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Schritt für Schritt. Über die Helmholtz-Gemeinschaft kann Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) – hier bei einem Besuch am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum – Inhalte und Struktur der deutschen Forschung am ehesten beeinflussen.

© dapd

Wissenschaftssystem: Helmholtz stellt die Machtfrage

Die Helmholtz-Gemeinschaft will noch wichtiger werden. Kritiker befürchten, das deutsche Wissenschaftssystem könnte ins Rutschen geraten - insbesondere zu Lasten der Universitäten.

Die außeruniversitäre Forschung in Deutschland durchlebt eine goldene Periode. Zuerst erfreuten Bund und Länder die vier Organisationen Helmholtz, Max Planck, Fraunhofer und Leibniz mit einem jährlichen Zuwachs ihrer Haushalte um drei Prozent für die fünf Jahre bis 2010. Dann packten die Parlamente sogar noch etwas drauf: Für weitere fünf Jahre gibt es jährlich fünf Prozent mehr. Die Organisationen forschen fast sorgenfrei.

Doch läuft der „Pakt für Forschung und Innovation“ nur noch bis zum Jahr 2015. Und dann? Die vier außeruniversitären Forschungsgemeinschaften ahnen, dass das Wohlleben nicht weitergeht. Die Nervosität nimmt zu. Schließlich werden die Eckpunkte für die Forschungspolitik der nächsten Jahre schon nach den Bundestagswahlen im Herbst 2013 im Koalitionsvertrag festgelegt. Und schon im Frühjahr will der Wissenschaftsrat Empfehlungen zur gesamten deutschen Wissenschaftslandschaft geben. Für die Forschungsorganisationen geht es um Milliarden und um ihre zukünftige strategische Position.

Jede der Gemeinschaften versucht darum bereits, neues Terrain zu gewinnen. Die Max-Planck-Gesellschaft fordert für sich den Status einer „Graduierten-Universität“ – also das Promotionsrecht. Die Leibniz-Gemeinschaft drängt auf den Campus der Unis. In gemeinsamen „Forschungsfakultäten“ oder in Leibniz-Instituten könnten Exzellenzcluster verstetigt werden, wenn die Finanzierung aus dem Elitewettbewerb im Jahr 2017 ausläuft.

Argwohn erregen jedoch vor allem die Pläne der Helmholtz-Gemeinschaft: Sie will „eine führende forschungspolitische Rolle“ übernehmen, ist in einem Entwurf für ein Strategie-Papier „Helmholtz 2020“ zu lesen. Ein Wissenschaftsmanager, der anonym bleiben will, wirft der Helmholtz-Gemeinschaft nun einen „Allmachtsanspruch“ vor. Sie versuche, große Teile der Wissenschaft „strategisch zu vereinnahmen“ und selbst zum „Systemsteuerer“ zu werden – auf Kosten der anderen Organisationen und der Universitäten. „Es ist interessant, wie offen die Helmholtz-Gemeinschaft ihren Machtanspruch artikuliert“, sagt auch Krista Sager, die Wissenschaftsexpertin der Grünen im Bundestag.

Tatsächlich strebt Helmholtz nach neuen Aufgaben. In „nationalen Einrichtungen“ will sie nach Vorbild des Karlsruher KIT eigene Institute mit Unis verschmelzen. Daneben will sie mit Unis „strategische Netzwerke“ bilden. Auch dabei geht es um mehr als um Projekte auf Zeit. Vielmehr soll die Finanzierung „institutionell“, also dauerhaft zugesagt werden, die Partnerinnen sollen „langfristige Verpflichtungen“ über inhaltliche Schwerpunkte eingehen (von „Erneuerbaren Energien“ über „Gesellschaftliche Daseinsvorsorge“ bis zu „Personalisierter Medizin“). Den Hut bei der „strategischen Gestaltung“ hat jeweils ein Helmholtz-Zentrum auf. In die Projektförderung will Helmholtz ebenfalls im großen Stil einsteigen. Wie die DFG würde sie Geld an Wissenschaftler verteilen. Auch die Außenvertretung in „internationalen Forschungsinfrastrukturen“ will Helmholtz für die deutsche Wissenschaft wahrnehmen. Das große Ziel: eine „Forschungspolitik aus einem Guss“ – eben durch Helmholtz.

Bei dem Helmholtz-Papier handelt es sich nur um einen „Entwurf“. Man werde „Rat, Kritik und Ermutigung“ aus dem Helmholtz-Senat aufnehmen, um die Strategie im September auf der Mitgliederversammlung zu verabschieden, erklärt Jürgen Mlynek, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, auf Nachfrage: „In Kernpunkten wird es aber Bestand haben.“ Schließlich müsse der Pakt für Forschung und Innovation nach 2015 neu ausgerichtet werden: „Einfach nur quantitativ und qualitativ weiter so: Das geht nicht.“

Mlyneks Selbstbewusstsein speist sich nicht zuletzt aus der pole position, die die Finanzierungsmodalitäten der Gemeinschaft verschaffen. Anders als die Max-Planck-Gesellschaft und die Leibniz-Gemeinschaft wird Helmholtz nicht nur zu fünfzig, sondern zu neunzig Prozent vom Bund finanziert. Jetzt, da die Länder angesichts der Schuldenbremse immer größere Schwierigkeiten mit ihren Haushalten haben, entwickelt sich das zunehmend zu einem Vorteil.

