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Bei einer Demonstration in Leipzig 1989 demonstrieren junge Männer für einen sinnvollen Wehrersatzdienst.

© IMAGO

Zum 50. Deutschen Historikertag in Göttingen: Das 21. Jahrhundert feiert Helden des Alltags

"Gewinner und Verlierer" ist das Motto des 50. Deutschen Historikertags in Göttingen. Aus diesem Anlass widmet sich die Berliner Historikerin Ute Frevert dem Bild des "Helden" im historischen Wandel.

„Gewinner und Verlierer“ ist das Thema des 50. Deutschen Historikertags, der am morgigen Dienstag an der Universität Göttingen beginnt. Welche Protagonisten und staatlichen Akteure nach Kriegen, bei der kolonialen Expansion oder bei Wahlen als Sieger oder als Unterlegene gelten können, hängt auch von der historischen Perspektive ab. Das gilt ebenso für das Konzept des „Helden“ in der Geschichte, dem sich die Berliner Historikerin Ute Frevert, Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, auf dem Historikertag widmet – und in einem Artikel für den Tagesspiegel.

Wir lieben die "stillen", die "ganz normalen" Helden

Wer kennt heute noch die Helden des Ersten Weltkriegs? Otto Weddigen, U-Boot-Kommandant? Manfred von Richthofen, Kampfpilot? Über den „roten Baron“ gibt es immerhin Filme, Computerspiele und Popsongs; die meisten anderen Männer, die 1914-18 zu Helden gekürt wurden, aber sind lange vergessen.

Statt dessen loben wir heute „Helden des Alltags“ aus. Das kleine Mädchen, das ihr Knochenmark für den leukämiekranken Bruder spendet. Den Rentner, der sich für ein Kinderdorf in Afrika einsetzt. Oder die ältere Dame, die Kinder ausländischer Herkunft bei den Hausaufgaben betreut. Wir lieben die „stillen“, die „ganz normalen“ Helden – Helden wie wir, oder wir sind Helden.

Spätere Historiker werden darin ein neues Verständnis des Heldischen erkennen, seine Veralltäglichung und Demokratisierung, wohl auch seine Verweiblichung. Und sie werden, im Unterschied zu früheren Helden, eine Tendenz zur Flüchtigkeit notieren, getreu der medialen Logik, auf die Heldentum damals wie heute angewiesen bleibt. Kein Held des frühen 21. Jahrhunderts ist denkmalsfähig, denn der Held von heute ist schon morgen der Held von gestern.

Das Heldentum hat sich grundlegend und flächendeckend zivilisiert

Wenn die Historiker von morgen ihren Job ordentlich machen, werden sie aber auch auf Widersprüche und Gegenrede stoßen. Immer mal wieder ertönt die Klage, der Begriff des Heldentums sei „kontaminiert“ und würde gerade jenen vorenthalten, die darauf am ehesten Anspruch erheben könnten: Soldaten im Kriegseinsatz. Aber kann man im Ernst von Kontamination sprechen, wenn gleichzeitig allerorten „Helden des Alltags“ ausgezeichnet werden? Ist es nicht vielmehr so, dass lediglich militärische und Kriegshelden außer Kurs geraten sind, dass sich Heldentum grundlegend und flächendeckend zivilisiert hat? Schließlich werden Bundeswehrsoldaten, wenn sie das „Ehrenkreuz für Tapferkeit“ erhalten, für etwas geehrt, was auch im zivilen Kontext preiswürdig ist: den selbstlosen Einsatz für andere, in ihrem Fall die Sorge für verletzte Kameraden unter Lebensgefahr.

Die Zivilisierung des Heldentums werden Historiker zutreffend als bewusste Abkehr von einer militärischen Tradition deuten, die in Deutschland bis 1945 gepflegt wurde. Doch selbst innerhalb dieser Tradition können sie Demokratisierungstendenzen entdecken, die bis weit ins 19. Jahrhundert hineinreichen. Kriegerdenkmäler, wie es sie bis heute in jeder Stadt gibt, erinnerten nicht mehr nur berühmte Feldherren, sondern jeden einzelnen Soldaten, der im Krieg gefallen war. Auch sie waren Helden, weil sie ihr Leben für das Vaterland, für die Wertidee der Nation eingesetzt und geopfert hatten.

Die Nationalsozialisten produzierten tote Helden en masse

Der Erste Weltkrieg verschaffte Millionen von Männern die Gelegenheit, aktives Heldentum zu bezeugen. Auch wenn sich längst nicht alle danach drängten, fiel vor allem bei den jugendlichen, oft aus bildungsbürgerlichen Familien stammenden Freiwilligen das hohe Maß an heroischer Begeisterung auf, mit der sie in den Krieg zogen. Hier hatte die patriotisch-militärische Erziehung durch Schule, Literatur und Jugendbewegung Früchte getragen. Viele von ihnen trugen Friedrich Nietzsches „Zarathustra“ im Gepäck, in einer haltbaren Kriegsausgabe.

