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Vor allem in Lateinamerika, wie hier in Brasilien, werden viele Kinder mit Fehlbildungen geboren, deren Mütter sich in der Schwangerschaft mit Zika infiziert hatten.

© dpa/Antonio Lacerda

Zika-Folgen: Das Virus bleibt gefährlich

Forschern ist erstmals eine konkrete Risikoabschätzung zu Missbildungen bei Embryos gelungen, die sich im Bauch der Mutter mit Zika infizierten. Die WHO verspricht Impfstoffe für 2020.

Vor einem Jahr griff die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Anbetracht der dramatischen Ausbreitung des Zikavirus in Süd- und Mittelamerika zu einer äußerst selten genutzten Maßnahme und rief den internationalen Gesundheitsnotstand aus. Auslöser für die Alarmierung der Öffentlichkeit war die Beobachtung brasilianischer Frauenärzte über einen möglichen Zusammenhang zwischen einer Zikavirus-Infektion während der Schwangerschaft und Gehirnfehlbildungen des Kindes. Wie hoch allerdings das Missbildungsrisiko ist, blieb bislang unklar. Eine in dem Fachblatt „Journal of the American Medical Association“ veröffentliche Studie ermöglicht nun erstmals eine konkrete Risikoabschätzung.

Unter Führung der Center for Disease Control (CDC) in Atlanta hatten amerikanische Gesundheitsbehörden Anfang 2016 ein digitales Register eingerichtet, in das alle Frauenärzte der USA Befunde von Schwangeren eintragen konnten, die von einer Reise aus Mittel- und Südamerika oder der Karibik zurückgekehrt waren und sich mit dem Zikavirus angesteckt hatten. Voraussetzungen für eine Meldung waren, dass eine Infektion der Mutter oder des Kindes mit dem Erreger mittels zuverlässiger molekularbiologischer Methoden nachgewiesen und eine Mikrozephalie, also eine Schädelfehlbildung, durch bildgebende Verfahren dokumentiert worden war.

Risiko der Missbildung hängt vom Zeitpunkt der Infektion ab

Eine Auswertung der ersten neun Monate zeigte, dass bei rund sechs Prozent aller Schwangerschaften mit einer nachgewiesenen Zikavirus-Infektion eine Missbildung des Gehirns beobachtet wurde. Missbildungen des embryonalen Gehirns treten weltweit gemittelt (also auch in Regionen, in denen der Erreger nicht vorkommt) in der Größenordnung von 0,07 Prozent auf. Eine Zikavirus-Infektion in der Schwangerschaft erhöht das Risiko also um den Faktor 100. Bei etwa jedem zehnten erkrankten Embryo war die Schädigung des Gehirns so ausgeprägt, dass es zu einer Fehlgeburt kam.

Das Risiko von Gehirnmissbildungen hängt laut der Untersuchung wesentlich vom Zeitpunkt ab, zu dem die Infektion erfolgt. Die Missbildungsrate betrug elf Prozent, wenn die Infektion im ersten Schwangerschaftsdrittel stattfand. Hatte sich die werdende Mutter im letzten Schwangerschaftsdrittel infiziert, lag das Risiko bei nahe null.

Damit bestätigten sich die Vermutungen, dass komplexe Steuerprozesse der embryonalen Entwicklung gestört werden. Die anatomische und funktionale Entwicklung des Zentralnervensystems des Embryos wird unterbrochen, wenn Zikaviren Gehirnzellen in einer bestimmten Entwicklungsphase infizieren. Insgesamt traten bei 442 dokumentierten Schwangerschaften 18 Arten von Deformitäten auf, die entweder ein oder mehrere Bereiche des Gehirns betrafen und die anatomisch unterschiedlich stark ausgeprägt waren.

Zika kann auch durch Sexualkontakt übertragen werden

Experten gehen davon aus, dass bei einer Zikavirus-Infektion – zusätzlich zu den mit bildgebenden Verfahren erfassbaren anatomischen Fehlbildungen – auch subtile Schäden an neuronalen Funktionseinheiten zu erwarten sind. Die daraus resultierenden Folgen würden sich erst im Laufe der ersten Lebensjahre manifestieren und ebenfalls die normale Entwicklung des Kindes beeinträchtigen. Die tatsächliche Häufigkeit von Zikavirus-Folgeschäden wäre dann noch höher als nach den Daten des Registers zu erwarten.

