zum Hauptinhalt
„Alte Größe“ und „junge Kraft“. Reichskanzler Hitler küsste dem Reichspräsidenten Hindenburg die Hand.

© imago/Arkivi

Wiederaufbau der Garnisonkirche: Der Turmbau zu Potsdam

Die Garnisonkirche wird wieder aufgebaut. Dabei war sie ein Markstein auf dem Weg in Hitlers Diktatur. Die Nazis waren Stammgäste.

Nun wird also nach jahrelangem Streit tatsächlich gebaut: Die Stiftung Garnisonkirche Potsdam kündigt an, dass am kommenden Sonntag mit einem Gottesdienst auf der Baustelle der Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam beginnen soll. Die von verschiedenen Seiten artikulierten, durchaus gut begründeten Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Unternehmens sind keineswegs ausgeräumt.

Die Bedenken resultieren teils aus der Historie dieser Kirche, ihrer stark belasteten symbolpolitischen Rolle und der in ihr praktizierten politisch extremen wie religiös dubiosen Zeremonien. Zugleich beruhen sie auf den unausgereiften, wenig überzeugenden Konzepten der Wiedererbauer, was das programmatische Bespielen des neuen Hauses betrifft. Fragwürdig und im Ganzen noch immer unsicher ist schließlich die Finanzierung des kostspieligen Vorhabens.

Der „Tag von Potsdam“ (21. März 1933) war keine einmalige Entgleisung dieser Kirche, auch wenn er als symbolträchtiger Markstein auf dem Weg in die Hitlerdiktatur schon gravierend genug ist. Der Potsdamer Garnisonkirche kommt das Alleinstellungsmerkmal zu, einzige Kirche des „Dritten Reiches“ gewesen zu sein, in der Hitler eine Ansprache hielt. Der katholische Reichskanzler pries darin die mit einer Kirchenzeremonie bekräftigte „Vermählung“ zwischen den Symbolen der (preußisch-deutschen) „alten Größe“ und der „jungen Kraft“, womit er sich selbst und seine politische Bewegung meinte.

Otto Dibelius, nach dem Krieg evangelischer Bischof in Berlin, war Augenzeuge dieser Zeremonie und schilderte sie wenige Tage später. Würdig, ernst und eindrucksvoll seien Hitlers Worte gewesen: „Als das letzte Wort gesprochen ist, tritt Hitler von dem Pult zurück. Der Reichspräsident tut einen Schritt nach vorn und streckt ihm die Hand entgegen. Hitler ergreift sie und beugt sich tief, wie zum Kuss, über die Hand des greisen Feldmarschalls. Es ist eine Huldigung in Dank und Liebe, die jeden ergriffen hat, der sie mit ansah.“

Der Staatsakt wurde der Kirche nicht aufgezwungen

Jüngste Forschungen von Matthias Grünzig („Für Deutschtum und Vaterland. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert“, Metropol 2017) haben erwiesen, dass dieser Staatsakt der Kirche nicht aufgezwungen werden musste. Hitler wollte die Zeremonie an den Gräbern der Preußenkönige, und der damalige Generalsuperintendent Dibelius trug wesentlich zum endgültigen Ablauf des Jubeltages bei.

Zwei Wochen zuvor schrieb er in einer Zeitungskolumne: „Der Gedanke, den neuen Reichstag in Potsdam, über dem Grab Friedrichs des Großen, zu eröffnen, hat einen lauten Widerhall gefunden. 1848 die Paulskirche, 1919 das Theater in Weimar, 1933 die Garnisonkirche in Potsdam – solche Symbole prägen sich dem Gedächtnis eines Volkes tiefer ein als alle Reden. Sie stellen einen neuen Abschnitt der Geschichte in ein bestimmtes Zeichen.“

Seit Gründung der Weimarer Republik diente die Garnisonkirche als politische Bühne der Republikfeinde im Kampf gegen die erste deutsche Demokratie: Deutschnationale Volkspartei, „Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten“, Deutscher Offiziersbund, Alldeutscher Verband, Deutschvölkische Freiheitsbewegung, Vereinigte Vaterländische Verbände und andere Vereine und Gruppen hielten hier ihre hasserfüllten Kundgebungen. Und seit 1933 waren die NSDAP und die ihr angeschlossenen Verbände Stammgast. Beispiele für 1933; 1. Mai: Festgottesdienst zum „Tag der Nationalen Arbeit“, auf den Kirchenbänken die Parteigenossen der NS-Betriebszellen; 19. August: Fahnenweihe der NSDAP im Gotteshaus mit Ansprache des Standortpfarrers Koblanck; 16. September: Feierstunde zum „Tag des Staatsrates“ mit dem preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring; 19. November: Gedenkfeier zu Luthers 450. Geburtstag mit Ansprachen Potsdamer Pfarrer und dem stellvertretenden Reichsleiter der Deutschen Christen Propst Loerzer aus Berlin; 26. November: Totenfeier der NSDAP zu Ehren der im Straßenkampf „gefallenen“ politischen „Märtyrer“ der NSDAP wie Horst Wessel, Herbert Norkus, Hans-Eberhard Maikowski; 20. Dezember: Weihnachtsfeier des Infanterieregiments 9 mit Predigt des nationalsozialistischen Reichsbischofs Ludwig Müller.

