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Siegbert Schefke filmte am 9. Oktober 1989 eine Montagsdemo.

© Jan woitas/p-a/dpa

Zum Tag der Deutschen Einheit: Gestalter der Einheit: Alle für eines

Sie gingen auf die Straße, öffneten Schranken, verhandelten über die Zukunft des Landes: Die Lebensläufe dieser Menschen sind mit der Einheit verbunden.

SIEGBERT SCHEFKE

Manchmal, sagt Siegbert Schefke, manchmal können Fernsehbilder eben doch nicht alles einfangen. Dann zum Beispiel, wenn er, der Reporter, seinen Kamerakollegen am Hosenbund packen und wegzerren muss, weil gerade wieder Glasflaschen angeflogen kommen. Schefke spricht von Chemnitz, von jenen fünf Tagen vor gut einem Monat, an denen er für das MDR-Fernsehen dort gewesen ist. „Ich dachte bis dahin, dass ich so was auf deutschem Boden nicht mehr erleben muss“, sagt er.

Manchmal aber können Fernsehbilder eben doch alles einfangen, sie können sogar einem halben Land Selbstvertrauen geben und Mut.

Siegbert Schefke, 1959 in Eberswalde im Bezirk Frankfurt (Oder) geboren und dort aufgewachsen, Bauingenieur im VEB Wohnungsbaukombinat Berlin, Mitgründer der Umweltbibliothek der Berliner Zionskirchgemeinde, wurde von der Stasi überwacht und war dennoch in der Lage, heimlich Filme über Umweltzerstörung oder Innenstadtverfall zu drehen und in die Bundesrepublik schmuggeln zu lassen.

Schefke gelangen gemeinsam mit seinem Freund Aram Radomski Bilder der Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989. Sie waren der – für jede Staatspropaganda unwiderlegbare – Beweis dafür, dass es tatsächlich stimmte: Menschen gingen aus Unzufriedenheit mit der DDR auf die Straße, und diese Menschen waren viele.

Es war das wohl entscheidende Ereignis jener Wochen vor dem Mauerfall, am 9. Oktober entschied sich, ob die Revolution der DDR-Bürger in Blut ertränkt werden würde oder nicht. Blut, stellte sich am Abend von Leipzig heraus, ging nicht mehr: 70.000 Demonstranten waren auf dem Innenstadtring, zu viele waren sie und zu friedlich. Am nächsten Tag kamen Schefkes und Radomskis Bilder in die Welt, die „Tagesthemen“ zeigten sie.

Nach der Wiedervereinigung lebte Schefke in Dresden, zog dann seinem Sender nach Leipzig hinterher. Ein, zwei Mal im Monat geht er in Schulen und Universitäten, er spricht dort über Freiheit und Unfreiheit. Über das Gefühl zum Beispiel, als junger Mann vorm abgeriegelten Brandenburger Tor zu stehen, irgendwo weit dahinter die Siegessäule zu sehen und zu wissen: Du wirst ein Rentner sein, wenn du dir diese Siegessäule zum ersten Mal aus der Nähe anschauen darfst.

Am morgigen Mittwoch wird Schefke in Berlin sein. Der Bundesrat hat ihn eingeladen, als „Zeitzeugen“, auf die Bühne seines Festtagspavillons auf dem Platz der Republik. 11 Uhr und 18.30 Uhr wird er zu 1989 befragt werden, und zu dem, was danach kam.

Harald Jäger

Harald Jäger öffnete am 9. November 1989 den Grenzübergang Bornholmer Straße.
Harald Jäger öffnete am 9. November 1989 den Grenzübergang Bornholmer Straße.

© Patrick Pleul/p-a/ dpa

HARALD JÄGER

War es Vorsehung, dass Oberstleutnant Harald Jäger am 9. November 1989 das Kommando am Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße hatte? „Nein, es war der Dienstplan“, hat Jäger dazu gesagt. An jenem Abend sehen sich der damals 46-Jährige und seine Kollegen von der Passkontrolleinheit dem Ansturm Zehntausender Ost-Berliner gegenüber.

