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Zuwendung. Die Betreuung in einem Hospiz kann die letzte Lebensphase erleichtern.

© Caro / Oberhaeuser

Zum Wohle des Kranken: Neue Gesetze bei der Patientenverfügung

Neue Gesetze haben die Rechte des Patienten gestärkt - theoretisch. Doch Ärzte und Juristen diskutierten nun, was mit Kranken geschieht, die ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht wahrnehmen können.

Nach einem Sturz wird die hochbetagte Frau in die Notaufnahme eingeliefert. Wie die Ärzte feststellen, leidet sie außerdem an mehreren chronischen Krankheiten. Sie ist nicht ansprechbar und hat keinen Hinweis auf eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht bei sich. Auch Angehörige oder ein Betreuer sind nicht zu ermitteln, aber die Entscheidung eilt. Sollen die Ärzte versuchen, das Leben zu verlängern? Oder sollen sie eine leidenslindernde Behandlung anstreben, um den Preis, dass zum Beispiel Schmerzmittel das Sterben beschleunigen?

Vor solchen Entscheidungen stehen Ärzte nicht selten. Sogar Patientenverfügungen helfen ihnen da oft nicht viel, weil die meisten mangelhaft sind und ohne ärztliche Beratung verfasst wurden. Aus ärztlicher Sicht ist in Fällen wie dem der verunglückten alten Dame Intensivmedizin nicht mehr angebracht, meinte André Gries, Ärztlicher Leiter der Notfallaufnahme des Universitätsklinikums Leipzig. Aber die Ärzte sind rechtlich verpflichtet, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu erkunden.

Gries sprach in Berlin beim 42. Symposium für Juristen und Ärzte der „Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen“. Leitthema waren „Medizin und Recht in Kindheit und Alter“, ein Schwerpunkt: Was geschieht mit Patienten, die ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht wahrnehmen können, weil sie zu jung sind oder auch zu alt und krank, etwa bewusstlos oder dement?

Je nach ihren Fähigkeiten können sie dieses Recht in begrenztem Maße dennoch geltend machen, auch wenn sie einen Vertreter haben, wie der Bonner Sozialethiker Hartmut Kreß hervorhob. Die Patienten wurden ohnehin in ihren Rechten sehr gestärkt, durch Urteile oberster Gerichte und durch zwei neue Gesetze, das Patientenverfügungsgesetz von 2009 und das erst im Januar verabschiedete Patientenrechtegesetz.

Für Ärzte ist das Wohl des Kranken oberstes Gesetz; für Juristen ist es ihr Wille. Daraus ergibt sich ein Knäuel von Problemen. Mehrfach betonten Juristen auf der Tagung, dass der Patient dem Arzt nun „auf Augenhöhe“ begegne. Ärzte dagegen sprachen über die Asymmetrie des Wissens und den Ausnahmezustand, in dem sich Schwerkranke oder die Eltern eines Kindes befinden, wenn sie lebenswichtige Entscheidungen treffen müssen. Doch ohne Einwilligung des vom Arzt aufgeklärten Patienten galt eine medizinische Maßnahme auch bisher schon als Körperverletzung.

Jetzt ist die rechtzeitige und verständliche Aufklärung über „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten“ Teil des Behandlungsvertrags, der nach dem neuen Patientenrechtegesetz Gegenstand des Bürgerlichen Gesetzbuchs wurde.

Wie Harald Mau aus jahrzehntelanger Erfahrung als Chef der Charité-Kinderchirurgie berichtete, stellen Eltern die entscheidenden Fragen erst nach dem Aufklärungsgespräch, sofern man sie zu Nachfragen ermutigt hat. Ärzte und Juristen waren sich mit Mau einig darin, dass minderjährige Kranke unabhängig von ihrem Alter an der Aufklärung teilhaben sollten, wenn sie schon fähig sind, die Tragweite eines geplanten Eingriffs zu begreifen und ihren Willen zu äußern. Nach dem Patientenrechtegesetz können sie bei Einsichtsfähigkeit unter Umständen sogar allein über eine Behandlung entscheiden, sagte der Berliner Sozialrechtler Martin Stellpflug.

Eine gültige Patientenverfügung aber kann erst ein Volljähriger schreiben. Dringlicher ist dies ohnehin für Ältere, die ihren Willen für den Fall dokumentieren wollen, dass sie ihn später als Todkranke oder Demente nicht mehr äußern können. Leider hat nur ein sehr kleiner Teil der Demenzkranken rechtzeitig vorher eine Patientenverfügung verfasst. Zu Beginn ihres Leidens sollte man auch sie fragen, ob sie bei weit fortgeschrittener Krankheit eine lebens-(oder eher sterbens-)verlängernde Behandlung wünschen oder nicht, meinte der Brandenburger Gerontopsychiater Michael Rapp.

Wenn es der in einer Patientenverfügung dokumentierte oder der mutmaßliche Wille einer Person ist, unter bestimmten Umständen keine lebenserhaltende Behandlung zu beginnen oder sie wieder einzustellen, so gilt dies nicht erst in der Sterbephase. Und sehr deutlich wurde den Teilnehmern, wie wichtig es ist, einer Vertrauensperson eine Vorsorgevollmacht zu erteilen. Angehörige, ausgenommen Eltern für ihre Kinder, sind nicht automatisch auch Bevollmächtigte. Denn: Wenn niemand eine Vollmacht hat und es um Leben oder Tod geht, wird vom Betreuungsgericht (früher Vormundschaftsrecht) ein „Betreuer“ eingesetzt. Wenn man auch hierfür in einer Betreuungsverfügung niemanden vorgeschlagen hat, setzt das Gericht einen ein, der womöglich für viele Patienten zuständig ist. Aufgabe des Vorsorgebevollmächtigten oder Betreuers ist es, mit dem Arzt zu prüfen, ob die Patientenverfügung auf die Lage des Kranken anwendbar ist, den mutmaßlichen Willen des nicht mehr Einwilligungsfähigen zu erkunden und durchzusetzen.

Ist ein unheilbar Kranker dem Tode nahe, brauchte es gar keine Patientenverfügung. Denn, so der Leipziger Hochschuljurist Bernd-Rüdiger Kern, wenn lebensverlängernde Maßnahmen sinnlos wurden, wenn also, medizinisch ausgedrückt, keine Indikation mehr dafür besteht, sollte der Arzt mit diesen aufhören. Auch eine Behandlung ohne Indikation gilt, selbst bei Einwilligung des Patienten, als Körperverletzung. Das heißt nicht Verzicht auf Therapie, sondern Wechsel des Therapieziels: von der Lebensverlängerung zur Leidenslinderung, also zur Palliativmedizin, die friedliches Sterben ermöglicht.

Broschüren über Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht gibt es beim Bundesjustizministerium.

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