Nationalsozialistische Kulthandlungen in der Kirche

So oder ähnlich ging das jahraus und jahrein in der Garnisonkirche bis zum bitteren Ende im April 1945. Oft handelte es sich um rein nationalsozialistische Kulthandlungen in der Kirche: Anlässlich der „großen Bannerweihe der Hitlerjugend“ am 24. Januar 1934 hatten SA-Chef Ernst Röhm, Propagandaminister Joseph Goebbels, Hitlers Chefideologe Alfred Rosenberg und Reichsbischof Ludwig Müller auf den Kirchenbänken Platz genommen. Zum Auftakt intonierte die Orgel das Reichsjugendlied „Unsre Fahne flattert uns voran“. Dann hielt Reichsjugendführer Baldur von Schirach eine Weiherede. Während der anschließenden Weihehandlung berührten – nach dem Muster eines magischen Nazi-Rituals – 342 Fahnen der Hitlerjugend eine sogenannte „Blutfahne“, die angeblich der sterbende Hitlerjunge Herbert Norkus in der Hand gehalten hatte. Nach einer Schweigeminute zu Ehren Friedrichs des Großen hielt Reichsjugendführer von Schirach eine Andacht in der Königsgruft. Das Deutschlandlied beendete den Festakt in der Garnisonkirche. Weit radikaler als bei den Deutschen Christen, die viele evangelische Kirchen des „Dritten Reiches“ mit ihrer völkischen Theologie beherrschten, hielt in der Garnisonkirche ein anderer Geist Einzug, die NS-Weltanschauung ohne alle christlichen Restbestände, eine Ideologie, die Historiker heute als „politische Religion“ des Nationalsozialismus bezeichnen.

Eine präzise Vergegenwärtigung der Geschichte der Garnisonkirche erscheint unabdingbar für jedes zukünftige Bauvorhaben auf diesem historisch hochgradig kontaminierten Boden. Die jüngere Historie dieses verschwundenen Erinnerungsortes gibt wenig Anlass, an dieser Stelle das vormalige Haus in alter Gestalt wieder zu erbauen. Das wäre eine gedenkpolitisch nicht zu rechtfertigende posthume Belohnung ihrer einstigen Akteure und zugleich eine schlimme nachträgliche Missachtung für deren Opfer.

Otto Dibelius brachte anlässlich des „Tags von Potsdam“ den Vergleich mit der Frankfurter Paulskirche ins Spiel. Nach Hitlers Krieg wurde die zerstörte Paulskirche als Erinnerungsort deutscher Freiheits- und Demokratiegeschichte sofort wieder instand gesetzt und bereits 1948 zur Hundertjahrfeier der demokratischen Revolution von 1848 neu eingeweiht. Sie war und ist ein Symbol deutscher Freiheitsgeschichte. Für die Potsdamer Garnisonkirche kann man das nicht sagen. Sie war im 19. und 20. Jahrhundert durchgängig ein prominenter Ort deutscher Unfreiheitsgeschichte.

Nächtliche Zerstörung kurz vor Ende des Krieges

Dem „Tag von Potsdam“ folgte bekanntlich die „Nacht von Potsdam“ (14. April 1945), als britische Bomber Teile der Potsdamer Innenstadt in Schutt und Asche legten, darunter auch die preußische Militärkirche. Beide Ereignisse, der Jubeltag von 1933 und die nächtliche Zerstörung kurz vor Ende des Krieges, stehen in engem, sich bedingenden historischen Zusammenhang. Auf nationale Hybris folgt regelmäßig der tiefe Fall. Insofern hat dieses doppelte Geschehen eine zwingende innere Logik, eine Folgerichtigkeit. Die Zerstörung der Garnisonkirche war Folge vorausgehender deutscher Selbstzerstörungen durch törichte und verbrecherische Politik. Nicht von ungefähr sprach der Nestor der deutschen Geschichtswissenschaft Friedrich Meinecke im Jahr 1946 von der selbstverschuldeten „deutschen Katastrophe“.

Man kann heute am historischen Ort dieses hochgradig belasteten Symbolbaus in Potsdam nicht so tun, als ob nichts gewesen wäre, die angebliche „Unschuld der Steine“ beteuern und einfach das alte Haus wieder hinstellen. Historisch und gedenkpolitisch gesehen kann dies nur ein Ort der tätigen protestantischen Reue sein, hier ist dauerhaft Buße zu tun, auch in architektonischer Hinsicht. Sack und Asche erscheinen angemessen, Demut und Bescheidenheit wären hier am Platze, nicht jedoch die stolze Wiederaufrichtung des alten Hauses mit dem golden glänzenden, hungrigen preußischen Adler auf der Turmspitze.

Steinmeier übernimmt die Schirmherrschaft - ist es wahr?

Wie verlautet, hat der sozialdemokratische Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Bereitschaft erklärt, die Schirmherrschaft über das Potsdamer Bauprojekt zu übernehmen. Man reibt sich die Augen. Ist es wahr? Es sei daran erinnert, dass sich sein sozialdemokratischer Amtsvorgänger Gustav Heinemann für die gedenkpolitische Erinnerung der deutschen Freiheits- und Demokratiebestrebungen durch Würdigung der revolutionären Demokraten von 1848/49 engagierte. Die Garnisonkirche war hingegen jener Ort, an dem zu Revolutionszeiten 1848/49 preußisches Militär seinen Segen erhielt, um im Namen des preußischen Königs (unter Parolen wie „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“) auszurücken und die demokratischen Aufbrüche zu ersticken. Die Anfänge deutscher Demokratie wurden damals von preußischen Soldaten mit Waffengewalt niedergeschlagen. Bundespräsident Steinmeier wäre gut beraten, seine gedenkpolitische Entscheidung in Sachen Garnisonkirche noch einmal gründlich zu überdenken.

Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

Manfred Gailus

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false