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Die Grundlage. Ein Curry oder ein Masala, die berühmten indischen Gewürzmischungen, werden individuell je nach Gericht zusammengestellt und frisch gemörsert.

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Indische Küche in Berlin: Schön scharf

Gute indische Küche ist in Berlin nicht leicht zu finden: Die Gewürzmischungen sind aufwendig und die Zutaten nicht billig. Von Curry, Masala und Tandur – ein Restaurantbesuch.

Tasbeer Singh lässt den Gasherd aufflammen. Mit einer Suppenkelle schöpft er aus Töpfen erst gelbe, dann orangene und rote Soße in eine Pfanne. Es brutzelt, spritzt und dampft. Der Duft des indischen Currys verbreitet sich in der Küche. In einem riesigen Wok schwimmen Zwiebeln, Tomaten und Auberginenstücke in blubberndem Öl.

Es sind gefühlte 50 Grad, doch Tasbeer Singh schwitzt nicht: „Ich komme aus Delhi, da ist es immer heiß.“ Die Haare des 42-Jährigen sind fast weiß, Augen und Haut dunkelbraun, zwischen seinen Vorderzähnen hat er eine Zahnlücke.

Seit drei Jahren arbeitet Singh als Chefkoch im Namaskar, einem indischen Restaurant in Berlin-Wilmersdorf. „In Deutschland gibt es nur wenige gute indische Küchen“, sagt er; „ich durfte herkommen, da ich eine gute Ausbildung hatte.“ Singh zeigt auf kleine Steintöpfe mit bunten Körnern und Samen darin. „Das ist das Geheimnis guter indischer Küche. Jedes Gericht braucht seine eigene Gewürzmischung.“ Wie ein Zauberer einen Trank mischt, so streut Singh mit spitzen Fingern verschiedene Pulver in die kochende Soße. Die Gewürze und die verschiedenen Grundsoßen hat er am Vormittag zubereitet. „Es muss immer alles frisch sein.“ Die Gewürze werden als Blätter oder ganze Samen zunächst erhitzt und getrocknet, dann gemahlen. Ein Curry oder ein Masala, die berühmten indischen Gewürzmischungen, werden individuell, je nach Gericht zusammengestellt. „In Indien gibt es kein fertiges Currypulver zu kaufen.“

Von den rund 100 indischen Restaurants in Berlin sind viele Mischküchen, die auch Gerichte aus anderen Ländern anbieten. Die meisten haben einen eigenen Stil erfunden, dem europäischen Geschmack angepasst. Mit dem echten indischen Essen hat das nicht mehr allzu viel zu tun. Viele Lokale sind billig, ein indisches Lammcurry ist für sechs, acht Euro zu haben. Das ist verwunderlich, da Inder mit hochwertigen, teuren Zutaten wie Safran, Basmati Reis und Lammfleisch kochen:

Nur eine Soße für alle Gerichte? Nicht mit ihm

„Sie wollen günstiges Essen anbieten, deshalb machen sie nur eine Soße für alle Gerichte“, erklärt Singh, „die strecken sie mit Wasser oder Sahne und benutzen Farbpulver, um sie zu verändern.“ Wer schon einmal in Indien gegessen hat, erkennt den Unterschied sofort. „Die Köche sind meist keine Inder und kennen nur eine Hand voll Standardrezepte. Für mich ist es wichtig, dass meine Köche aus Indien kommen“, sagt Dinky Lobbes, Geschäftsführerin des Namaskar. 1999 eröffnete sie das Restaurant. „Ich konnte nirgendwo gut indisch essen gehen, das hat mich motiviert, dieses Lokal aufzumachen. Doch Qualität hat auch ihren Preis. So billig wie andere können wir nicht sein, gute Lebensmittel und qualifiziertes Personal kosten eben.“

