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Adler-Skulptur vor dem Flughafen Tempelhof

© Caro / Lederbogen

Wolfgang Benz über NS-Großbauten: Errichtet, um zu verführen und zu unterwerfen

Der Flughafen Tempelhof, das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und das Seebad Prora: Die nationalsozialistischen Großbauten müssen zu Gedenk- und Lernorten werden, fordert der Historiker Wolfgang Benz in einem Beitrag für den Tagesspiegel.

Anfang 1934 bekam Albert Speer den ersten großen Auftrag des NS-Regimes. Auf dem Nürnberger Zeppelinfeld sollte er für die künftigen Reichsparteitage der NSDAP die provisorische Holztribüne durch ein monumentales und repräsentatives Bauwerk ersetzen. Der Pergamonaltar stand Pate. Der Bauherr, Adolf Hitler, war vom ersten Gipsmodell an begeistert, und seinen Leibarchitekten erfüllte das noch Jahrzehnte später mit Stolz. Dankbar übernahm Speer denn auch Hitlers Architektur-Philosophie, nach der Geist und Größe einer Epoche in späterer Zeit nur noch an ihren Bauwerken oder deren Relikten zu erkennen seien.

Speer entwickelte daraus die „Theorie vom Ruinenwert“ eines Baues. Inspiriert habe ihn der Abbruch des Nürnberger Straßenbahndepots, das dem NS-Aufmarschgelände weichen musste. Die gesprengte Eisenbetonkonstruktion bot einen so trostlosen Anblick, dass er neue Wege ergrübelte, die den künftigen Verfall der Herrschaftsarchitektur des Nationalsozialismus zur Botschaft einstiger Größe nutzen sollten, erklärte Speer: Modern konstruierte Gebäude seien wenig geeignet, „die von Hitler verlangte ‚Traditionsbrücke’ zu künftigen Generationen zu bilden: undenkbar, dass rostende Trümmerhaufen jene heroischen Inspirationen vermittelten, die Hitler an den Monumenten der Vergangenheit bewunderte. Diesem Dilemma sollte meine ,Theorie’ entgegenwirken: Die Verwendung besonderer Materialien sowie die Berücksichtigung besonderer statischer Überlegungen sollte Bauten ermöglichen, die im Verfallzustand, nach Hunderten oder (so rechneten wir) Tausenden von Jahren etwa den römischen Vorbildern gleichen würden.“

Albert Speer erfindet nachträglich die „Ruinenwert“-Theorie

Dies schrieb Speer aber erst in seinen Erinnerungen 1969, weshalb Architekturhistoriker davon ausgehen, Speer habe die „Ruinenwert“-Theorie nachträglich erfunden. Eine romantische Zeichnung Speers, mit der er seine Idee für das Zeppelinfeld illustrierte, ist allerdings 80 Jahre nach Baubeginn nahezu Realität geworden: Die Skizze stellte dar, „wie die Tribüne des Zeppelinfeldes nach Generationen der Vernachlässigung aussehen würde, überwuchert von Efeu, mit eingestürzten Pfeilern, das Mauerwerk hie und da zusammengefallen, aber in den großen Umrissen noch deutlich erkennbar“.

Relikte und Ruinen der Baupolitik des NS-Staats sind in erheblicher Zahl vorhanden. Viele sind weitergenutzt worden, wie die beiden „Führerbauten“ in München, die Institute und die Musikhochschule beherbergen, oder der Zentralflughafen Berlin-Tempelhof, der bis 2008 in Betrieb war und in dem heute „Events“ stattfinden. Unter den Gebäuden, die seit der Nachkriegszeit verschiedenen Zwecken dienten, ist auch Görings Luftfahrtministerium, in der DDR „Haus der Ministerien“, dann Hauptquartier der „Treuhandanstalt“ und jetzt Sitz des Bundesfinanzministeriums. Andere Gebäude sind unmittelbar oder bald nach dem Ende des Dritten Reiches untergegangen, wie Teile der Zeppelintribüne in Nürnberg oder die Bauten auf dem Obersalzberg. Letztere wurden gesprengt, damit sie nicht Kultstätten würden.

Erhalten oder abreißen? Es geht um den Wert als Lernort

Nicht jedes Relikt des zwölfjährigen nationalsozialistischen Regimes ist erhaltungswürdig. Was nur als Faszinosum oder als Sensation taugt, verschwindet besser, wie der Bunker unter der Reichskanzlei, in der Hitler zugrunde ging. Profane Bauten aus der NS-Zeit sind nicht auch nur daran zu messen, ob sie authentisch und historisch sind, sondern daran, welchen Wert als Lernort oder als Symbol der Gewaltherrschaft sie haben.

