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Der Südosteuropa-Historiker Holm Sundhaussen (1942-2015).

© Wikipedia

Zum Tode des Serbien-Historikers Holm Sundhaussen: Aufklärerische Kritik am Nationalismus

Der Südosteuropa-Historiker Holm Sundhaussen, Autor maßgeblicher Werke zur Geschichte Serbiens, ist im Alter von 72 Jahren gestorben. Den Balkan hat er stets im gesamteuropäischen Kontext erschlossen.

In seiner Geschichte Serbiens wollte Holm Sundhaussen weder Ankläger, Verteidiger noch Richter sein, sondern eher Gutachter und Ermittler. Er argumentierte quellennah, akribisch und nüchtern, eher spröde als emphatisch. Mit  seinem im letzten Jahrzehnt entstandenen  Spätwerk  schuf er großangelegte Synthesen der Geschichte von Nationsbildung und Nationalismus, von Staatsbildung und Staatszerfall in Südosteuropa. Sundhaussen verfasste nacheinander eine Geschichte Serbiens vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, eine Geschichte Jugoslawiens und seiner Nachfolgestaaten 1943 bis 2011 – und zuletzt eine Geschichte Sarajewos.

Damit wurde Holm Sundhaussen  zum führenden deutschen Südosteuropa-Historiker, der, international vernetzt und reputiert, mit seinen bahnbrechenden Schriften, über die Wirkung auf zahlreiche Schüler und durch nachhaltiges Engagement in vielfältigen wissenschaftlich-akademischen Unternehmungen, Gremien und Verbünden das Teilfach in Deutschland tief prägte.

Interessiert an Migrationen, ethnischen Spannungen und Regionalismen

Von 1988 bis zu seiner Emeritierung 2007 war Sundhaussen Professor für Südosteuropäische Geschichte am Osteuropa-Institut der Freien Universität und von 1998 bis 2009 Kodirektor des Berliner Kollegs (bis 2003: Zentrums) für Vergleichende Geschichte Europas, das von der FU und der Humboldt Universität gemeinsam getragen wurde. Seine Dissertation über den Einfluss Herders auf die Nationsbildung bei den Völkern der Habsburger Monarchie war noch primär ideengeschichtlich orientiert (1973 in München). 1981 habilitierte er sich  in Göttingen mit einer Arbeit zur Wirtschaftsgeschichte Kroatiens im nationalsozialistischen Herrschaftssystem 1941 bis 1945. Sundhaussen blieb an ökonomischen und sozialen Themen interessiert, besonders an Migrationen, ethnischen Spannungen und Regionalismen.

Mythen konfrontierte er mit realgeschichtlichen Folgen

Seine Energie als Forscher, Autor und Intellektueller speiste sich aus der Kraft der Kritik. Mit guten Gründen bestand er auf der Differenz zwischen Geschichte und Erinnerung, zwischen geschichtswissenschaftlichen Befunden und verbreiteten Bildern von der Vergangenheit. Von der postmodernen Einebnung dieser Differenz hielt er sich fern. Insbesondere nationale und nationalistische Imaginationen, Legenden und Mythen konfrontierte er mit ihren realgeschichtlichen Bedingungen und Folgen. Die aufklärerische Kritik am Nationalismus, besonders an Ethnonationalismen, trieb ihn nicht nur als Geschichtswissenschaftler an, sondern auch als Intellektuellen um, nicht zuletzt auf öffentlichen Konferenzen und in kontroversen Äußerungen in den Ländern, deren Geschichte er erforschte und deren Gegenwart er beobachtete.

Menschliche Möglichkeiten, versagende Eliten

Was er an scheiternden Staatsbildungen, an ethnischen Konflikten und „Säuberungen“, an Kompromissunfähigkeit und kriegerischer Gewaltintensität untersuchte, schrieb er nicht einer spezifisch „balkanischen“ Tragik oder Unfähigkeit zu. Sondern er erklärte sie als Konsequenzen menschlicher Möglichkeiten unter Bedingungen fehlgehender Politik, kultureller Ausschließungsprozesse und versagender Eliten. Besonderheiten balkanischer Geschichte begriff er nicht primär als realitätsprägende Projektionen westlichen „Orientalismus“, sondern als Ergebnis von regionstypischen historisch-gesellschaftlichen Konstellationen, in denen ökonomische, demographische, kulturelle und politische Prozesse auf spezifische Weise zusammenwirkten: Konstellationen, die sich analysieren und schrittweise verändern lassen. In einer viel beachteten Auseinandersetzung zwischen ihm und Maria Todorova wurden diese Fragen kontrovers diskutiert.

So verlässlich Sundhaussen in der Geschichte Südosteuropas verankert war, so gekonnt und nachhaltig verstand er es, die Fragen, Zugriffe und Ergebnisse dieses seines Teilfachs in breitere Themen und Diskussionen europäischer Geschichte einzubringen und für diese nutzbar zu machen: auf der Basis breiten Wissens, durch systematischen Vergleich mithilfe generalisierender Begriffe wie durch die Rekonstruktion von grenzüberschreitenden Verflechtungen. Er erschloss die Geschichte des Balkans im gesamteuropäischen Zusammenhang, während er sich aus diesem Zusammenhang ergebende Fragen nutzte, um die Geschichte des Balkans in der Moderne zu reinterpretieren.

Am 21. Februar ist Holm Sundhaussen überraschend gestorben. Der gebürtige Berliner wurde nur 72 Jahre alt.

Der Autor ist Historiker und baute mit Holm Sundhaussen und anderen das Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas auf. Auf der Homepage des Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität ist ein Nachruf von Jürgen Kocka erschienen, auf dem dieser Text basiert.

Jürgen Kocka

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