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Nahost: Bis an die Grenze

Bei einem Gefangenenaustausch will Israel heute fünf libanesische Häftlinge freilassen. Im Gegenzug werden zwei israelische Soldaten übergeben. Wie wichtig ist der Austausch für die Position der Hisbollah im Libanon?

Heute um neun Uhr Ortszeit soll der Grenzübergang Rosh Hanikra an der israelisch-libanesischen Grenze für kurze Zeit offen stehen. Der Felsen hoch über der Mittelmeerküste wird zum Schauplatz eines Gefangenenaustauschs zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz, der von deutscher Seite vermittelt wurde. Die Hisbollah wird die beiden vor zwei Jahren entführten israelischen Soldaten Ehud Goldwasser und Eldad Regev an der Grenze übergeben. Ihre Entführung hatte 2006 den Libanonkrieg ausgelöst. Die Hisbollah hat sich nicht zum Schicksal der beiden geäußert. Doch auf israelischer Seite wird damit gerechnet, dass die Soldaten tot sind. Deshalb werden DNASpezialisten vor Ort sein. Sie wären in der Lage, die Identität der Leichname zu klären. Außerdem sollen die Israelis zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen Leichenteile von israelischen Soldaten erhalten, die im Libanonkrieg gefallen sind.

Erst nach diesen Untersuchungen werden die Israelis dann voraussichtlich fünf libanesische Häftlinge überstellen. Der prominenteste unter ihnen ist der 1980 zu mehrfach lebenslänglicher Haft verurteilte Topterrorist Samir Kuntar. Er ist der am längsten einsitzende libanesische Gefangene in Israel. Im Libanon ist er zu einem nationalen Symbol geworden. Kuntar hatte 1979 ein palästinensisches Terrorkommando angeführt und ist für den Tod zweier israelischer Polizisten sowie eines Vaters und dessen zweier kleiner Töchter verantwortlich. Bei den anderen Häftlingen handelt es sich um vier gefangen genommene HisbollahKämpfer. Zudem wird das Rote Kreuz in neun Lastwagen die Särge von 199 libanesischen Toten über die Grenze bringen.

Obwohl Israels Regierung gestern mit 22 zu drei Stimmen dem Austausch zustimmte, ist die Vereinbarung in Israel hoch umstritten. In israelischen Sicherheitskreisen werden Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Austauschs geäußert. Kritisiert wird nicht so sehr die Anzahl der freizulassenden Häftlinge. Es geht vielmehr um die Tatsache, dass lebende Terroristen gegen Leichname ausgetauscht werden sollen.

Die von dem deutschen BND-Agenten Gerhard Conrad im Namen der UN vermittelte Übereinkunft besteht neben dem eigentlichen Austausch aus einer Zusicherung der Hisbollah, über das Schicksal des seit mehr als zwei Jahrzehnten vermissten israelischen Navigators Ron Arad zu berichten. Dieser Bericht war am Wochenende übermittelt worden. Die israelische Regierung wies ihn am Dienstag als mangelhaft zurück. Ausdrücklich dankte Israels Verteidigungsminister Ehud Barak der deutschen Regierung und dem Vermittler Conrad „für die großen Anstrengungen, die sie in die Vereinbarung zur Rückkehr der entführten Soldaten investiert haben“.

Im Libanon wird nun erwartet, dass die Hisbollah die Rückkehr der Gefangenen zu einem nationalen Ereignis macht. Die Transparente mit Zitaten von Hisbollah- Führer Hassan Nasrallah sind längst aufgehängt: „Wir sind ein Volk, das seine Gefangenen nicht in Gefängnissen vergisst“. Nasrallah hat Premierminister Fuad Siniora und den Drusenchef Walid Dschumblatt, einen seiner härtesten Kritiker, zu den Feierlichkeiten eingeladen.

„Es ist die perfekte Gelegenheit für die Hisbollah, Schadensbegrenzung nach den Kämpfen vom Mai zu betreiben“, sagt die Hisbollah-Expertin Amal Saad-Ghorayeb. Damals hatte die Hisbollah für wenige Tage Beirut eingenommen, um die Zerstörung ihres internen Telefonnetzes durch die Regierung zu verhindern. Bis dahin hatte die Hisbollah behauptet, ihre Waffen würden nur gegen äußere Feinde verwendet. Jetzt könne sich die islamistische Hisbollah brüsten, nicht nur für die eigenen Leute zu sorgen, sagt Saad-Ghorayeb. Denn Samir Kuntar ist Mitglied der Drusen, einer eigenen Religionsgemeinschaft im Libanon.

Im Kanzleramt in Berlin zeigte man sich schon am Tag vor dem Austausch stolz auf die deutsche Vermittlungsarbeit. Eineinhalb Jahre lang war der BND-Mitarbeiter in einem kräftezehrenden Verhandlungs- und Reisemarathon hin und her gependelt und hatte 700 000 Flugkilometer zurückgelegt. Die Bundesregierung hat Israel zugesagt, bei der Aufklärung des Schicksals weiterer vermisster Israelis zu helfen. Nach Angaben aus dem Kanzleramt soll der BND mit seinem Vermittler dabei auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

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