Die Leibniz-Gemeinschaft bekam das im vergangenen Jahr zu spüren. Sie musste ihr Institut für Meeresforschung in Kiel, das IFM-Geomar, der Helmholtz-Gemeinschaft überlassen. Die Ansicht setzte sich durch, Schleswig-Holstein habe mit der Bundesregierung einen Kuhhandel abgeschlossen: Um die Stimme des Landes für ihr „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ zu bekommen, nahm es ihm die finanzielle Last des Geomar von den Schultern. Die Leibniz-Gemeinschaft war schockiert. Und die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) warnte vor einer „Helmholtzifizierung“. Denn bei Helmholtz nehme der Bund „top-down“ Einfluss auf die Themen der Forschung.

Auch die Struktur der Forschungslandschaft beeinflusst Bundesforschungsministerin Annette Schavan über die Helmholtz-Gemeinschaft: indem sie (Teil-)Fusionen von Unis mit Helmholtz-Instituten unterstützt, weil hier die Zustimmung allein des Sitzlandes reicht. Schavan hat erklärt, dass sie im Karlsruher KIT und in der geplanten Fusion von Teilen der Charité-Forschung mit dem Max-Delbrück-Centrum Vorbilder für weitere Ehen mit Helmholtz sieht. Zu der Strategie-Skizze will sie sich nicht äußern.

Was soll an den Plänen falsch sein? Kooperationen zwischen den Außeruniversitären und Universitäten sind schließlich von allen Akteuren hochgradig erwünscht. So sieht es auch Mlynek: „Wir haben eine bestimmte forschungspolitische Rolle und bestimmte Themen. Diese wollen wir strategisch vorantreiben.“ Partner aus den Universitäten wolle Helmholtz „mit an Bord nehmen“, „damit sie uns stärken und ergänzen“. Die Unis würden dazu nicht gezwungen.

Dem widerspricht jedoch die Grüne Krista Sager. Helmholtz’ Geld ermögliche angesichts der Unterfinanzierung der Universitäten die „Vermachtung“ wissenschaftlicher Kooperationen. Helmholtz könne so seine inhaltlichen Prioritäten durchsetzen. Uni-Wissenschaftler, die „da nicht mitziehen“, müssten damit leben, „außen vor“ zu sein.

Sager irritiert es besonders, dass die Helmholtz-Gemeinschaft ihren Anspruch auf Dominanz lediglich mit ihrer bereits erreichten Größe und Finanzkraft begründe: „Es ist nicht zu erkennen, dass die Helmholtz-Gemeinschaft sich zukünftig einer wettbewerblichen Qualitätsüberprüfung in Konkurrenz zu anderen Forschungseinrichtungen und Universitäten stellen will“, sagt sie.

Dies wurde bereits vielfach bei den umstrittenen sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung (DZG) kritisiert, mit denen der Bund die Erforschung großer Volkskrankheiten fördert. Ein Helmholtz-Zentrum kooperiert dabei jeweils mit mehreren Unis und anderen außeruniversitären Instituten. Doch die Uniklinika mussten sich einer „Besten-Auswahl“ stellen, während die Helmholtz-Institute als cash cows schon gesetzt waren.

Auch die Finanzierungs- und Entscheidungswege in den DGZ begünstigen die Helmholtz-Gemeinschaft: Die Arbeitsgemeinschaft Hochschulmedizin hat bereits von Helmholtz „Respekt“ gefordert. Befürchtet wird auch ein „Braindrain“, wenn Helmholtz Wissenschaftlern bessere Konditionen bieten kann als die Unis. Helmholtz-Präsident Mlynek hält solche Klagen für wirklichkeitsfern: „Die Unis sind nicht untergebuttert worden. Das sehen nur ganz wenige so.“

Wie könnte es weitergehen? Nach dem Scheitern des KIT-Clusters im Exzellenzwettbewerb sei jedenfalls klar geworden: „Große Fusionen sind kein Garant für wissenschaftlichen Erfolg“, sagt Krista Sager. Dem müssten sich auch Mlynek und Schavan stellen.

DFG-Präsident Matthias Kleiner fordert „Balance“. Dazu müssten die Unis „in den Fahrersitz gesetzt werden“, erklärt er auf Anfrage. Von ihnen sollte die Initiative zu Kooperationen ausgehen, sie sollten deren Richtung und Intensität bestimmen. Geeignete finanzielle Instrumente müssten geschaffen werden.

Die EFI-Kommission hat sich für eine große Reform ausgesprochen, um Unwuchten zu verringern: Für die vier Forschungsorganisationen solle der gleiche Finanzierungsschlüssel gelten: 70 Prozent der Mittel vom Bund, 30 von den Ländern. Politische Bewegung in diese Richtung ist jedoch nicht zu erkennen.

Mlynek schließlich hofft, dass Schavan mit ihrem Vorschlag zur Grundgesetzänderung durchkommt. Der Bund könnte dann Einrichtungen an Unis direkt – ohne rechtlich komplizierte Umwege über Helmholtz – bezuschussen. „Das würde den Druck von der Helmholtz-Gemeinschaft nehmen, sich ständig rechtfertigen zu müssen“, sagt Mlynek.

Richtig weichen würde der Rechtfertigungsdruck auf Helmholtz aber wohl erst dann, wenn Finanzen und Entscheidungswege die Unis in die pole position der deutschen Wissenschaft brächten.

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