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Erdbeerernte in einer Berliner Laubenkolonie (um 1900).

© picture alliance / ullstein bild / Haeckel Archiv

Debatte um Kleingärten als Bauland: Wo sich die Großstadt vom Acker macht

Naturversprechen oder Teil des Urbanen? Kleingärten sind heute auch Baulandreserve – ein historischer Abriss über Funktion und Entstehung.

Sie sind wieder ins Gerede gekommen, regelrecht zwischen die Fronten geraten, die Kleingärten, die Laubenkolonien in Berlin, die 3000 Hektar ausmachen, fast drei Viertel der Fläche des Bezirks Mitte. Sie lagen oft schon im Kreuzfeuer verschiedener Begehrlichkeiten und Aneignungsstrategien, sind Gegenstand von Angriffen wie von wachsender Widerstandsbereitschaft: Baulandreserve contra Frischlufttrasse! Auch familiäre Mentalreserve! Es ist ein Streit, der schnell zu ideologischer Mobilmachung führt: bedrohte Arbeiter- und Kleinbürgerparadiese, geschmähte Treibhausresidenzen des Spießertums, Horte sowohl der Heimat- als auch der Ressentimentpflege, Spielplätze von Rasenkanten-Pedanten, Gartenzwerg-Pandämonien, Bastionen deutschester Ausschließlichkeiten!

Kleingärten im Fadenkreuz

Wie soll man auf diesem heftig umkämpften, verminten Terrain Stellung beziehen? Der Kleingarten als „Zankapfel“ im Fadenkreuz ökonomischer und ökologischer, auch politischer Interessen: Lassen sich beide Seiten miteinander vereinbaren, ohne einen Krieg auszulösen?

Ein kurzer Blick zurück auf die Entstehung, auf Funktion und Bedeutung des Kleingarten-Phänomens und auf die Spezies ihrer Nutzer, der Kleingärtner oder Laubenpieper: Kleingartenbewohner gibt es ja nicht an sich. Sie sind nicht vom Himmel gefallen, leben nicht im Nirgendwo. Sie sind immer auch gleichzeitig Stadt- und Mietshausbewohner, Arbeitskräfte. Sie sind und bleiben bei aller Natursehnsucht hochurbane Wesen, sie haben zwei Seelen in ihrer Brust. Es ist diese alte Verlorenheit und Zerrissenheit der Städter, die sie umtreibt, eingeklemmt zwischen Betonblock- und Backsteingebirgen mit eingeschränkter Restnatur, begrenztem Naturzugang, verengtem Naturausblick.

Gezwungen zum Pflaster- und Asphalttreten mit einem quadratischen Hofhimmel, abgestecktem Straßen-Firmament, bei dem sich die Parallelen der Regenrinnen zumeist schon im Endlichen schneiden und einem scharf profilierten Schornstein- und Straßenbaumhorizont. Angetrieben von Maschinentakt und Fahrplänen des öffentlichen Nahverkehrs, vom meist unsichtbaren Uhrzeiger; es bleibt nur eine karge Restzeit für den Feierabend und das ersehnte Wochenende.

„Nah wie Löcher eines Siebes stehen

Fenster beieinander, drängend fassen

Häuser sich so dicht an, daß die Straßen

Grau geschwollen wie Gewürgte sehn.“

So beschrieb der Lyriker Alfred Wolfenstein 1914 in seinem Sonett „Städter“ die große Stadt, in der die Menschen sich in ihrer steinernen Umgebung vereinzeln und vereinsamen.

Kleingärten gehören zur Stadt, waren und sind Flucht-Oasen für das, was die Arbeit vom Tag, von der Woche übrig lässt, für die Sehnsüchte nach „eigentlichem Leben“. In der beständig über sich hinauswachsenden Großstadt war die Peripherie meist der Standort von Garten-Kolonien, diese immer neue, fließende Randzone; sie dokumentieren die Stadtentwicklung überall dort, wo einmal die Stadtgrenzen waren, und wo Verkehrstrassen noch den Charakter von Verbindungswegen und Chausseen, Einfall- und Ausfallstraßen hatten, oder wo die Ringbahn schwer nutzbare Restflächen übrig ließ.