Tasbeer Singh hat in Delhi Hotelmanagement studiert, sich auf das Kochen spezialisiert, in vielen Regionen Indiens gearbeitet und so die Vielfalt kennengelernt. Denn die Küche ist geprägt von vielen regionalen, religiösen und sozialen Unterschieden. „Im Süden und Osten essen die Menschen Reis, im Norden Fladen aus Weizen und im Westen Linsen und Hülsenfrüchte“, sagt Singh. Auch die Schärfe variiert: Die Südinder mögen es sehr scharf, die Nordinder eher mild. Die viel verwendete Chilischote brachten die Portugiesen im 16. Jahrhundert mit ins Land. Auch die englischen Kolonialherren hatten Einfluss auf die indische Speisekarte. Ihr berühmtestes Mitbringsel ist der Tee.

Es gibt eine Fülle an vegetarischen Speisen. Besonders die Armen ernähren sich rein vegetarisch, da Fleisch teuer ist. Auch aus religiösen Gründen verzichten viele Inder ganz auf Fleisch. Die Moslems essen kein Schweinefleisch, die Hindus kein Rind, da die Kuh als heiliges Tier verehrt wird. Im Norden ist Lammfleisch begehrt, im Süden und in Küstenregionen Fisch und Meeresfrüchte. Hühnchen ist durch alle Religionen und Bevölkerungsschichten hindurch beliebt.

„Trotz der Unterschiede verwenden alle Inder mit großer Leidenschaft Gewürze wie Safran, Kardamom, Kreuzkümmel und Koriander in ihren Gerichten“, sagt Singh. Er ist Hindu, aber kein Vegetarier. „Am liebsten esse ich einfache Gerichte wie Dahl, ein Linseneintopf.“

Ein eigener Koch für den Tandur-Ofen

Die deutsche Küche finden Singh und seine Chefin Dinky Lobbes eher langweilig. „Es gibt kaum Vegetarisches, außer vielleicht Pommes und Salat. Und jeder bekommt nur seinen Teller mit einem Gericht darauf.“ In Indien werden Speisen in die Mitte des Tisches gestellt und geteilt.

Vier Jahre, so lange wie das Arbeitsvisum gültig ist, bleibt Singh in Deutschland. Seine Frau und seine vier Kinder sind in Indien: „Ich vermisse sie sehr, aber hier kann ich gutes Geld verdienen.“ Einmal im Jahr macht er drei Wochen Heimaturlaub.

Gegen sieben Uhr abends füllt sich das Restaurant. Stoßzeit für Singh und seinen jüngeren Kollegen Diwan, der verantwortlich ist für Gerichte aus dem Tandur, dem indischen Tonofen. „Nur wenige Restaurants besitzen einen, weil man für ihn einen extra Koch benötigt“, sagt Dinky Lobbes. Der Tandur ist ein eiförmiger Ofen mit Tonwänden. In ihm brennt ein Feuer, von Kohlen erhitzt. Diwan knetet Teig fürs Brot, klebt den Fladen an die Innenseite des Ofens. Dann spießt er ein Hühnerbein auf einen langen Metallstab und hängt es dicht über das Feuer. „So wird das berühmte Tandoori Chicken gemacht“, sagt Diwan. Im Tandur kann das marinierte Hähnchen ohne Fett und Gas gegart werden. In Indien werden die Tonwände von außen mit glühender Kohle geheizt. „Das ist in Deutschland verboten, deshalb haben wir die Kohle und das Feuer im Inneren.“

Heute kommen Ashoutosh Agrawal, ein Angestellter der indischen Botschaft, und seine Frau Anupam zum Essen. Sie gehen gern ins in das Restaurant in der Pariser Straße, „ zu besonderen Anlässen, oder wenn wir Besuch haben“, erzählt Anupam Agrawal. Ihr Mann bestellt einmal quer durch die Speisekarte, er hat heute deutsche Gäste und möchte, dass sie einen Eindruck von der Vielfalt des indischen Essens bekommen.

