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Wolfgang Wippermann hält bei einer Podiumsdiskussion ein Mikrofon in der Hand und gestikuliert.

© imago stock&people

Update

Zum Tod von Wolfgang Wippermann: Historiker mit Haltung

Wolfgang Wippermann kam als Schüler Ernst Noltes an die FU und ging seinen eigenen Weg in der Geschichtswissenschaft - als leidenschaftlicher Lehrer und Autor.

Wolfgang Wippermann gräbt einen in den höchsten Kreisen angesiedelten Sexskandal im Jagdschloss Grunewald aus, der den Hof Kaiser Wilhelms II. erschütterte. Und macht daraus ein Buch über „Männlichkeit und Ehre im deutschen Kaiserreich“. Es treibt Wippermann um, dass nur eine Generation vor ihm Historiker zu Wegbereitern des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges wurden – und er rekonstruiert, wie sie den Generalplan Ost entwickelten.

Er erinnert mit einer Führung zu den Stätten der „mörderischen Wissenschaft“ in Dahlem an die „Zigeunerforschung“, mit der die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma pseudowissenschaftlich begründet werden sollte. Spuren eines vielseitigen und engagierten Forscherlebens in Berlin, eines Historikers der Freien Universität, dessen Arbeitsschwerpunkte auf dem Faschismus, Nationalismus und Rassismus lagen – und weit darüber hinaus reichten.

Nach Berlin kam Wolfgang Wippermann 1973, um bei Ernst Nolte zu promovieren, mit einer Studie zur Ideologisierung des Deutschen Ordens in Geschichtsschreibung und Publizistik. In seiner Habilitation, die 1978 wiederum bei Ernst Nolte erfolgte, beschäftigte sich Wippermann mit der Bonapartismustheorie von Marx und Engels.

Verbunden in der Faschismustheorie

Verbunden hat die beiden Historiker die Faschismustheorie, die Nolte mit seinem Grundlagenwerk „Der Faschismus in seiner Epoche“ von 1963 begründete. Wippermann, 1945 in Bremerhaven geboren, studierte nach dem Abitur in Göttingen und Marburg und legte 1972 seine „Faschismustheorien. Zum Stand der gegenwärtigen Diskussion“ vor, ein einflussreiches Lehrbuch, das in immer neuen Auflagen bis Ende der 90er Jahre erschien. Verstand sich Wippermann einst als „Meisterschüler“ Noltes, kam es später zu einem tiefgreifenden Bruch.

Aus dem Historikerstreit von 1986, in dem Nolte die Singularität des Holocausts anzweifelte, hielt sich Wippermann noch wegen zu großer Nähe zum einstigen Mentor heraus. Doch nach späteren Äußerungen Noltes, unter anderem in einem „Spiegel“-Gespräch mit Rudolf Augstein, warf Wippermann ihm 2011 vor, sich nah an der Grenze der Holocaustleugnung zu bewegen.

"Nur" eine außerplanmäßige Professur

Das „komplexe Verhältnis“ der beiden zeichnet Daniela Hacke, Professorin am Friedrich-Meinecke-Institut (FMI) der Freien Universität und dessen geschäftsführende Direktorin in ihrem Nachruf auf Wippermann nach. „Wolfgang Wippermann prägte das akademische Leben am Friedrich-Meinecke-Institut über viele Jahrzehnte; er war ein leidenschaftlich Lehrender, ein profilierter Historiker und ein streitbarer Zeitgenosse“.

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Doch eine ordentliche Professur hat er nie erhalten, eine Berufung Wippermanns auf eine Professur für Faschismusforschung scheiterte 1988 im CDU-geführten Senat*. Der zuständige Senator sei „nicht der Empfehlung des Präsidiums und der Berufungskommission“ gefolgt, „die Wippermann in ihrer Bestenauslese auf Platz 1 der Liste gesetzt hatten“, schreibt Daniela Hacke.

