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Zimt

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Zimt: Bei der Stange bleiben

Zimt ist in der Küche ein Alleskönner – er fördert Intelligenz, Verdauung und Libido. Die Dänen lieben ihn. Jetzt sagt die EU: Der Stoff macht krank! Doch von dem Gewürz gibt es zwei Sorten. Die große Zimt-Aufklärung.

Wie er schon duftet, wie er schmeckt! Nach Winter und Tausendundeiner Nacht. Und wie er klingt! Nach Milchreis und Apfelpfannkuchen, nach heiler Kinderwelt. Zimt, Zimt und Zucker, Zucker und Zimt: Nicht zufällig geben sich Cafés gerne diesen gemütlichen Namen, selbst eine Marketingagentur hat sich so getauft. Bei Zimt und Zucker wird einem gleich warm ums Herz, das weckt so ein Urvertrauen. Uralt ist er tatsächlich, eins der ältesten Gewürze der Welt.

Die alten Chinesen haben Zimt schon ein paar tausend Jahre vor Christi Geburt eingesetzt, und das nicht nur im Kochtopf, sondern als Medizin. Als wahres Wundermittel gilt er heute noch. Entzündungshemmend soll der Zimt wirken und antibakteriell, Magenbeschwerden lindern und die Verdauung fördern, die Libido ebenfalls und die Intelligenz, dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen und, dafür ist er besonders berühmt, den Blutzucker senken. Deswegen nehmen ihn Diabetiker sogar in Kapselform zu sich.

Und plötzlich soll er des Teufels, die Medizin Gift sein?! Die EU, empörten sich erregte Journalisten, will den Dänen ihre Zimtschnecken nehmen! Würde man dem Franzosen sein Croissant verbieten, die Aufregung hätte nicht größer sein können.

Die nüchterne Version: Mitarbeiter des dänischen Landwirtschafts- und Lebensmittelministeriums hatten bei Stichproben von Backwaren im Dezember zum Teil sehr viel höhere Cumarin-Werte entdeckt, als die EU in ihrer Aromaschutzverordnung von 2011 erlaubt. Mit anderen Worten: Gerade die geliebten Zimtschnecken, die der dänischen Seele doch so guttun, sind möglicherweise höchst gesundheitsgefährdend. Cumarin, das auch schon Waldmeister und Tonkabohne in Verruf gebracht hat, soll die Leber schädigen, im schlimmsten Fall sogar zu Krebs führen. Das haben zumindest Tierversuche mit sehr hohen Dosen ergeben.

Dafür kann der Zimt aber nichts. Denn das, was in den dänischen Schnecken steckt, ist meist gar kein echter Zimt. In den meisten Kopenhagener Backstuben und -fabriken steht Cinnamomum aromaticum, auch China-Zimt genannt (obwohl er heute meist aus Vietnam oder Indonesien kommt) oder Cassia. Diese minderwertiger Verwandte, in den USA die gebräuchliche Variante (aber dort gibt’s ja auch keine EU) hat einen entschieden höheren Cumarin-Anteil. Cinnamomum verum dagegen, der wahre, auch Ceylon-Zimt genannt, gilt als harmlos.

Wie man die beiden unterscheiden kann? Indem man auf die Packung guckt. Wenn man Glück hat, zum Beispiel im Bioladen, stehen Herkunft und Sorte drauf. Meist hat man Pech.

Es gibt aber ein paar relativ einfache Erkennungsmerkmale. Die Farbe zum Beispiel: Ceylon-Zimt ist heller, Cassia von dunklerem Rotbraun. In puncto Beschaffenheit und Aroma ist Ceylon-Zimt feiner, delikater. Ein sicherer Indikator ist auch der Preis: Der wahre Zimt ist teurer. Nicht nur weil er rarer ist, sondern auch, weil der Aufwand bei der Bearbeitung größer ist.

Zimt ist nichts anderes als getrocknete Baumrinde, daher auch der leicht holzige Geschmack, und zwar von einem Lorbeergewächs. Eigentlich ein Riese von Baum, 10, 20 Meter hoch in der Natur, wird er zum leichteren Ernten auf Buschhöhe zurechtgestutzt. Beim wahren Zimt wird die Außenrinde weggeschmissen, die Innenrinde ganz vorsichtig dünn geschält und an der Sonne getrocknet, dann mehrere dünne Schichten ineinandergesteckt. Cassia dagegen ist grobe, borkige Außenrinde.

Früher ein höchst kostbares Gewürz (daher soll der Ausdruck kommen: „eine Stange Geld“ verdienen), ist Zimt inzwischen ein billiges Massenprodukt. Zumindest in der Form, in der es in der Backindustrie (mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht nur der dänischen) und in den meisten Haushalten steht. Natürlich ist Zimtpulver im Alltag und bei großen Mengen viel praktischer als die ganze Stange, da kann man schnell mal eine Prise oder eine Handvoll irgendwo reinwerfen. Pulver ist aber, unabhängig von der Herkunft, die minderwertigere Form. Denn da wird auch der Zimtbruch untergemischt, der Abfall, der beim Schälen und Schneiden entsteht.

