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Das Ideal der Salafisten ist eine Art Ur-Islam.

© Boris Roessler/

Radikale Muslime: Selbstgewählte Abschottung der Salafisten

Appelle von Politikern und Aufklärungsarbeit von Lehrern und Sozialarbeitern bestärken radikale Muslime nur in ihrer Überzeugung. Deshalb sind die aufgeklärten Muslime gefordert, hier aktiv zu werden. Ein Gastbeitrag.

Die Meldung von Anfang Dezember 2017, die Zahl der Salafisten in Deutschland sei erneut gestiegen, ist alarmierend: Nicht nur, weil dies ein Trend ist, der schon seit über einem Jahrzehnt anhält, sondern auch deshalb, weil die Ausbreitung des Salafismus nicht mehr nur über Organisationen, Moscheen, Kulturvereine, die man kontrollieren, überwachen und verbieten kann, erfolgt, sondern mehr und mehr über Freundeskreise, kleine Gruppen und übers Internet, also im Stillen und Privaten. Hinzu kommt, dass sich der Salafismus besonders stark unter Frauen und Minderjährigen zu verbreiten scheint – Kreise, zu denen die Sicherheitsbehörden nur schwer Zugang finden.

Salafisten sind Muslime, die sich in ihrem Denken und Handeln an den „Vorfahren“ aus dem 7. Jahrhundert orientieren, an der Generation des Propheten Muhammad und den zwei darauffolgenden Generationen. Ihr Ideal ist eine Art Ur-Islam. Was der Prophet getan und gesagt hat und was seine Zeitgenossen gut und richtig fanden, nehmen Salafisten wörtlich. Dabei sehen sie sich selbstbewusst als eine Elite, die allein den wahren Islam praktiziert und allen anderen überlegen ist. Für diese Haltung finden sie Bestätigung im Koran, der ja Gottes Wort enthält: „Ihr seid die beste Gemeinschaft“ (Koran 3,110). Als solche brauchen sie auch keinen Kontakt zu anderen Menschen; insbesondere Nichtmuslime sind zu meiden: „Nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden!“ (Koran 5,51) Selbstisolierung, Distanz zur Mehrheitsgesellschaft und Ablehnung alles Nichtislamischen ist für viele Salafisten charakteristisch.

Die Bandbreite des Salafismus ist groß

Die Bandbreite des Salafismus reicht von unpolitisch-friedfertigen Menschen, die nur ihre besonders konservative persönliche Religiosität pflegen, bis zu hochpolitisierten militanten Fanatikern, die die Gewalt, die es im Frühislam gab, auch heute anwenden wollen, um einen islamischen Staat zu errichten, so wie ihn ihrer Ansicht nach der Prophet Muhammad geschaffen hatte. Ihre Selbstisolierung , die Bereitschaft, ihr Islamverständnis mit Gewalt durchzusetzen, ihre Miss- und Verachtung der westlichen Normen und Werte – all dies ist mit unserer rechtsstaatlichen Demokratie nicht vereinbar. Auch wissen wir nicht, welcher konservative Muslim, der nur den Glauben seiner Vorväter praktizieren will, langsam radikalisiert wird, sei es, durch Propaganda im Internet, die sehr vielschichtig in verschiedenen Sprachen angeboten wird, sei es durch Freunde oder Verwandte.

Hier sind Razzien und andere klassische Methoden der Polizei wirkungslos. Durch selbstgewählte Abschottung sind diese Menschen auch für die Mehrheitsgesellschaft nicht mehr erreichbar. Die Ansichten und Argumente von Nichtmuslimen, Appelle von Politikern und Aufklärungsarbeit von Lehrern und Sozialarbeitern bestärken sie nur in ihrer Überzeugung, einem auserwählten Kreis anzugehören, den wahren Islam gegen Feinde von außen verteidigen zu müssen.

Befangene Muslime aus ihrer Isolierung holen

Deshalb sind die aufgeklärten, modernen Muslime gefordert, hier aktiv zu werden. Es gibt sie längst, die reformbereiten Muslime, die im 21. Jahrhundert angekommen sind und einen Islam praktizieren, der flexibel und mit einem modernen Rechtsstaat kompatibel ist. Zahlreiche Muslime praktizieren ihren Glauben im Privaten und fordern keinen Staat, der der muslimischen Urgemeinde gleicht.

Ihnen gelingt es, den Islam zu historisieren, ihn also im geschichtlichen Kontext zu sehen anstatt ihn zu verabsolutieren. Es ist an diesen modernen Muslimen, verhärtete Positionen, starre Haltungen, sture Buchstabentreue zu hinterfragen und die in einem monolithischen Glauben an die wörtliche Gültigkeit alter Texte befangenen und blockierten Muslime aus ihrer Isolierung zu holen, sie diskussionsbereit und -fähig zu machen. Leicht wird dies nicht sein, aber es ist dringlich.

Alfred Schlicht

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