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Verwildert: Dieser Nachkomme von Hausschweinen lebt wild auf Sardinien. Der Genaustausch lief und läuft in beide Richtungen: Europäische Hauschweine tragen viel wildes Erbmaterial, und Wildschweine viel von ihren domestizierten Artgenossen.

© Domenico Fulgione

Wissenschaftler analysieren DNA-Proben: Viel Wildschwein im Hausschwein

Vor 8500 Jahren brachten Bauern domestizierte Schweine nach Europa. Hier veränderten sich die Tiere völlig. Forscher haben die Geschichte rekonstruiert.

Wildschweine haben für die Entwicklung europäischer Hausschweine eine bislang unterschätzte Rolle gespielt. Obwohl das Hausschwein in Vorderasien domestiziert und von dort nach Europa gebracht wurde, sind die Besonderheiten von deren ursprünglichem Erbgut in den Genomen heutiger Schweine schon seit Jahrtausenden fast völlig verschwunden. Stattdessen überwiegen bereist seit 5.000 Jahren Erbanlagen von europäischen Wildschweinen.

Das ist das Ergebnis eines Großprojekts, in dem mehr als 100 Forscher die Entwicklung des europäischen Hausschweins rekonstruiert haben. Das internationale Team um Laurent Frantz von der Londoner Queen Mary University, darunter viele deutsche Forscher, stellt die Ergebnisse in den «Proceedings» der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften («PNAS») vor.

Demnach wurden Hausschweine (Sus scrofa domesticus) vor etwa 10 500 Jahren aus vorderasiatischen Wildschweinen (Sus scrofa) domestiziert. Vor etwa 8500 Jahren kamen sie mit den damals einwandernden Bauern nach Europa. Dort ging das nahöstliche Erbgut der Hausschweine binnen 3000 Jahren fast vollständig verloren. Bei Hausschweinen, die vor weniger 5.000 Jahren lebten, liegt der Anteil der Studie zufolge im Mittel nur noch bei vier Prozent.

2.100 untersuchte DNA-Proben

"Das Ausmaß, in dem der nahöstliche Anteil der frühesten Hausschweine aus dem Genom der modernen europäischen Schweine getilgt wurde, ist beispiellos", schreiben die Wissenschaftler, darunter Forscher aus Mainz, Berlin, Frankfurt am Main, Mannheim, Konstanz, Speyer und München. Sie hatten fast 2100 DNA-Proben von Mitochondrien - den so genannten Zellkraftwerken - untersucht. Gut 1300 Proben stammten von Haus- und Wildschweinen aus früheren historischen Epochen, die bei Ausgrabungen gefunden wurden.

Die Wissenschaftler nutzten genetische Marker, um die heutigen europäischen Haus- und Wildschweine von den Schweinen aus dem Nahen Osten zu unterscheiden. Bei europäischen Hausschweinen, die vor etwa 8000 bis 5000 Jahren gelebt haben, fanden Frantz und Kollegen teilweise noch einen recht großen Anteil an den ursprünglichen Genvarianten. So hatte ein 7100 Jahre altes Schwein, das im pfälzischen Herxheim gefunden worden war, einen Anteil nahöstlicher Gene von 54 Prozent.

Die Wildheit im Genpool

"Unsere Daten deuten darauf hin, dass in den ersten 2500 Jahren der Schweinezucht fast keine menschliche Selektion für die Entwicklung moderner europäischer Handelsschweine von Bedeutung war", wird Frantz in einer Mitteilung der University of Oxford zitiert. Stattdessen seien zunehmend Erbanlagen europäischer Wildschweine in den Genpool der Hausschweine gelangt.

Dies könnte anfangs unabsichtlich passiert sein, weil Hausschweine damals beim Weiden Kontakt zu Wildschweinen gehabt hätten, schreiben die Forscher. "Die Schweinehaltung in Europa war vermutlich über Jahrtausende extensiv", sagt Ko-Studienleiter Greger Larson aus Oxford. "Obwohl Schweinehirten Selektion für einige Fellfärbungen betrieben, hatten Hausschweine so regelmäßig Kontakt zu Wildschweinen, dass sie die alte Signatur ihrer Abstammung verloren."

Einflüsse vom ostasiatischen Schwein

Später aber könnten solche Kreuzungen vom Menschen bewusst vorgenommen worden sein, etwa mit Hilfe gefangener Wildsauen, wie es heute noch in Neu-Guinea praktiziert wird. Im 19. Jahrhundert folgten dann in Europa Zuchtprogramme, bei denen europäische Hausschweine mit ostasiatischen Varianten gekreuzt wurden. Deshalb haben moderne Zuchttiere wieder einen großen Anteil von Genvarianten, die ursprünglich von asiatischen Schweinen stammen.

Die Paarung von Zucht- und Wildtieren hat übrigens auch bei den Wildschweinen genetische Spuren hinterlassen: In heutigen Wildschweinen aus Griechenland fanden die Forscher bis zu 38 Prozent Gene nahöstlicher Herkunft in der Zellkern-DNA. Bei italienischen Wildschweinen sind es bis zu 10 Prozent. (dpa)

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