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Wirksamkeitsprüfung: Neue Krebsmittel sind nicht immer besser

Experten fordern, Nutzen und Nachteile neuer Medikamente zur Krebsbekämpfung langfristig zu untersuchen. Bisher haben nicht nur neue Chemotherapien oft enttäuscht.

Wenn ein neues Medikament auf den Markt kommt, ist das Wissen über den Wirkstoff noch begrenzt. Die nötigen Wirksamkeitsprüfungen finden meist mit einer begrenzten Zahl von Patienten unter besonderen Bedingungen statt. Der Nutzen eines neuen Mittels wird daher häufig über- und das Risiko unterschätzt. Und ob es besser wirkt oder weniger schadet als ein schon vorhandenes, also einen Zusatznutzen hat, danach darf die Zulassungsbehörde gar nicht fragen.

Für chronisch Kranke etwa mit Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes ist das nicht so tragisch. Für sie gibt es schon genügend erprobte Mittel. Ganz anders ist die Lage der Krebskranken. Viele warten dringend auf neue Medikamente. Es werden auch ständig Substanzen entwickelt. Geschätzte 180 Pharmafirmen weltweit arbeiten an etwa 400 Wirkstoffen gegen Krebskrankheiten. Aber 80 bis 90 Prozent davon werden wahrscheinlich wegen fehlender Wirksamkeit oder unakzeptablen Nebenwirkungen nie zugelassen. Und die zugelassenen? Können sie das Leben der Patienten verbessern oder verlängern, die Krankheit heilen?

„Wir wissen zu wenig über den Nutzen und die Risiken neuer Krebsmedikamente“, sagt Wolf-Dieter Ludwig, Krebsspezialist im Helios-Klinikum Berlin-Buch und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Wie man dies Wissen mehren und dann allen Krebskranken zunutze machen kann, darüber diskutiert der informelle Gesprächskreis „Versorgungsqualität in der Onkologie“ seit anderthalb Jahren. Zu ihm gehören Ärzte wie Ludwig, aber auch Juristen, Medizinethiker und Patientenvertreter.

Jetzt zog der Kreis in Berlin eine Zwischenbilanz und legte Vorschläge vor. Denselben Tenor hat ein Gutachten zur „Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie“, das vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegeben und nun veröffentlicht wurde. Zu den Autoren gehört auch Ludwig.

Bisher haben nicht nur neue Chemotherapien oft enttäuscht, sondern auch die neuartigen Wirkstoffe, deren Ziel ganz bestimmte Teile oder Funktionen der Krebszelle sind. Ein Beispiel nannte der Mediziner Michael Hallek von der Universität Köln: Patienten mit einer häufigen Form von Lungenkrebs können vielleicht von einer dieser innovativen Substanzen, einem Tyrosinkinasehemmer, profitieren, aber nur ein geringer Prozentsatz. Die anderen werden „nur durch die Nebenwirkungen gefoltert“.

Man muss also mit molekularbiologischen Untersuchungen erst einmal herausfinden, welche Patientengruppe das Mittel erhalten sollte. „Wir haben enorme Fortschritte in der Grundlagenforschung gemacht“, meinte Ludwig. „Aber die Hoffnung, mit neuartigen Mitteln die Krebskrankheiten schneller zu bewältigen, hat getrogen.“

Nur durch unabhängige Therapiestudien nach der Zulassung der Medikamente lässt sich die Behandlung der Krebskranken verbessern, meinen die Teilnehmer des Arbeitskreises. Um Erkenntnis über den (Zusatz-)Nutzen eines neuen Krebsmittels zu gewinnen, reichen nicht die drei Monate nach der Zulassung, die das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz dem Hersteller vorgibt, wenn sein Mittel mehr als vergleichbare kosten soll. Krebsmittel sind ohnehin teuer. Vor 30 Jahren kostete die Arzneimitteltherapie eines Krebskranken im Durchschnitt monatlich 50 bis 100 Mark, heute sind es 4000 bis 5000 Euro, sagte Ludwig. Die Mediziner wollen nicht, dass an ihren Patienten gespart wird, aber sie wollen wissen, ob die teure Therapie mehr nützt als schadet.

Die Erkenntnisse dazu müssen aus der Versorgung kommen, sagte Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft. Die Expertenrunde wünscht sich ein Netz behandelnder Forscher und forschender Behandler – und eine „Forschungsgemeinschaft von Ärzten und Patienten“. Aber wer trägt die Kosten für den zusätzlichen Aufwand?

Die Hersteller haben wenig Interesse, ihre endlich zugelassenen Präparate kritisch unter die Lupe zu nehmen, sie etwa mit einem konkurrierenden Mittel zu vergleichen. Forschungsministerium, Deutsche Forschungsgemeinschaft und Stiftungen wie die Deutsche Krebshilfe tun einiges. Aber wirklich ins Gewicht fallen würde die Förderung durch die Gesetzliche Krankenversicherung. Hierzu müsste der Gesetzgeber ihr ausdrücklich gestatten, notwendige Versorgungsstudien mitzufinanzieren, die den Nutzen und die Risiken neuer Mittel und Methoden untersuchen. Würden die Krankenkassen sich beteiligen, könnten sie mittelfristig viel sparen, meinen die Krebsspezialisten: weil die neuen Mittel nur diejenigen Patienten bekämen, denen sie nachweislich nützen können.

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