Auch bei Schwangeren ohne Krankheitszeichen war die Häufigkeit von Missbildungen gleich hoch wie bei jenen Frauen, die mit Zikavirus-typischen Symptomen erkrankten. Da rund vier von fünf Zikavirus-Infektionen symptomlos verlaufen, müssen Schwangere in den Endemiegebieten also grundsätzlich befürchten, dass sich bei ihrem Kind eine Gehirnmissbildung entwickeln kann, auch wenn sie keine Krankheitszeichen aufweisen.

Und es gibt weiteren Grund zur Sorge: Der Zika-Erreger findet sich auch in der Samenflüssigkeit und kann dementsprechend nicht nur durch einen Mückenstich, sondern wahrscheinlich auch durch Sexualkontakt übertragen werden. Mittlerweile sind Dutzende von Fällen bekannt, bei denen Männer vor Ausbruch der Erkrankung, aber auch Wochen nach dem Verschwinden der Symptome, Zikaviren im Ejakulat ausschieden. Wie hoch das Risiko einer Ansteckung der Frau bei diesem Übertragungsweg ist, ist unbekannt.

Schwangere sollen nicht in Zikavirus-Gebiete reisen

Die US-amerikanischen Forscher halten das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen durch das Zikavirus für so schwerwiegend, dass sie strikte Empfehlungen aussprechen: Schwangere sollen grundsätzlich nicht in Zikavirus-Gebiete reisen. Denen, die in Endemiegebieten leben, wird empfohlen, sich Tag und Nacht vor den Überträgermücken zu schützen. Vor allem aber wird Frauen im gebärfähigen Alter dringend angeraten, konsequent empfängnisverhütende Methoden anzuwenden und – falls das nicht möglich ist – auf Sex während der Schwangerschaft zu verzichten. Schwierig wird es bei Empfehlungen für Frauen, die beispielsweise im Hinterland von Kolumbien oder Brasilien leben und Tag für Tag dem Risiko einer Zikavirus-Infektion ausgesetzt sind.

Die Generaldirektorin der WHO Margaret Chan weist darauf hin, dass das Virus sich zwar international weiter verbreitet hat, die Überwachung aber gestiegen ist. „Rund 70 Länder melden mittlerweile ihre Infektionen“, sagt sie. In Teilen der Erde sei das Virus aber heimisch.

40 Impfstoffe auf den Weg gebracht

Vor allem in Lateinamerika und der Karibik ist es kompliziert, das Virus einzudämmen. Schwangerschaftsverhütung, die Frauen vor Ansteckung durch den Mann schützen könnte, ist ein schwieriges Unterfangen. Entweder fehlt das Wissen über Verhütungsmethoden, oder medikamentöse oder mechanische Antikonzeptiva sind in den Gesundheitszentren Mangelware. Und falls vorhanden, haben die Frauen häufig kein Geld, um diese Produkte regelmäßig zu kaufen. Darüber hinaus bringt die Anwendung von Verhütungsmitteln in den vorwiegend katholisch geprägten Bevölkerungen Lateinamerikas die Frauen in Gewissensnöte. Oft stoßen die Frauen auf Widerstand, wenn sie von ihrem Partner verlangen, ein Kondom zu benutzen, mit dem Hinweis, er könnte ja das Zikavirus in sich tragen, der Mann aber keine Symptome zeigt.

Untersuchungen haben gezeigt, dass in Lateinamerika zwischen drei und acht Prozent der Frauen keinerlei Zugang zu Antikonzeptiva haben. Von sechs Prozent (Peru) bis zu 35 Prozent (Haiti) sind Frauen aus Glaubensgründen gegen die Nutzung medikamentöser oder mechanischer Antikonzeptiva. Dementsprechend ist der prozentuale Anteil nicht gewollter Schwangerschaften auch extrem hoch: von 43 Prozent in Mittelamerika bis zu 66 Prozent in Südamerika. In Puerto Rico, einem territorialen Außengebiet der Vereinigten Staaten, liegt die Kennzahl bei 65 Prozent.

Die WHO versucht, Mut zu machen. Mittlerweile seien rund 40 Impfstoffe auf den Weg gebracht, sagt Generaldirektorin Chan. Bis diese aber allen Frauen in gebärfähigem Alter zur Verfügung ständen, könne es noch bis 2020 dauern.

Hermann Feldmeier

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