Nach Erscheinen einer ersten Version dieses Nachrufs meldete sich der damalige Wissenschaftssenator George Turner (parteilos, für die CDU) mit folgender Darstellung zu Wort: Er habe von der FU keine Dreierliste, sondern einen Berufsvorschlag mit nur einem Namen - dem Wippermanns - erhalten, der zudem eine Hausberufung bedeutet hätte.

Dem habe er nicht zustimmen können. Ein andere, rechtlich haltbare Lösung habe sich mit den Beteiligten nicht finden lassen. Das habe er persönlich bedauert, erklärt Turner, der Kolumnist des Tagesspiegels ist.

Schriftzug der FU an der Dachkante der "Rostlaube", darüber ein blauer Himmel mit weißen Wolken.
Die Freie Universität Berlin war jahrzehntelang die Wirkungsstätte von Wolfgang Wippermann.

© Thilo Rückeis

Die gescheiterte Strukturprofessur isolierte Wippermann, der sich als „linker Historiker“ bekannte und SPD-Mitglied war, aber keineswegs in seinem Fach und an der Universität.

Im Gegenteil: Nur unterbrochen von etlichen Gastprofessuren an verschiedenen US-Unis, in Peking und Innsbruck blieb er Berlin und der FU verbunden – als außerplanmäßiger Professor am FMI mit einer enormen Publikationsliste. Zu seinen wissenschaftlichen Pionierleistungen gehören Studien zur Antiziganismusforschung und zur Alltagsgeschichte der Juden in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert.

Schon früh publizierte Wippermann auch mit prominenten Koautoren, so erschien sein Werk über Adolf Hitlers Ideologie und Politik („Der konsequente Wahn“) 1989 mit einem Essay von Saul Friedländer. Ein weiteres Grundlagenwerk, „The Racial State. Germany 1933-1945“ von 1991, verfasste er gemeinsam mit dem britischen Historiker Michael Burleigh.

"Solitärer und stets zugewandter Lehrer"

Die in den letzten Jahren erschienen Werke unterstreichen noch einmal die Themenvielfalt von Wippermanns Wirken: „Luthers Erbe. Eine Kritik des deutschen Protestantismus“ (2014), „Niemand ist ein Zigeuner. Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils“ (2015) und „Männer, Mythen und Mensuren“ über die Geschichte der Corps und Burschenschaften (2018), in der er auch seine eigene Mitgliedschaft in zwei Corps reflektierte.

In der Öffentlichkeit war der Historiker als begeisternder Geschichtserklärer bekannt, etwa durch seine Vorträge in der Berliner Urania. Diese Bildungsinstitution würdigte er zum 125. Jubiläum „in sechs deutschen Staaten: Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, Bundesrepublik, DDR und – seit der Wiedervereinigung – in der ,Berliner Republik‘“ mit einem Gastbeitrag im Tagesspiegel.

Über den leidenschaftlichen Hochschullehrer schreibt FMI-Kollegin Hacke: „Wippermann, für den die Lehre nie eine Last war, lehrte mit großem Engagement und deutlich mehr, als sein Deputat verlangte.“ Er habe in vier Jahrzehnten weit über tausend Abschlussarbeiten betreut und einen „namhaften Kreis an Doktorand*innen“ um sich versammelt. „Seine Schüler*innen schätzten ihn als einen solitären, diskussionsfreudigen, meinungsstarken und stets zugewandten akademischen Lehrer, der intensiv betreute, exzellent auf Prüfungen vorbereitete und immer auch die Freiheit ließ, eigene Wege zu gehen.“ Am 3. Januar ist Wolfgang Wippermann im Alter von 75 Jahren in Berlin verstorben.

*Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Artikels vom 15. Januar hieß es, Wippermann habe in der Berufungsliste auf Platz 1 gestanden. Diese Passage wurde am 18. Januar von der Autorin durch ein Zitat aus dem Nachruf der Institutsleitung und eine Erklärung des damaligen Senators überarbeitet.

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