Kurz zuvor hat Günter Schabowski die Öffnung der Grenzen bekannt gegeben. „Was redet der denn für einen geistigen Dünnschiss?“, fragt sich Harald Jäger noch, die Menschenmenge vor seinem Grenzübergang wird immer größer, Anweisungen der Stasi-Vorgesetzten bleiben aus, kurz nach 23 Uhr gibt er den Befehl, den Schlagbaum zu öffnen. Die Bilder gehen um die Welt, Harald Jäger kommt am Morgen nach Hause zu seiner Frau und sagt: „Ich habe heute Nacht die Grenze aufgemacht.“

Nach der Wiedervereinigung wird Jäger arbeitslos, er eröffnet einen Kiosk, fährt Tiefkühlkost aus, arbeitet im Wachschutz. Heute ist er 75 Jahre alt und Rentner, wohnt in Werneuchen nordöstlich von Berlin, seine Geschichte ist als Buch erschienen und verfilmt worden. Jäger ist oft gefragt worden, ob er sich als Helden sieht. „Die Helden, das waren die anderen“, lautet seine Antwort dann. „Ich stand ja auf der sicheren Seite.“

Marianne Birthler

Marianne Birthler war Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes.
Marianne Birthler war Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes.

© Wolfgang Kumm/p-a/

MARIANNE BIRTHLER

„Unbuildung Walls“, Mauern abbauen, das sollte das große Thema für Marianne Birthler in diesem Jahr sein. Für den deutschen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig hatte sie unter diesem Motto den Kuratorenposten übernommen. Aber dann, vor knapp einer Woche, wurde der Vize-Chef der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen wegen Vorwürfen der sexuellen Belästigung beurlaubt.

Kurze Zeit später hieß es: Auch Chef Hubertus Knabe werde gehen und Birthler seine vorübergehende Nachfolgerin. Plötzlich war die ehemalige Bürgerrechtlerin wieder ganz nah dran an der dunklen Geschichte der DDR.

Mauern abbauen, Heilungsprozesse nach der Diktatur, das waren immer die großen Themen der mittlerweile 70-Jährigen. Sie war in der von Bärbel Bohley mitgegründeten Initiative Frieden und Menschenrechte aktiv. Am Runden Tisch stritt sie mit der DDR-Regierung über die Zukunft des Landes nach dem Mauerfall.

Für Bündnis 90 saß sie im letzten Parlament der DDR, im Bundesland Brandenburg baute sie das Bildungsministerium auf. Im Oktober 2000 dann übernahm sie das Amt der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. 2016 war Birthler Angela Merkels Wunschkandidatin für den Posten der Bundespräsidentin. Doch Birthler sagte ab. Stattdessen nun wieder Stasi. Als hätte sich nichts verändert.

Wolfgang Schäuble und Günther Krause

Wolfgang Schäuble (l.) und Günther Krause verhandelten den Einigungsvertrag.
Wolfgang Schäuble (l.) und Günther Krause verhandelten den Einigungsvertrag.

© picture alliance / dpa

WOLFGANG SCHÄUBLE UND GÜNTHER KRAUSE

Es ist noch gar nicht so lange her, da saßen sie noch einmal zusammen auf dem Podium und erinnerten sich. Wolfgang Schäuble und Günther Krause, die beiden Männer, die den Einigungsvertrag ausgehandelt und am 31. August 1990 unterzeichnet hatten. Wenig später, am 3. Oktober, trat das Vertragswerk in Kraft. Es war ihr gemeinsames Werk, auch wenn sich ihre Lebenswege später in unterschiedliche Richtungen entwickeln sollten.

Damals verhandelten sie auf Augenhöhe – auf der einen Seite der Jurist und Bundesinnenminister aus dem Westen, auf der anderen der Informatik-Ingenieur und parlamentarische Staatssekretär aus dem Osten. Für beide war der Einheitsvertrag so etwas wie ein Befähigungsnachweis für höhere Aufgaben. Krause wurde Bundesverkehrsminister in der ersten gewählten Regierung des vereinten Deutschland. Schäuble galt fortan als der Mann, der einmal Einheitskanzler Helmut Kohl beerben werde.

