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Joachim Nettelbeck.

© Wissenschaftskolleg

Wissenschaftskolleg: Abenteuerlich bescheiden

Navigator des Wissenschaftskollegs: Nach 30 Jahren als Sekretär geht Joachim Nettelbeck in den Ruhestand. Er organisierte das Zusammenleben und -arbeiten der Fellows, baute Tochterinstitute im Ausland auf.

Wikipedia kennt unter dem Namen nur einen Seemann und Verteidiger von Kolberg um 1800. Dabei ist der heute in Berlin und Chamonix lebende gelernte Verwaltungsjurist Joachim Nettelbeck mit großer, auch privater Neigung zu Frankreich in Kreisen der Weltwissenschaft unerhört bekannt.

Als Sekretär des Berliner Wissenschaftskollegs seit dessen Gründung 1981 hat er an die tausend Fellows aus aller Welt empfangen, vernetzt, inspiriert und begleitet. Aufgewachsen im Hause von Hellmuth Becker, dem legendären Bildungspolitiker und Begründer des MPI für Bildungsforschung, hat er dessen Devise vom fruchtbaren Zusammenleben guter Geister und kluger Köpfe in der Berliner Wallotstraße 19 in die Tat umgesetzt, zusammen mit Yehuda Elkana und den Rektoren Wapnewski, Lepenies und Giuliani. Nichts von all dem, was in den vergangenen 30 Jahren neben dem Wissenschaftskolleg her aufgebaut wurde – die Tochterinstitute in Ungarn und Rumänen, die Kooperationen in Indien und Afrika, neuerdings die Transregionalen Studien, die schon auf das Humboldt-Forum zusteuern –, nichts von all dem hätte ohne seine juristischen, diplomatischen und psychologischen Kenntnisse, bei abenteuerlicher Bescheidenheit, zustande kommen können.

Wenn er jetzt altershalber das Kolleg verlässt, nimmt er nicht nur eine große Festschrift mit, sondern auch enorme Kenntnisse. Jeder weiß, dass er fast keinen Vortrag ausgelassen, keine Dienstagslecture versäumt hat. Auf seinen Nachfolger Thorsten Wilhelmi, bislang beim Wissenschaftsrat in Bonn, warten gewiss gebahnte Projekte, die dem Kolleg weiterhin Leuchtspuren aufsetzen sollen, wie etwa das College for Life Sciences für junge Wissenschaftler.

Jung geblieben ist auch Nettelbeck selber mit ganzer Seele, wenn er sich etwa über die neue Epoche des Internets beugt und die enormen Möglichkeiten der digitalen Kooperation erwägt oder wenn er das Alleinstellungsmerkmal des Wissenschaftskollegs in dessen Freiheit von institutioneller Bindung sieht. Mit allen gearbeitet und kommuniziert zu haben – Universitäten, DFG, MPI, Rektorenkonferenz, Wissenschaftsrat, Humboldt-Stiftung etc. – und doch fast vertragslos zu existieren, in „eigentlich immer freundschaftlichen Verhältnissen“: Dieses Kunststück konnte wohl nur ein Seemann, ein Navigator wie er zustande bringen. Man wünscht ihm das Glück solcher Verhältnisse jetzt erst recht.

Claudia Schmölders

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