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"Immer noch jut". Friedrichshain ist nicht mehr so, wie es mal war. Vieles im Kiez hat sich zum Positiven verändert.

© imago/Florian Schuh

Wiederbegegnung mit Friedrichshain: Sagt mir, wo die Kohle ist

In Friedrichshain rauchten vor zehn Jahren noch die Schlote. Allein der Wasserturm am Ostkreuz scheint dem Wandel zu trotzen.

Als ich vor vier Wochen mein Gepäck aus dem U-Bahnhof Samariterstraße nach oben auf das Pflaster gewuchtet hatte, fiel es mir gleich auf: Der Geruch der Kohleöfen ist weg. Obwohl es kalt war. Mein Stipendium in Berlin begann mit einer leichten Enttäuschung. Vor zehn Jahren hatte ich schon einmal in Friedrichshain gewohnt. Der spezielle Schwefeldunst in der Luft signalisierte mir damals immer: „Gleich bin ich zu Hause.“

Ich wohnte in der Finowstraße. Mein Haus war gerade saniert worden, viele Häuser um mich herum aber noch nicht. Es wurden noch Kohlen hochgeschleppt, die Kamine stießen ihre „Rekord“-Rauchwolken aus den Schloten. Jetzt wohne ich gleich um die Ecke meines alten Gehäuses. Zwar begegnet mir der vertraute Kohlengeruch noch hier und da, doch ich entdecke einen anderen Kiez. Friedrichshain hat sich verwandelt.

Am deutlichsten sehe ich das in meinem alten Supermarkt. Schon von außen ist der Edeka an der Jessnerstraße nicht mehr ganz der Alte. Die Hunde der Punks vor der Ladentür: weg. Der Park mit dem Spielplatz, wo die Punks ihr Bier tranken, existiert noch. Doch die schwarzen Gestalten sind nur noch vereinzelt unterwegs. Vielleicht ist es einfach zu kalt. Früher stand man bei Edeka gleich nach dem ersten Schritt im Laden vor einer großen Wand mit billigen Bier. Wenn man jetzt reinkommt, strahlen dich erstmal frische Blumen an. Dann fällt der Blick auf fünf Sorten Tomaten (darunter: Mini-Roma, Strauch-Roma, Bio-Roma).

"Die Leute haben sich hier jetzt gefestigt"

Die Tomaten sind so rot wie die Fahnen auf den Balkonen der besetzten Häuser einmal waren. Außerdem hat Edeka zwei Arten von Bio-Eiern ins rechte Licht gerückt. Von ihnen fällt der Blick auf glitzernde Sekthälse und die bauchigen Flaschen edler Whiskeys. Das Einzige, was noch daran erinnert, dass wir uns im ehemaligen Ost-Berlin befinden, sind die Ampelmännchen an den Kassen. Sie signalisieren, ob die Kasse auf hat oder zu ist.

Unverändert sind zweitens die Pink eingefärbten Strähnchen der Kassiererinnen. Was kein Wunder ist: Meine damalige Friseurin in der Oderstraße ist dort immer noch am Werk. Waschen, schneiden, legen. Manchmal auch färben.

Gunda Bothe, der Haar-Expertin, geht es nach vierzehn Jahren an Ort und Stelle „immer noch jut“, und dem Kiez ihrer Meinung nach auch. Es habe sich Einiges zum Positiven verändert. „Die Leute haben sich hier jetzt gefestigt, es gibt nicht mehr dieses ständige Umziehen. Und wenn Leute sich festigen, kümmern sie sich auch mehr um ihre Gegend.“

In unseren Gesprächen ging es 2006 oft um die niedrigen Gehälter der Haarschneider. Damals konnten sie kaum von ihrem eigenen Geschäft leben, so erzählte mir Gunda. Zu einem Vollzeitjob mussten viele Friseure zusätzlich noch mit Hartz IV unterstützt werden. Denn für einen neuen Haarschnitt haben die Berliner eher nicht so viel übrig. „Inzwischen ist die Geiz-ist-Geil-Mentalität einigermaßen verschwunden, die Leute wissen, dass gute Sachen Geld kosten“, sagt Gunda. Und das ist gut so. Denn in Friedrichshain sind auch die Mietpreise gestiegen.

Dessous-Läden passen nicht zu Kohleöfen

Der Bahnhof Ostkreuz ist inzwischen ein anderer, und ähnelt fatal dem Südkreuz.
Der Bahnhof Ostkreuz ist inzwischen ein anderer, und ähnelt fatal dem Südkreuz.

