Frau Caroline gewidmet hat. Humboldt bemühte sich im Gegensatz zu Stein nicht nur um strikte Wörtlichkeit, sondern auch darum, das ursprüngliche jambische Versmaß im Deutschen zu wiederholen.

Humboldts Übersetzung wurde zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt, obwohl König Friedrich Wilhelm IV. die Aufführung der Orestie wünschte. Es gelang erst 1900, die Trilogie wieder auf die Bühne zu bringen – im Charlottenburger Theater des Westens in der Übersetzung Wilamowitz-Moellendorffs. Umso eindrücklicher war es, dass man jüngst wenigstens einzelne Humboldt-Szenen im Tegeler Humboldt-Schlösschen erleben durfte. Denn den Text trugen zwei der Schauspieler vor, die ihn schon unter Stein vor bald dreißig Jahren gespielt haben. So wurde unmittelbar deutlich, dass in beiden Übersetzungen ein und derselbe Text zu Gehör kommt, dass eine Übersetzung aber niemals reicht, um den sprachlichen Reichtum des Originals auszuschöpfen.

Mit Aischylos beginnt die griechische Tragödie. Und in seiner Orestie stehen großartige Sätze. Einen hat Peter Stein in seiner Übersetzung mehrfach ergänzt, vermutlich, weil er ihn für so zentral hielt: „Tun, Leiden, Lernen: das ist göttliche Satzung“. Man kann das griechische Original auch viel schlichter übersetzen: „Es leidet, wer übte“ (Humboldt). Oder so: „Daß, wer getan, leide; das ist Rechtens!“ (Droysen). Drei Übersetzungen. Drei Dimensionen der Worte des Aischylos, die sich nicht in das allzu grobe Raster freie versus wortgetreue Übersetzung einordnen lassen. Eine gute Übersetzung hält die Balance zwischen einem unmöglichen Möglichen und einem möglichen Unmöglichen, hat der französische Koranübersetzer André Chouraqui einmal feinsinnig formuliert.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt jeden dritten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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