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Milchstraße

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Wissen und Forschen: Der Kosmos lebt

Im All werden immer mehr organische Stoffe entdeckt, darunter Aminosäuren, Bausteine der Erbsubstanz und damit des irdischen Lebens.

Von Rainer Kayser, dpa

Amerikanische Astronomen haben in einer 250 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie zwei organische Stoffe entdeckt. Es handelt sich um Methanimin und Wasserstoffzyanid. „Addiert man zu diesen beiden Stoffen Wasser“, erklärt Robert Minchin vom Radioobservatorium Arecibo, „dann entsteht Glyzin.“ Und Glyzin, auch Aminoessigsäure genannt, ist die einfachste Aminosäure, ein Baustein des irdischen Lebens.

Minchin und seine Kollegen präsentierten ihre Entdeckung, die sie mit der 300 Meter großen Antenne des Arecibo-Teleskops machten, jetzt auf der Jahrestagung des amerikanischen Astronomenverbands im texanischen Austin.

„Dass wir diese Stoffe über eine so große Entfernung hinweg beobachten können, bedeutet, dass es gewaltige Mengen davon in dieser Galaxie gibt“, betonen die Forscher. „Es ist faszinierend, dass die Bausteine des Lebens überall dort in großen Mengen vorhanden zu sein scheinen, wo Sterne und Planeten entstehen.“

Gerade erst vor zwei Wochen hatte ein anderes Team die Entdeckung von Tholinen, komplexen Kettenmolekülen aus Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff, in der Gas- und Staubscheibe um den jungen Stern HR 4796A in unserer Milchstraße gemeldet. Vermutlich entstehen im inneren Bereich dieser Scheibe gerade Planeten.

„HR 4796A ist doppelt so groß und doppelt so heiß wie die Sonne“, erklärt John Debes von der Carnegie Institution in Washington, einer der beteiligten Astronomen. Der Stern sei aber erst acht Millionen Jahre alt. Zum Vergleich: Unsere Sonne ist bereits vor viereinhalb Milliarden Jahren entstanden. „Die Untersuchung dieses Systems kann uns also auch neue Erkenntnisse darüber liefern, wie Planeten und möglicherweise Leben entstehen.“ Als erstes „organisches“ Molekül wurde 1969 Formaldehyd im Weltall entdeckt.

Ein Jahr später folgte Methylalkohol. Diese Stoffe haben – so aufregend ihre Entdeckung damals auch für die Astronomen war – noch nicht viel mit Leben zu tun. Als „organisch“ bezeichnen die Chemiker – mit wenigen Ausnahmen – alle Stoffe, die auf dem Element Kohlenstoff basieren. Kohlenstoff besitzt besondere chemische Eigenschaften, die die Entstehung höchst komplexer Ketten- und Ringmoleküle ermöglichen – bis hin zu Aminosäuren, Proteinen und der Erbsubstanz DNS.

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der bekannten organischen Verbindungen im All rasant angewachsen. Inzwischen sind es weit über hundert, jedes Jahr kommen zwei oder drei weitere Moleküle hinzu.

Besonders spektakulär waren beispielsweise die Entdeckungen von Ethylglykol – das auf der Erde als Frostschutzmittel Verwendung findet – oder von Glykolaldehyd, einem einfachen Zucker. In Meteoriten konnten Forscher sogar eine ganze Reihe von Aminosäuren nachweisen, darunter sogar die in der DNS vorkommenden Adenin und Guanin. Doch in kosmischen Gaswolken ist die Existenz von Aminosäuren immer noch umstritten. Zwar verkündete ein amerikanisch-chinesisches Forscherteam im Jahr 2002 den Nachweis von Glyzin in einer Region, in der auch Sterne entstehen. Anderen Astronomen gelang es bislang jedoch nicht, diese Entdeckung zu bestätigen.

Der Nachweis von komplexen Molekülen ist für die Forscher ein spannendes, aber auch ein ausgesprochen schwieriges Geschäft. Einfache chemische Elemente wie Sauerstoff, Stickstoff oder Eisen verraten sich durch charakteristische Linien im Spektrum von Sternen und Gaswolken. Diese Strahlung wird bei ganz bestimmten Wellenlängen durch Elektronenübergänge in den Atomen hervorgerufen.

Auch Moleküle erzeugen typische Spektrallinien, aber durch andere Prozesse. Bei ihnen spielen Schwingungen und Drehungen die entscheidende Rolle. Die Schwingungs- und Rotationszustände der Moleküle können sich nach den Gesetzen der Quantenmechanik nur in diskreten Schritten ändern. Jede solche Änderung entspricht einer bestimmten Strahlungsenergie und damit einer Linie im Spektrum.

Das Spektrum der Moleküle ist entsprechend kompliziert. Je mehr Atome es besitzt, desto mehr Linien kann es auch erzeugen. Zudem ändert sich das Spektrum noch in Abhängigkeit von den herrschenden Druck- und Temperaturverhältnissen. Bei komplexen Molekülen ist eine Berechnung des Spektrums zumeist nicht möglich. Hier müssen die Astronomen auf Untersuchungen im Labor zurückgreifen. Die dort künstlich erzeugten Spektren versuchen die Forscher dann in der Strahlung aus dem Weltall zu identifizieren.

Selbst in den kompaktesten Gaswolken im All ist die Dichte allerdings billionenfach geringer als in der Erdatmosphäre. Für die Forscher war es deshalb lange Zeit ein Rätsel, wie es bei so geringen Dichten überhaupt zu chemischen Reaktionen kommen kann. Denn auf der Erde reagieren Atome und Moleküle miteinander, wenn sie zusammenstoßen. Doch solche Zusammenstöße kommen in kosmischen Gaswolken viel zu selten vor.

Heute sind sich die Wissenschaftler sicher, dass die Staubpartikel in den Wolken die entscheidende Rolle für die kosmische Chemie spielen. Die Staubteilchen besitzen eine vergleichsweise große Oberfläche, an die sich Atome und Moleküle aus der Wolke anlagern können. Die Atome und Moleküle wandern dann auf der Oberfläche der Staubteilchen umher, treffen aufeinander und können so miteinander reagieren und immer komplexere Moleküle bilden.

Wenn schließlich im Inneren der Gaswolke ein neuer Stern entstanden ist, lässt dessen Hitze einen Teil der Moleküle verdampfen. Damit werden die Moleküle für die Astronomen in der Strahlung der Gaswolke sichtbar. Zugleich beginnt sich der Staub langsam zu Planeten zu verdichten. Die Grundbausteine des Lebens könnten also schon bei der Entstehung der Planeten aus dem Weltall mitgeliefert werden.

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