Ehrgeizig waren sie beide, wirklich geeignet für höchste Aufgaben nur einer. Günther Krauses Abstieg begann im Mai 1993. Nach einer Reihe von Affären, unter anderen um Zuschüsse für die Putzfrau seiner Ehegattin, trat er erst als Minister und bald darauf auch als Vorsitzender der CDU in Mecklenburg-Vorpommern zurück. In seiner Karriere als Geschäftsmann beschäftigte er dann immer wieder Staatsanwälte und Richter.

Es ging um Insolvenzverschleppung, Untreue, Betrug und Steuerhinterziehung, er wurde rechtskräftig verurteilt. Zuletzt musste Krause aus einer Villa an der Mecklenburgischen Seenplatte ausziehen, die seine Frau gekauft, aber jahrelang nicht bezahlt hatte.

Der Name Krause – für das Glück der Wiedervereinigung steht er schon lange nicht mehr.

Ganz anders bei Schäuble, der heute zu den beliebtesten Politikern des wiedervereinigten Deutschland zählt. Es ist auch sein Wille, der viele beeindruckt. Wenige Tage nach Inkrafttreten der Einheit überlebt Schäuble nur knapp ein Attentat, sitzt seither im Rollstuhl. Nachdem er sich ins Leben und in die Politik zurückgekämpft hatte, verweigerte Kohl ihm die Kanzlerkandidatur.

In der CDU-Spendenaffäre brach Schäuble mit seinem Ziehvater, musste dann im Februar 2000 wegen seiner eigenen Verstrickung seine Ämter als Parteichef der CDU und Fraktionschef der CDU aufgeben – und damit auch den Traum von der Kanzlerschaft. Nach der Abwahl von Rot-Grün wurde er 2005 wieder Innenminister, vier Jahre später Finanzminister und Verkünder der „schwarzen Null“. Als Bundestagspräsident – seit 2017 – verfügt er über wenig Macht. Doch Wolfgang Schäuble versteht es, der verunsicherten Republik mit einer einzigen Rede Halt zu geben.

Walter Momper

Walter Momper war 1989 Regierender Bürgermeister von Berlin.
Walter Momper war 1989 Regierender Bürgermeister von Berlin.

© Sebastian Gabsch/PNN

WALTER MOMPER

Er war der „Mann mit dem roten Schal“, der unversehens zum weltbekannten Politiker wurde. Die Bilder mit einem überglücklichen Regierenden Bürgermeister Walter Momper waren in den Wochen nach dem Mauerfall in Nachrichtensendungen auf allen Erdteilen zu sehen. Am 22. Dezember 1989 durchschritt der Sozialdemokrat gemeinsam mit dem Kanzler der Einheit, dem Christdemokraten Helmut Kohl, das wiedereröffnete Brandenburger Tor. „Berlin, nun freue dich!“, rief Momper dem feiernden deutschen Volk zu. Erst im März desselben Jahres hatte der ebenso bärbeißige wie hartnäckige SPD-Mann, aufgewachsen in Bremen, gemeinsam mit der Alternativen Liste (den heutigen Grünen) die Regierungsverantwortung im Westen der Stadt übernommen. Nun war Momper auf einmal der Planungschef des Alltagswahnsinns in einer zusammenwachsenden deutschen Hauptstadt. Am Ende des Einheitsjahres 1990 wurden Momper und seine rot-grüne Koalition schon wieder abgewählt, aber zuvor hatte er als dominanter Co-Chef des „Magi-Senats“, der gemeinsamen Stadtregierung von West und Ost, Geschichte geschrieben. Bis 2011 saß der heute 73-Jährige für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, dann verabschiedete er sich von der politischen Bühne und konzentrierte sich auf seine Arbeit als Entwickler von Bauprojekten.

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