Der politisch instrumentalisierte Heldenkult setzte sich nach 1918 unvermindert fort, wobei sich vor allem die nationalistische Rechte hervortat. Sie feierte die Gefallenen als Helden: „Klagt nicht, kämpft“. Die Nationalsozialisten machten diesen Appell nach 1933 zum Programm, tauften den Volkstrauertag in Heldengedenktag um und produzierten alsbald tote Helden en masse.

Nach 1945 meldeten weder die Bundesrepublik noch die DDR neuen Bedarf an militärischem Heldentum an. Gleichwohl gab es in beiden deutschen Staaten weiterhin Helden. Was sich änderte, waren die Wertideen, die heldisches Handeln anleiteten und legitimierten. Der ‚reale Sozialismus’ hob 1950, nach sowjetischem Vorbild, „Helden der Arbeit“ aus der Taufe. Diesen Ehrentitel (samt Geldbetrag) erwarben diejenigen, die sich im Kampf um höhere Produktionsziffern verdient gemacht hatten. Für den Westen waren die Aufständischen des 17. Juni 1953 Helden, die sich für die Freiheit geopfert hatten.

Strahlkraft eines Begriffs: Man spricht noch immer von Helden

Der Befund scheint klar: Mit den Wertideen wechseln auch die Helden. Was bleibt, ist der Begriff. Gerade hier aber liegt das Sperrige. Dass man nach wie vor von Helden spricht und nicht nur von Idolen, Stars oder Vorbildern, lässt auf eine besondere Strahlkraft des Begriffs schließen. Selbst in ironischen Wendungen ist sie noch präsent, in Buchtiteln à la „Helden wie wir“ oder im Namen der populären Band „Wir sind Helden“. Auch in Christoph Heins Vorschlag von 1989, Leipzig in „Heldenstadt“ umzutaufen, schwingt ein Bild des Helden mit, das historische ebenso wie mythische Versatzstücke in sich aufgenommen hat.

Da ist die Idee des Einzelnen, der Angst, Bequemlichkeit, Indifferenz überwindet und etwas Außergewöhnliches und Mutiges, der Gefahr Trotzendes tut (wie die Leipziger Demonstranten, die im Oktober 1989 auf die Straße gingen, obwohl sie damit rechnen mussten, dass der Staat tödliche Gewalt gegen sie einsetzen würde). Verbunden ist dies mit einer überindividuellen Mission, der Orientierung an einer allgemeinen Idee, die den Einzelnen mit einer Gruppe, einem Kollektiv verknüpft (die Demonstranten kämpften für die Freiheit aller Bürger in der DDR).

Die heroische Tat, die das eigene Leben riskiert, ist heute Ausnahme

Aus diesem Heldenbild sind Gefahr, Risiko und Opfer nicht wegzudenken. All das aber ist in unserem „postheroischen“ Zeitalter Mangelware. Die heroische Tat, die das eigene Leben aufs Spiel setzt, um andere oder anderes zu retten, ist in den sicherheitsbewehrten Ländern des Westens die Ausnahme, und man muss darüber nicht unglücklich sein. Trotzdem gibt es eine Erinnerung daran, die nachwirkt. Die Prozesse der Demokratisierung, Zivilisierung und Trivialisierung des Heldentums haben seine elitäre Aura zwar in Mitleidenschaft gezogen. Völlig zerstört aber haben sie sie nicht. Offenbar gibt es ein verbreitetes Bedürfnis danach, sich dieser Aura von Zeit zu Zeit zu vergewissern. Das scheint selbst dort auf, wo von Helden die Rede ist, die keinerlei Risiko eingehen: Weder die ostdeutschen „Helden der Arbeit“ noch die gesamtdeutschen „Helden des Alltags“ setzen sich bei ihren Taten irgendeiner Gefahr für Leib und Leben aus. Sie opferten allenfalls Zeit, Bequemlichkeit und Muße, um anderen zu helfen.

Der idealistische Überschuss macht den fortwährenden Reiz des Begriffs aus

Zugleich lehnen es diejenigen, die deswegen geehrt und gefeiert werden, in der Regel ab, sich als Helden zu bezeichnen. Das kann eine Geste der Bescheidenheit sein, aber es steckt mehr dahinter: Indem sie ihr Handeln als ganz normal und unauffällig charakterisieren, reservieren und konservieren sie den Begriff des Helden für etwas anderes, Größeres, Phantastischeres. In der Kluft zwischen gesellschaftlicher Fremdzuschreibung und individueller Distanzierung deutet sich eine moralisch-emotionale Spannung an, die auf das Überschüssige und Unabgegoltene des Helden-Begriffs aufmerksam macht. Aus der Sicht späterer Historiker wäre es eben dieser idealische Überschuss, dieses Ungesättigte und Riskante, das den fortwährenden Reiz des Begriffs ausmacht und seine Langlebigkeit erklärt.

Ute Frevert

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