Was also ist zu tun mit den Großbauten des Nationalsozialismus, für die es bislang kein schlüssiges Nutzungskonzept gibt? Was für eine Zukunft haben der Flughafen Tempelhof, das Nürnberger Parteitagsgelände oder auch die als nationalsozialistisches Seebad geplante Anlage Prora auf der Insel Rügen?

Grundsätzlich ist kontrollierter Verfall durchaus eine Option im Umgang mit NS-Bauten und oftmals sogar die bessere als der Abriss oder die vollständige Rekonstruktion. Doch gleichzeitig müssen Wege gefunden werden, die inszenierte Magie der Monumentalbauten des Nationalsozialismus zu brechen und sie fruchtbar zu machen für das aktive Gedenken an die Gewaltherrschaft.

Tempelhof ist ein Symbol des Größenwahns

Auf dem Flughafen Tempelhof ist das Dilemma gerade wieder evident geworden. Einem Gutachten zufolge würde die Sanierung des 1934 bis 1941 von Ernst Sagebiel errichteten, der Fläche nach damals größten Gebäudes der Welt eine halbe Milliarde Euro kosten (Tagesspiegel vom 31. Juli und 1. August). Doch gerade in seinem teilweise ruinösen Zustand ist es etwa für die Modemesse Bread & Butter oder für Musikfestivals und Laufveranstaltungen eine begehrte Kulisse.

In diesem Monument des Größenwahns – der Flughafen sollte als Drehkreuz der Welthauptstadt Germania dereinst sechs Millionen Passagiere jährlich bewegen – muss aber auch Platz sein für zeithistorische Reflexion. Zumal sich mit Tempelhof auch die Leiden von Insassen des Konzentrationslagers Columbia-Haus und der Zwangsarbeiterlager auf dem Flugfeld verbinden.

Die nationale Aufgabe des Gedenkens und Lernens könnte sich hier mit der Suche nach einem zusätzlichen Geldgeber für die Konservierung der Flughafengebäude verbinden. Der Vorschlag der Berliner Grünen, die Zentral- und Landesbibliothek sowie Bundesmuseen darin anzusiedeln, weist in die richtige Richtung.

Aus der Zeppelintribüne spricht der Macht- und Herrschaftsanspruch

Das größte Projekt der ideologisierten Ästhetik des Nationalsozialismus war das Reichsparteitagsgelände als Kultort der „Bewegung“. Der Kult bestand aus Unterwerfungsritualen und Gemeinschaftsangeboten, aus Lockung und Zwang. Der Gesamtkomplex war als ritueller Ort konzipiert, als steinerner Rahmen für eine uniformierte Menschenmasse.

Die Zeppelintribüne in Nürnberg konkretisiert auch in ihrer heutigen Erscheinungsform als reduzierte Teilruine noch nationalsozialistische Ideologie. Aus ihr spricht der Macht- und Herrschaftsanspruch wie aus keinem anderen architektonischen Relikt. Sie ist keine Gedenkstätte wie sie am Ort der Konzentrationslager unabdingbar existieren. Aber sie ist der zentrale Ort, an dem Nationalsozialismus erfahrbar zu machen ist. Hier wird verstehbar, dass die NS-Herrschaft nicht eine Katastrophe war, die durch Gewalt über Deutschland und das deutsche Volk hereinbrach.

Die Tribüne als zentralen Bestandteil des Reichsparteitagsgeländes zu sichern, ist wiederum kein lokales Projekt, sondern ein nationales. Dasselbe gilt für die Klärung der Frage, was zu tun ist, damit heutige und künftige Generationen an diesem Ort gedenken und lernen können. Eine solche Konzeption muss keineswegs mit dem Bekenntnis zur Entmythologisierung des Ortes durch Profanierung, wie seit langem in Nürnberg mit Autorennen oder Popkonzerten auf dem Parteitagsgelände praktiziert, unvereinbar sein.

Auch in Prora wurde Erinnerungspolitik versäumt

Besonders problematisch ist indes Prora, nach Nürnberg und Tempelhof die größte architektonische Hinterlassenschaft des Dritten Reiches. Als Prunkstück nationalsozialistischer Sozialpolitik war das „Seebad der 20 000“ geplant. Die unvollendete monströse Erholungsanlage der Organisation „Kraft durch Freude“ ist ein dramatisches Beispiel für versäumte Gelegenheiten der Erinnerungspolitik.

Im Mai 1935 war der Grundstein gelegt worden. Vom Architekten Clemens Klotz waren acht Blöcke von je 500 Metern Länge als Bettenhäuser mit Front zur See und insgesamt 10 000 Zimmern vorgesehen, außerdem eine Festhalle, Restaurants und ein Theater, ein Bahnhof und eine Kai-Anlage. Die Bauarbeiten wurden 1939 eingestellt, fertig waren im Rohbau die Bettenhäuser, die im Krieg als Lazarett und zur Unterbringung von Flüchtlingen aus Ostpreußen und Evakuierten aus Hamburg genutzt wurden. Die Rote Armee sprengte einen Teil der Bauten, die übrigen dienten bis 1990 der Nationalen Volksarmee der DDR.