Aber ganz darauf verzichten? Eine Welt ohne das ostasiatische Gewürz ist undenkbar. In der Bibel kommt Zimt vor und in Coca-Cola, im Wermut und im Magenbitter, in Kaugummi und Körpermilch, im Curry, überhaupt in allerlei Gewürzmischungen wie Garam Masala, Five Spices oder Ras-el Hanout. Und wer glaubt, Zimt hätte an Heiligabend seinen Zenit als Gewürz überschritten, irrt gewaltig. Es passt zum Beispiel wunderbar zu Lamm und Wild, Ente und Huhn. Vor allem in der orientalischen und indischen Küche werden Fleischgerichte damit verfeinert.

Fleisch und Zimt? Unerhört, findet eine der Figuren in „Zimt und Koriander“, übrigens eine ähnliche perfekte Kombi wie Zimt und Zucker. In dem Film über eine griechische Familie aus Istanbul schlägt der Großvater, ein gewürzgelehrter Lebensmittelhändler, einer jungen Käuferin vor, Zimt in die Hackbällchen zu tun: um die Eltern ihres Liebsten für sich einzunehmen. Es wirkt.

Einige Leute mag da das Grausen packen. Ihnen müsste man auch die Schnecken gar nicht verbieten: Sie hassen Zimt sowieso, haben ihn hassen gelernt. An der Abneigung sind Köche und Bäcker schuld, die es zu gut meinen. Oder zu schlecht. Denn mit dem exotischen Gewürz kann man noch der fadesten Speise Geschmack beibringen. Nur ist es halt bei Überdosierung schnell ein ziemlich penetranter Geschmack. Früher hat man damit den Hautgout von Fleisch übertüncht, das nicht mehr so ganz frisch war, heute verdeckt man damit das eigene Unvermögen.

Das Maß macht’s. Eine Prise ans Tomatensugo: herrlich! Auch exzellente Köche schätzen Zimt, greifen dann aber lieber auf die dezenteren nelkenähnlichen Zimtblüten zurück oder auf die Stangen, mit denen man ein Gericht aromatisiert, die man aber, wenn sie ihren Dienst getan haben, wieder rausnehmmen kann. Dann wird auch nicht die ganze Speise braun. So würzt Holger Zurbrüggen seine Hummersuppe, Ottolenghi sein winterliches Couscous. Allerdings ist so eine Stange weit teurer und weniger ergiebig als Pulver, man kann sie nur einmal benutzen. Bei Spice for Life, einem Online-Gewürzeshop, gibt es dafür jetzt Zimtmühlen zum Selbermahlen (spiceforlife.de). Das wird die Fans freuen. Dass es von denen ziemlich viele gibt, zeigt allein der Siegeszug des Hamburger Franzbrötchens in der ganzen Republik.

Die Schweden, die (wie jeder Astrid- Lindgren-Fan weiß) ihre Kanelbulle mindestens so sehr lieben wie die Dänen ihren Kanelsnegler, waren übrigens schlauer: Sie haben die Zimtschnecken schon vor einiger Zeit als „garantiert traditionelle Spezialität“ eintragen lassen. Und Traditionen hebeln Brüsseler Aromaschutzverordnungen auf.

In Dänemark werden nun Gespräche zwischen Vertretern der Bäckerbranche und Abgesandten des Lebensmittelministeriums geführt, man bemühe sich um eine Lösung, wie es heißt. Erst einmal geht es überhaupt darum, ein Bewusstsein bei den Bäckern zu schärfen, was sie da eigentlich in den Teig rühren. Und dann sollen sie sich von den Händlern genaue Angaben über den Cumarin-Anteil geben lassen, um vorsichtiger zu dosieren. In ein paar Monaten will man weiter sein.

Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung gibt eher Entwarnung: 0,1 Milligramm Cumarin pro Kilo Körpergewicht am Tag bringt den Erwachsenen nicht um. Cassia enthält durchschnittlich drei Gramm pro Kilo. Wem die Rechnung zu kompliziert ist: Auch das Institut empfiehlt den cumarinarmen Ceylon-Zimt.

In diesem Sinne: Velbekomme, wie der Skandinavier sagt.

Empfehlenswerte Zimtschnecken und -brötchen gibt es in Berlin zum Beispiel bei „Zeit für Brot“, Alte Schönhauser Straße 4, Monsieur Ibrahim, Körtestraße 8. Bezugsquellen für Franzbrötchen unter www.franzbroetchen.de/ausbreitung.htm. Eine gute Auswahl an Gewürzen bekommt man etwa bei Pot und Pepper (Kielerstraße 9), Cucinotto (Bergmannstraße 111).

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