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Robert Koch in Ost-Afrika.

© imago images/KHARBINE-TAPABOR

Wissenschaft und Kolonialismus: Das koloniale Erbe deutscher Forschungsinstitute

Die Wissenschaft war eng mit dem kolonialen Projekt verknüpft. Die Bundesregierung aber stellt keine zusätzlichen Gelder zur Aufarbeitung der Geschichte von Forschungsorganisationen bereit.

Ist die Verstrickung der Wissenschaft in koloniale Verbrechen in Deutschland hinreichend erforscht?  Hat das Gros der wissenschaftlichen Institutionen die eigene Vergangenheit kritisch genug unter die Lupe genommen?

Obwohl sie nicht ausschließen kann, dass Forschungslücken bestehen, sieht die Bundesregierung aktuell wenig Bedarf, die Forschung zur Rolle deutscher Wissenschaftseinrichtungen im Kolonialismus über bereits laufende Projekte hinaus mit zusätzlichen Fördermitteln zu bedenken. Das geht aus einer Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen an das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hervor.

[Lesen Sie hier das Interview mit der Kolonialismus-Forscherin Ina Kerner über koloniale Spätfolgen und die historische Verantwortung der Europäer]

Man begrüße aber die Auseinandersetzung der Institute mit ihrer oft problematischen Historie. So bestätigt das BMBF zwar die Beteiligung der Vorgängerinstitutionen zahlreicher vom Bund geförderter Forschungsorganisationen in „kolonialrevisionistische Bestrebungen zwischen 1919 und 1945“.

Zahlreiche Institutionen mit problematischem Erbe

In der Antwort auf die Anfrage der Grünen werden zahlreiche Institutionen genannt, die an der menschenverachtenden Kolonialpolitik beteiligt waren, von der Landvermessung bis zur medizinischen Forschung, die nicht selten mit Versuchen an der örtlichen Bevölkerung der kolonisierten Regionen einherging.

Die Verstrickungen seien aber weitgehend bekannt und überwiegend öffentlich einzusehen, erklärt das BMBF. Den Grünen reicht das nicht aus. „Eine wirkliche Aufarbeitung in diesem Bereich interessiert die Bundesregierung offensichtlich wenig“, sagt Kai Gehring, Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule der grünen Bundestagsfraktion.

Robert Koch.
Kritik gibt es auch am Namensgeber des Robert-Koch-Instituts.

© picture alliance / dpa

So sind zum Beispiel mehrere Einrichtungen der heutigen Max-Planck-Gesellschaft aus Instituten der 1911 gegründeten „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“ hervorgegangen. Gehring hält eine intensivere Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte durch die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und andere Organisationen für dringend erforderlich. Es müssten endlich die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden, um diese Geschichte wirklich zu erforschen und besser vermitteln zu können.

Tatsächlich war die Forschungswelt häufig eng mit dem kolonialen Projekt verbunden – insbesondere im Feld einer „rassenanthropologischen“ Pseudowissenschaft, die Hierarchien zwischen Gruppen von Menschen konstruierte. Nach Aussage des BMBF ist indessen nicht bekannt, dass die vorwiegend naturwissenschaftlich ausgerichteten Institute der MPG Forschungsaktivitäten in den bis 1918 existierenden deutschen Kolonien entfaltet hätten.

Raub von menschlichen Gebeinen

Die Geschichte des „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ – deren erster Direktor Eugen Fischer menschliche Gebeine nach Deutschland überführte – sei zudem bereits umfänglich erforscht, erklärt das BMBF. Was etwa die Wissenschaftsakademie Leopoldina betrifft, sei bekannt, „dass eine Reihe ihrer Mitglieder in ihrem wissenschaftlichen oder privaten Wirken Bezug zu kolonialen Kontexten hatten“.

Die Leopoldina selbst sei im Kaiserreich aber eine eher unbedeutende, disziplinär begrenzte Regionalakademie ohne finanzielle Mittel für Forschungsaktivitäten gewesen. Die damaligen Mitglieder hätten oft ohne den Auftrag der Institution ihre eigene Forschung betrieben. Die Leopoldina habe zudem mit dem „Zentrum für Wissenschaftsforschung“ in Halle heute genug Möglichkeiten zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Insofern sehe man hier keinen großen Förderbedarf.

Auf die Frage, wie die Bundesregierung zur Debatte um eine mögliche Umbenennung des Robert-Koch-Instituts (RKI) ob der seit längerem bekannten kolonialen Verstrickung ihres Namensgebers steht, gibt das Ministerium keine Antwort. Das RKI sei jedoch im Begriff, Robert Kochs Aktivitäten während der Kolonialzeit wissenschaftshistorisch zu untersuchen, heißt es.

Verwendung des Rasse-Begriffs in Gesetzestexten

Was das Paul-Ehrlich-Institut betrifft – dessen Namenspate ebenfalls in den Kolonialismus verwickelt gewesen sein soll – lägen „keine Erkenntnisse vor, die die 1947 erfolgte Namensgebung des Paul-Ehrlich-Instituts zur Disposition stellen“.

Mit Blick auf die Verwendung des Rasse-Begriffs in Gesetzestexten und anderen Veröffentlichungen, verkündet das Bundesforschungsministerium, dass sich die Bundesregierung noch keine abschließende Meinung gebebildet habe.

Kai Gehring hält das nicht zuletzt vor dem Hintergrund der von führenden Evolutionsbiologen 2019 abgegebenen „Jenaer Erklärung“, der zufolge es keine wissenschaftliche Begründung für die Verwendung des Begriffs „Rasse“ im Zusammenhang mit menschlichen Gruppen gibt, für überaus problematisch. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass Teile der Bundesregierung immer noch am Begriff ‚Rasse‘ im Grundgesetz und anderen Rechtstexten festhalten, obwohl das wissenschaftlich längst als unhaltbar widerlegt wurde.“

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