Den Mythos des fürsorglichen Nationalsozialismus erledigen

Seitdem werden vergeblich Nutzer für die „Paradiesruinen“ gesucht. Private Investoren haben das Gelände zur Erleichterung der Behörde von der Bundesvermögensverwaltung übernommen. Größtenteils liegt Prora weiter in Ruinen, ihre Hässlichkeit ist der schlagende Beweis, dass Speers Ruinenwert-Theorie wertlos war. Doch wenn sich die Politiker des Bundes, des Landes und der Insel endlich aufrafften, einen kleinen exemplarischen Teil der Anlage zur fundierten Aufklärung über die Sozialpolitik des NS-Staates zu nutzen, hätten die Ruinen doch einen Sinn. Aufzuklären wäre über die Verführung der Werktätigen unter der Zauberformel „Kraft durch Freude“, über die Indienstnahme der „Volksgenossen“ durch die Lockung günstig organisierter Freizeit. Prora wäre der Ort, die Mythen vom fürsorglichen Nationalsozialismus zu erledigen.

Für die Chancen eines solchen Museums der Sozialpolitik des NS-Staates spricht der Erfolg des von der öffentlichen Hand kaum unterstützten Dokumentationszentrums Prora. Dessen Ausstellung „Macht Urlaub“ findet Anklang bei Urlaubern, die wissen wollen, wie staatlich gelenkte Freizeit funktioniert hat. In einem weiteren Riegel wurde im Sommer 2011 mit großem Aplomb eine Jugendherberge eröffnet. Ihre Möglichkeiten werden kaum zur Vermittlung historischer Erkenntnis unter jugendlichen Touristen ausreichen.

Berlin kann es, das zeigt der Schwerbelastungskörper

Ein Beispiel gelungener Nutzung eines banalen Relikts nationalsozialistischer Architektur als Lern- und Erinnerungsort ist der „Schwerbelastungskörper“. Dieses Monument in Tempelhof (General-Pape-Straße, Ecke Loewenhardtdamm) vermittelt Einsichten über die politische Manipulation von Räumen und damit die Instrumentalisierung von Menschen. Es ist ein Relikt der architektonischen Neugestaltung der Hauptstadt „Germania“, in die Speer auf Befehl seines Bauherrn Hitler Berlin verwandeln sollte. Der Betonklotz, 12 650 Tonnen schwer, ragt 12 Meter in die Höhe und 18 Meter in die Tiefe. Das zylindrische Bauwerk steht seit 1995 unter Denkmalschutz. Es war bis vor kurzem von wucherndem Wildwuchs umgeben und unbeachtet.

Der Bau, 1941 für eine Nutzungsdauer von lediglich 20 Wochen errichtet, um die Tragfähigkeit des Untergrunds für den geplanten Triumphbogen zu erproben, ist seit 2009 Informationsort und eine Attraktion für stadtgeschichtlich Interessierte. Neben dem Schwerbelastungskörper erhebt sich jetzt ein Gerüst, das Besuchern nicht nur den Blick von oben auf das Ungetüm ermöglicht, sondern auf Berlin in der Perspektive, aus der es sich als Megalopolis „Germania“ präsentiert hätte. Das Gerüst ist so hoch, wie die Nord-Süd-Achse aufgeschüttet worden wäre. Der Ausblick ist grandios und vermittelt einen realistischen Eindruck vom nationalsozialistischen Bauwillen, dessen Intentionen an Ort und Stelle erläutert werden. Das alles hat rund eine Million Euro gekostet.

Hier ist gelungen, was auch für die anderen NS-Großbauten zu wünschen ist: Man verlässt den Ort mit der Erkenntnis, wie Menschen in den Dienst einer Ideologie genommen wurden, als Masse unter dem irreführenden betörenden Begriff „Volksgemeinschaft“ oder als Herrenmenschen, wofür der Triumphbogen von Berlin-Germania stehen sollte.

Es geht um Funktion und Wirkung von Herrschaftsarchitektur. Das ist das zentrale Thema der nationalsozialistischen Monumentalbauten. Herrschaftsarchitektur wurde errichtet, um Menschen gleichzeitig zu unterwerfen, zu überwältigen und zu verführen, indem ihnen die Emotion der Überlegenheit über andere, „minderwertige“, vermittelt wurde.

Gefordert ist vom Bund und den betroffenen Ländern eine Gesamtkonzeption für die NS-Großbauten, die sie in diesem Sinne für die Nachwelt erschließt.

Wolfgang Benz ist Historiker und ehemaliger Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin.

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