Selbstgezimmerte Barackensiedlungen entstanden

Ursprünglich entstanden sind sie im 19. Jahrhundert als Armengärten, Arbeitergärten, Rotkreuzgärten, Lauben- oder auch „Schrebergärten“ (nach dem Mediziner und Reformpädagogen Moritz Schreber, der besonders das Wohl der Kinder im Blick hatte). Sie waren für Minderbemittelte und Bedürftige Subsistenzergänzungs- und Erholungsraum in den Turbulenzen der Industrialisierung, Gemüsebeet und Spielwiese, als der Wohnungsbau mit dem Zuzug kaum Schritt halten konnte und selbstgezimmerte Barackensiedlungen entstanden (zum Beispiel am Cottbuser Damm und auf dem Tempelhofer Feld), vergleichbar heute den Slums und Favelas der Dritten Welt. Materiell und mental Kompensation versprechende Gegenwelten für die in Massenquartieren hausenden Städter, die ihre Arbeitskraft in Fabriken, auf dem Bau, in Büros und an anderen Arbeitsplätzen zum Markte trugen. Besonders notwendig auch in Kriegszeiten. Alkohol war bei den Gartenfesten verboten, wobei allerdings Bier nicht als Alkohol galt.

Die Gärten sind Teil des Urbanitätsgewimmels, gehören zur Stadt, gehörten zum von Heinrich Zille karikaturistisch festgehaltenen Wohnungselend der Mietskasernen, wo die kleinen Gören von der Hauswartsfrau rüde gewarnt werden, den einzigen Löwenzahn im Hof zu pflücken: „Wollt ihr von die Blume weg, spielt mit'n Müllkasten!“ Sie waren und sind das Pendant zu Versiegelung, Enge und Luftarmut, Feuchtigkeit und Schimmel, Lärm und Staub.

Eines der farbenfrohesten, eindrucksvollsten Gemälde zum Gegenstand Kleingärten ist Hans Baluscheks „Sommerfest in der Laubenkolonie“ (1909), wo eine Kleingartensiedlung im Feststaat und im Glanze eines Laternenumzugs aus dem Dunkel herausleuchtet, ganz im Hintergrund steil aufragend die Mietskasernen der großen Stadt neben noch freiem Feld. Es gibt wohl kaum einen anderen Maler, der das fragmentierte, parzellierte Glück dieser kleinkarierten Oasen von „Stadtnatur“ – auch Dach- und Balkongärten – so voller romantischer Empathie eingefangen hat, ohne das Elend der Arbeit und der Arbeitslosigkeit, des Hoflebens, dabei zu übersehen und zu beschönigen. Von seinen Ateliers in der Cheruskerstraße auf der Roten Insel hatte er einen Blick nicht nur auf den Gasometer, sondern auch auf Kleingartenkolonien und Hofalltag und auf sein Lieblingsmotiv „Schienenwege“.

Zurück zur Gegenwart: Im Begriff, aus dem Besitz der „Kleinen Leute“ gerissen und zum Eigentum und Spielball von „Haifischen“ oder „Heuschrecken“ – der berüchtigten Fauna des Kapitalismus – zu werden, sind nicht nur die Gärten, sind zwangsläufig auch ihre Nutzer als Spezies bedroht.

Als Baulandreserve ein Geschenk des Himmels

Wenn die Kleingärten zurzeit und zukünftig immer weniger ihre Bedeutung als kleine Glücksinseln im Großstadtgetriebe geltend machen können, da ihre reine Fläche zu „Hochrechnungen“ im wahrsten Sinne des Wortes verführt, wie viel Wohnraum im besten, soll heißen lukrativsten Fall darauf zu stapeln und zu türmen wäre, muss unter dem Druck, neuen günstigen Wohnraum zu schaffen, der „Gegenstand“ zwangsläufig neu bewertet werden. Beide Blickwinkel sind ja verständlich und die Ansprüche schwer gegeneinander abzuwägen. Die Bebauung der von Kleingärten besetzten Flächen würde eine Multiplikation von Nutzern ermöglichen!

Eine Entscheidung über die Umwandlung von Kleingärten ist nicht pauschal, sondern nur im konkreten Einzelfall für jede Kolonie zu treffen. Die entscheidende Frage: Wie viel Enge ist der Stadt in Zukunft, für die Zukunft zuzumuten, ohne die Lebensqualität der Städter insgesamt zu schädigen? Dabei können jedoch die schnell gezückten Einwände „Neubauten ja, aber doch nicht vor meiner Tür, in meinem Blickfeld!“, „nicht auf oder in meinem Garten!“ keine Rolle spielen, selbst da nicht, wo sie sich als Bürgerinitiative oder Referendum formieren. Entscheidend ist doch: Für wen sollen Kleingärten Planungsreserve sein? Darüber besteht politisch sogar weitgehend Einvernehmen: Nicht länger für Höchstprofitprojekte und Luxuswohnungen!

Die Baulandreserve der Kleingartenflächen ist tatsächlich ein Geschenk des Himmels (und vorsorgender früherer Stadtväter). Auf dem Hintergrund der rasanten Wohnraum-Verteuerungen, kommt den teils verwunschenen, teils verwünschten Kleingärten eine Schlüsselfunktion zu.

Klaus Strohmeyer

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