© imago/Jürgen Ritter

Gunda Bothe macht ein gutes Geschäft, aber manchem alten Ladenbesitzer wurde vom Eigentümer der Kopf gewaschen. „Der Späti an der Jungstraße, zum Beispiel“, überlegt Gunda. „Der war 25 Jahre hier, aber als ihm von einem auf den anderen Tag die Miete erhöht wurde, ging es nicht mehr. Er hat noch eine Abschlussparty geschmissen für die Stammkunden. Und das war’s. Haare wachsen Gott sei Dank immer nach.“
Abgesehen vom Friseurgeschäft und dem Späti gab es in der Drehe um die Finowstraße ein Buchantiquariat, einen Haushaltswarenladen und eine Kneipe. Eine größere Auswahl an Bars hatte man nur an der Simon-Dach- Straße. Die meisten fand ich zu schlicht. Aber zum Glück gab es ja das Kino Intimes.
Wenn man heute aber zum Beispiel die Wühlischstraße hochläuft, dann sind dort viele schöne Bars, Restaurants und Klamottenläden zu finden. Höhepunkt dieser Gentrifizierung ist – wenn ich mir das so anschaue – ein Laden für Dessous. Dazu passen wirklich keine Kohlenwolken. Wenn so ein Laden überleben kann, dann gibt es in der Gegend ausreichend Geld für kostspieligere Freuden.
Um der Stand der Gentrifizierung messen zu können, haben wir vor zehn Jahren den so genannten Caipi-Index erfunden. Er errechnet sich so: Anhand der ortsüblichen Durchschnittspreise für einen Cocktail Caipirinha misst man, wie populär ein Ort ist. Denn man gibt ja reichlich Geld aus für ein Getränk, das in der Regel zur Hälfte aus Eiswürfeln besteht. 2006 lagen die Caipis in Amsterdam bei ungefähr sechs Euro, in Friedrichshain so um die vier Euro. Caipi-Index vergangenes Wochenende: Fünf Euro und fünfzig Cent.

Berlin ist eine Stadt der Kinder

Was zum Großteil verschwunden ist, sind die DDR-Devotionalien. 2006 wurden sie noch in rauen Mengen jeden Sonntag auf dem Flohmarkt am Boxhagener Platz angeboten: FDJ-Fähnchen, Lenin-Büsten, Volksarmee- Mützen. Doch Dachböden und Keller sind unterdessen wohl entrümpelt. Stattdessen gibt es jetzt hippe Vintage-Möbel, und im Kiez hergestellten Gin. Den Park in der Mitte des Boxhagener Platzes teilen sich Eltern, die ihre Kinder zwischen dem Eisladen und Schaukeln hin- und schieben. Sie alle drücken ihren Lebensstil durch hochwertige Fahrräder aus: Attribute der neuen Zeit.

Nicht alles in Friedrichshain hat sich geändert.
Nicht alles in Friedrichshain hat sich geändert.

© imago/Florian Schuh

Berlin ist eine Stadt der Kinder. Damals schon, mehr noch heute. An jeder Ecke ist etwas zu erleben. Es gibt viele Plätze um sich auszutoben, wie eben den Boxhagener Platz – ehe es wieder in die Wohnung zurückgeht.
Der Preis für die allergrößte Kiezveränderung geht aber an den S-Bahnhof Ostkreuz. Damals noch ein schrottreifes Gewirr von Bahnsteigen, jetzt ein modern stilisierter Knotenpunkt. Allein der alte Wasserturm neben den Gleisen erinnert mich daran, dass ich hier aussteigen muss. Denn der Bahnhof ähnelt fatal dem Südkreuz. Es ist bestimmt Sinn der Sache, an dieser Stelle Einheit auszustrahlen. Die Merkmale der damaligen Teilung – sie sollen Geschichte werden.
Dass ich auf meinem Weg zur Arbeit fünf Mal über Pflastersteine laufe, die andeuten wo einst die Mauer stand, ist ein Grund zur Freude. Noch aber vermisse ich auf den Bahnsteigen des Ostkreuzes die Holzbänke, an denen man sich in Berlin perfekt wie sonst nirgendwo auf der Welt Laufmaschen in die Strumpfhosen ziehen konnte. Die Erinnerung an das Ostkreuz hängt in meiner Wohnung in Utrecht. Eingefasst in einen Bilderrahmen sehe ich jedes Mal, wenn ich die Treppe zu meinem Schlafzimmer hochgehe, eine Grafik von Berlin by Rost. Sie zeigt die lang auslaufende Kurve eines S-Bahnsteiges und in einiger Entfernung davon den Fernsehturm. Immer wenn ich das Bild sehe, rieche ich die angefeuerten Kohlenöfen.

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