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Familienidyll. Frei lebende Wolfsrudel in Deutschland sind vorerst nicht in Gefahr, genetisch zu verarmen.

© picture alliance / ZB

Wölfe: Frisches Blut für die Brut

Es ist nicht nur der Mensch, der Wölfen gefährlich werden kann. Der größte Feind steckt möglicherweise in ihnen selbst, denn genetische Inzucht macht die Raubtiere anfällig für Krankheiten.

Es ist nicht nur der Mensch, der Wölfen gefährlich werden kann. Der größte Feind steckt möglicherweise in ihnen selbst, denn genetische Inzucht macht die Raubtiere anfällig für Krankheiten. Das belegt das Beispiel der Wölfe auf der Isle Royale im Oberen See an der Grenze zwischen den USA und Kanada. Ihr Heulen könnte bald verstummen, berichtet das amerikanische Wissenschaftsmagazin „Science“.

Wildbiologen und Naturschützer in Europa beobachten diese Entwicklung auf dem 72 Kilometer langen und bis zu 13 Kilometer breiten nordamerikanischen Eiland aufmerksam. Die Wölfe dort kämpfen mit dem gleichen Problem, das auch ihre Artgenossen in Schweden, im Osten Deutschlands und im Westen Polens haben. Da die Rudel in allen drei Regionen von wenigen Urahnen abstammen, droht Inzucht. Nach einigen Raubtiergenerationen könnte die Art wieder aussterben, wenn keine Wölfe aus anderen Gebieten ankommen und neues Erbgut zu den eng verwandten Artgenossen bringen.

Dramatisch ist die Situation vor allem auf der Isle Royale, die ziemlich abgelegen im Oberen See liegt, der mit 82 000 Quadratkilometern fast genauso groß wie Österreich ist. Da die nächste Küste 24 Kilometer entfernt ist und sich nur in sehr strengen Wintern eine Eisdecke zwischen der Insel und dem Rest Nordamerikas bildet, konnte in historischer Zeit erst 1948/49 ein Wolfspaar dort einwandern. Weil bereits um 1900 einige Elche das Eiland erreicht hatten, lebten die Raubtiere erst einmal in einem Schlaraffenland. Die großen Hirsche hatten sich ohne Feinde stark vermehrt und bei den Wölfen stand Elch auf der Speisekarte.

Für Wildbiologen wurde die Isle Royale bald zu einem Lehrbeispiel für die Zusammenhänge zwischen Raubtieren und ihrer Beute. Weil die Elche keine Feinde mehr kannten, landeten zunächst viele von ihnen in den Mägen der Wölfe, die sich so rasch vermehrten. Bis zu vier Rudel dieser grauen Raubtiere streiften später gleichzeitig über die Insel und dezimierten die Hirsche stark. Je weniger Elche aber unterwegs waren, umso häufiger knurrten die Wolfsmägen. Weniger Welpen wurden geboren, die Rudel schrumpften. Im Laufe der Zeit stellte sich ein munteres Auf und Ab ein. Die Zahl der Elche schwankte zwischen 540 und 2450 Tieren. Bei den Wölfen zählten die Forscher zwischen 14 und 50 Köpfe. Während die Elche von verschiedenen Urahnen abstammten, hatten alle Wölfe nur eine einzige Urmutter, die im Winter 1948/49 auf die Insel gekommen war. Unter so eng verwandten Tieren wirken Krankheitserreger wie ein 1980 eingeschlepptes Parvovirus verheerend. Innerhalb von zwei Jahren dezimierte es die Zahl der Wölfe um 75 Prozent.

Biologen wissen, dass eine solche Population eng verwandter Tiere zum Aussterben verurteilt ist, wenn kein neues Blut zu ihnen kommt. Auf der Isle Royale dauerte es bis 1997, als ein Wolfsrüde wieder eine feste Eisdecke fand, auf der er bis zur Insel wandern konnte. Mit einem Weibchen aus der Nachkommenschaft des ersten Wolfspaares gründete er ein Rudel und dominierte bald das Eiland.

Die Blutauffrischung kam vermutlich zu spät, 2012 lebten nur noch acht Wölfe auf der Isle Royale, zum ersten Mal seit 1948 wuchs kein einziger Welpe auf. Inzucht gefährdet den Bestand, berichtet „Science“. Ähnlich könnte es auch den schwedischen Wölfen gehen, die im Süden des Landes praktisch ausgestorben waren. Erst 1983 wurden dort wieder Welpen geboren. Seither hat sich ein Bestand von etwa 150 Wölfen etabliert. Allerdings stammen alle Tiere von drei Rüden aus Russland ab. Da die Raubtiere dabei die Region der Rentierzüchter durchqueren müssen, die Wölfe jagen, hat diesen Weg seit den 1980er Jahren offensichtlich kein Tier mehr lebend passiert. Bereits 2007 waren die schwedischen Wölfe erheblich näher als leibliche Geschwister miteinander verwandt. Auch ihnen droht Inzucht.

Bei den Wölfen in Deutschland und im Westen Polens ist die Situation weniger dramatisch. Im April 2013 lebten in Deutschland 18 Wolfsrudel sowie vier Paare ohne Nachwuchs. Im Westen Polens sind es ähnlich viele Gruppen, zeigt eine Studie der Naturschutzorganisation Euronatur und des Internationalen Tierschutzfonds. Aber auch diesen Tieren droht ein genetischer Flaschenhals, wenn die Zuwanderer ausbleiben.

Die nächste große Population lebt vom Osten Polens bis in die Weiten Russlands. Dazwischen liegt intensive Landwirtschaft in der dicht besiedelten Mitte Polens. Auch dort fallen den Wölfen Wanderungen schwer. Obendrein legen vermutlich Jäger illegal häufig auf Wölfe an, viele Raubtiere sterben auch beim Überqueren von Straßen und Autobahnen. „Wir versuchen daher, die Wanderkorridore der Wölfe zwischen dem Osten und dem Westen Polens zu erhalten und schrittweise zu verbessern“, erklärt Gabriel Schwaderer. „Die Erfolge können sich sehen lassen, gemeinsam mit unseren polnischen Partnern haben wir eine ganze Reihe von Wildbrücken über Straßen und Autobahnen durchgesetzt“, fasst der Euronatur-Geschäftsführer zusammen. Genau solche Brücken fehlen auf der Isle Royale. Roland Knauer

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