In der Küche arbeiten Singh und Diwan auf Hochtouren. Im Restaurant ist von der Hektik nichts zu spüren. Nur der Duft strömt aus der Küche und steigert die Vorfreude auf das Menü. Zu leisen orientalischen Klängen trinken die Agrawals und ihre Gäste Lassi, einen indischen Joghurtdrink.

Das Namaskar ist ein hinduistisches Restaurant, ein geschmückter Altar mit Götterfiguren lässt das erkennen. Auf der Speisekarte ist kein Gericht mit Rindfleisch zu finden. „Unsere Köche sind Hindus, ich möchte ihnen nicht zumuten, mit Fleisch der heiligen Kuh kochen zu müssen“, sagt die Chefin Dinky Lobbes.

Beeindruckt von der Gewalt der Gewürze

Anupam und Ashoutosh Agrawal sind Vegetarier. „Ich koche viel zu Hause“, erzählt Anupam Agrawal, weil uns die deutsche Küche nicht immer schmeckt.“ In Berlin bekommt sie die Zutaten, die es auf indischen Märkten gibt, nicht so leicht. „Da muss ich manchmal improvisieren.“ Sie geht hauptsächlich in Asiamärkten einkaufen, montags zum Beispiel in den Sona Food Traders in der Bülowstraße. „Dort finde ich vieles, was ich brauche, frisch.“ Das Namaskar wird einmal die Woche von einem indischen Großhandel beliefert.

Wer sich selber an den Herd stellen will, dem sei das kürzlich erschienene Kochbuch „Indisch Kochen, ganz easy“ (Dorling Kindersley, 19,95 Euro) empfohlen, das einen Querschnitt durch die verschiedenen Regionen vorstellt. „Die indische Küche hat eine solche Bandbreite, dass man ein Leben lang neue Gerichte entdecken kann“, schreibt die Autorin Anjum Anand. In der Einführung erklärt die in Deutschland lebende Inderin, wie ein richtiges Curry oder Masala zu Hause gemacht werden kann, und wie man improvisiert, wenn bestimmte Zutaten nicht erhältlich sind. Die Rezepte variieren von einfach und schnell bis zu aufwendig und langwierig.

In der Küche drückt Tasbeer Singh nun auf den Knopf einer silbernen Klingel, das Zeichen für den Kellner. Der kommt nun, die Hände und Arme voll gestellt mit Geschirr, rasant durch die Schwingtür heraus und trägt bei den Agrawals auf. Der weiß gedeckte Tisch ist schnell voll gestellt mit kupferfarbenen Metalltöpfen auf Stövchen, darin bunte Soßen, wie ein Bild mit Farbklecksen auf Leinwand. In den Töpfen und Schalen brodeln frischer Brokkoli, Tomate, Paprika umgeben von einem sämigen, orangen Mantel. Lammfleischstücke baden in roter Paste, marinierte Hühnerbrust schwimmt in gelber Currysoße. Zum Dippen gibt es eine grüne Minze-Koriandersoße und gefährlich rote Chilisoße. Purer Joghurt wird zum Löschen der Schärfe gereicht und braun gebackenes Fladenbrot liegt auf einem Silbertablett. Alles steht in der Mitte, jeder bedient sich.

Herr und Frau Agrawal haben ihre linke Hand auf den Schoß gelegt, ganz nach indischer Tischmanier. Die linke Hand gilt in Indien als unrein, da sie zum Reinigen nach dem Toilettengang genutzt wird. Inder essen entweder mit den Fingern oder mit dem Brot. „Das Essen schmeckt besser so“, findet Anupam Agrawal und schaufelt mit dem Fladenbrot die Köstlichkeiten vom Teller in ihren Mund.

Neulinge sind immer wieder beeindruckt von der Gewalt der Gewürze, der Achterbahnfahrt des Geschmacks: süß, sauer, exotisch, dann steigt die Schärfe im Inneren auf, ein warmes, leicht beißendes Gefühl verbreitet sich im Mund, Schweiß perlt auf der Stirn. „Das schmeckt nach Heimat“, sagt Ashoutosh Agrawal.

Christina Franzisket

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