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Wissen: Wo denken wir hin?

Durch die Verbindung von Computer und Gehirn könnte Gelähmten in Zukunft geholfen werden. In Nürnberg haben Forscher die neusten Entwicklungen aus der Neurotechnik vorgestellt

Thomas bewegt sich eine Straße entlang. Bei einer Frau, graue Hose, gelber Pullover, kurze schwarze Zöpfe, bleibt er kurz stehen. Dann bewegt er sich weiter. Eine ganz alltägliche Szene eigentlich. Aber Thomas hatte 1999 einen Badeunfall. Seither sitzt er im Rollstuhl. Die Straße, durch die er sich bewegt, ist eine virtuelle, von verschiedenen Beamern auf drei Wände und den Fußboden eines kargen Raumes, drei mal vier Meter groß, projiziert. Aber das Entscheidende: Thomas steuert seine Bewegung nur mit seinen Gedanken.

Am Wochenende wurde das Video auf dem Symposium „Neurotechnik und Neuroethik“ in Nürnberg gezeigt. Denn Thomas ist ein Protagonist der Geschichte, die Neurologen, Informatiker und Techniker momentan schreiben, ein Puzzleteil von vielen, die zusammen ein Bild der Zukunft ergeben – der Zukunft unseres Gehirns. Und das hat biblische Qualitäten: Lahme, die wieder gehen, Blinde, die wieder sehen, Taube, die wieder hören.

Kürzlich berichteten Forscher im Fachblatt „Nature“, dass es ihnen gelungen ist, Affen einen gelähmten Arm steuern zu lassen. Sie hatten die Signale aus dem Gehirn über eine künstliche Leitung an die Muskeln übertragen. Andere Wissenschaftler arbeiten an einer Technik, bei der Prothesen mit der Kraft der Gedanken gesteuert werden. Die Idee solcher Gehirn-Computer-Schnittstellen ist einfach: Elektrische Erregungen im Gehirn werden an einen Chip übermittelt, der aufgrund dieser Befehle Prothesen oder Maschinen in Bewegung setzt. Oder eine Maschine nimmt Reize auf, die in elektrische Erregungen übersetzt und ans Gehirn geleitet werden, wo sie wie andere Sinneseindrücke auch verarbeitet werden.

Gert Pfurtscheller, Professor für medizinische Informatik an der Technischen Universität Graz, arbeitet seit Jahren mit dem querschnittgelähmten Thomas an so einer Schnittstelle: Er will dem Computer in dessen Rollstuhl beibringen, auf Thomas Gedanken zu hören. Das geht, weil das Gehirn Informationen über elektrische Reize weiterleitet. Die zahllosen elektrischen Felder der Nervenzellen summieren sich zu einem größeren Feld, das über Elektroden am Kopf abgelesen werden kann: Das ist das Prinzip des Elektroenzephalogramms (EEG). Theoretisch kann man im EEG also sehen, wenn ein Mensch denkt. Der Computer muss aber nicht nur erkennen, dass das Gehirn denkt, sondern auch, was. „Nicht alle Gedanken eignen sich gleich gut“, sagt Pfurtscheller. Wenn jemand an eine Katze oder Blume denke, gebe es viele Veränderungen im Gehirn an verschiedenen Stellen. Der Gedanke sei von anderen nicht zu unterscheiden.

Gedanken an Bewegungen sind anders. Es gibt einen Bereich im Gehirn, den motorischen Kortex, der willkürliche Bewegungen generiert. Das Areal ist ein schmaler Streifen, fast wie ein Haarreif. Stellen Menschen sich Bewegungen vor, arbeitet dieses Hirnareal. Ganz so, als würden sie die Bewegung ausführen. Diese Aktivierung ist örtlich begrenzt und kann von den Elektroden abgelesen werden. „Wenn man sich eine Fußbewegung vorstellt, ändert sich das Muster im EEG dramatisch“, sagt Pfurtscheller. Ein Computer kann aus dem EEG-Muster diesen Unterschied erkennen und den Rollstuhl entsprechend anweisen. Irgendwann soll es dann nicht mehr ein Rollstuhl sein, der so bewegt wird, sondern eine Prothese.

Aber natürlich lassen sich Gehirn-Computer-Schnittstellen auch für andere Zwecke nutzen: Ein System etwa, das Autofahrer warnt, wenn ihre Gedanken abschweifen. Auf dem Symposium erzählt ein Mann von seinem dreijährigen Pflegesohn, der kaum ein Kleinhirn habe. „Was wäre da möglich mit dieser Technologie?“, fragt er. Und eine Frau sagt: „Ich habe gelesen, dass das Pentagon Kampfpiloten Computerchips ins Gehirn setzt. Stimmt das?“

Hoffnungen und Ängste liegen auch bei der Neurotechnik nah beieinander, entsprechend heftig wird darüber gestritten. Dem Gefühl in der Öffentlichkeit, diese Entwicklungen stünden kurz bevor und es sei nur eine gewisse Hemmung der Wissenschaftler, die ihren Einsatz verhindert, traten viele Forscher entgegen. „Wissenschaft ist keine amorphe, zuckende Masse, die von heute auf morgen schreckliche Dinge produziert“, sagt der Neurowissenschaftler Cornelius Schwarz. Auch Peter Fromherz, der am Max-Planck-Institut für Biochemie versucht, Computerchips und Nervenzellen zu vereinen, warnt davor, das Tempo der Forschung zu überschätzen. „Journalisten nutzen gern utopische Vorhersagen. Aber die Entwicklung ist sehr langsam.“ Das sieht Gabriel Curio von der Charité ähnlich. Er werde oft gefragt wann es so weit sei, dass Gehirn-Computer-Schnittstellen vielen behinderten Menschen das Leben erleichtern: „Wenn mich Journalisten vor fünf Jahren gefragt haben, habe ich gesagt, in fünf Jahren. Inzwischen bin ich da vorsichtig geworden. Ich sage keine Zahl mehr.“

Aber auch wenn es noch lange dauern kann, bis viele der Visionen Realität sind: Die Diskussion, wie diesen Entwicklungen zu begegnen ist, ist in vollem Gang.

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