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Tina Turner starb am Mittwoch im Alter von 83 Jahren in der Schweiz, wo sie seit vielen Jahren lebte.

© dpa/Adv Archiv

Zum Tod von Tina Turner: Die Löwin

Sie schaffte es aus ärmlichen Verhältnissen an die Weltspitze und verwandelte den Schmerz aus einer toxischen Beziehung in optimistische Pop-Hymnen. Tina Turner war groß darin, das Leben zu meistern.

Sie zählte zu den erfolgreichsten Sängerinnen der Musikgeschichte. Manche sagen: auch zu den größten. Denn mit Hits wie „What’s Love Got To Do With It“, „The Best“, „We Don’t Need Another Hero“ und „Typical Male“ definierte Tina Turner den Sound der 80er Jahre mit, die Blüte des Pop mit ihrer Dreifaltigkeit aus Michael Jackson, Prince und Madonna, hinter der sie nur um ein Weniges zurücktrat.

Tina Turner war mit ihrer animalischen Stärke, ihrem Stolz und ihrer Innovationsfreude ein Fixpunkt dieser goldenen Ära. Und das war schon ihr zweiter Starruhm.

Nun ist die Sängerin im Alter von 83 Jahren in ihrer Schweizer Wahlheimat gestorben. Dass es zuletzt ruhiger um den Star geworden war, lag daran, dass sich Turner 2009 von der Bühne zurückzog und ihr Privatleben in Küsnacht nahe Zürich genoss. Sie hielt Wort, als sie meinte, dass es nach über 50 Jahren im Showbusiness genug sei, denn sie war die Art Mensch, die meinte, was sie sagte.

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„Lass doch meine Schwester mal singen“

Als Anna Mae Bullock in St. Louis aufgewachsen, drängte es sie nicht ins Rampenlicht. Wäre da nicht dieser Gitarrist gewesen, der mit seiner Band in einem angesagten Club der Stadt auftrat. In den Pausen setzte er sich ans Klavier, während sich seine Mitmusiker in die Garderobe verdrückten, und er musste sich immer denselben Satz der Freundin seines Schlagzeugers anhören: „Lass doch meine Schwester mal singen.“

Gemeint war Little Ann, wie Tina damals gerufen wurde. Das ging monatelang so, der Musiker wimmelte das Mädchen immer ab. Er dachte bei sich: „Alle sagen, sie können singen, aber sie können’s nicht.“

Ike Turner bildete sich ein zu wissen, wovon er sprach. Bis eines Abends, er klimperte gerade wieder auf dem Klavier herum, jemand das Mikro an Tina weiterreichte. „,Verdammt’, sagte ich, ,das Mädchen kann singen.’“

Little Ann, das schmale schwarze Mädchen aus kleinen Verhältnissen, war entdeckt – von Ike Turner, ihrem späteren Ehemann und Anlass jahrelanger Pein. Mit ihr nahm auch seine Karriere Fahrt auf.

Aber nicht sofort. Denn erstmal war sie noch mit dessen Saxofonisten zusammen, wurde schwanger, schlug sich als Hilfsschwester im Krankenhaus durch. Sie ging Ike Turner um Geld an. Drei Dollar gab er ihr die Woche, doch singen ließ er sie trotzdem nicht. In seiner Band sangen die Männer.

Das US-amerikanische Rock-Duo Ike und Tina Turner tritt in Kalifornien auf (undatierte Aufnahme).
Das US-amerikanische Rock-Duo Ike und Tina Turner tritt in Kalifornien auf (undatierte Aufnahme).

© dpa/Bert Reisfeld

Dann kam der jungen Mutter 1960 der Zufall zu Hilfe. Ike Turner hatte die Soul-Nummer „A Fool of Love“ geschrieben und wollte sie mit einem Sänger einspielen, der ihn jedoch versetzte. Tina sprang ein und weil sie sang wie ein Mann, was damals kaum eine Frau tat, wurde der Song zu einem Hit. Er ebnete dem erst künstlerisch, später auch familiär verbandelten Paar Ike and Tina Turner den Weg zu Ruhm und Reichtum.

Wobei der Aufstieg holprig war. Als Liveband war die Ike and Tina Turner Revue mit ihren Tänzerinnen im Minirock ein gefeiertes Ereignis. Nur die Plattenverkäufe wollten nicht anziehen. Ike erklärte es sich damit, dass seine Sängerin von Frauen nicht gemocht wurde. Um das Problem anzugehen, schrieb er ihr knackige Funk-Songs auf den Leib, in denen sie Sätze sagte, „die Frauen überall ihren Männern sagen wollen“, wie Ike Turner in seinen Lebenserinnerungen schrieb. Sätze wie: „It’s Gonna Work Out Fine“.

Mit Hits wie „Proud Mary“, „Nutbush City Limits“, das die Grenzen zwischen Soul und Rockmusik einriss, sowie mit dem Beatles-Cover „Come Together“ wurden Ike und Tina zu einem Dreamteam des R’n’B der 60er Jahre.

„Es war kein gutes Leben“, sagte sie rückblickend. Ikes schwieriger Charakter verwandelte die Beziehung in eine Psycho-Hölle, aus der sich Tina Turner erst 1976 befreien konnte, als sie aus dem gemeinsamen Hotel floh. In die Scheidung willigte er nur ein, weil sie auf sämtliche finanziellen Ansprüche aus Tantiemen verzichtete.

Wenn ich verstanden hätte, wie frech der Song ist, hätte ich ihn sofort akzeptiert.

Tina Turner über ihren größten Hit „What’s Love Got To Do With It“.

So stand das Mädchen aus der Baumwollpflücker-Familie, das sich zur mehrfachen Millionärin emporgeschuftet hatte und über eine Stimme verfügte, wie sonst niemand, wieder vor dem Nichts. Als alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen ging die 40-Jährige wieder Putzen. Das war ihr lieber, als Ehefrau eines Narzissten zu sein, der sie gekränkt und entmündigt hatte.

Sex ist wichtiger als Liebe? Niemals

Nur die Stimme, die hatte sie immer noch. Acht Jahre brauchte sie, um ihr eisenbiegendes Organ mit den synthetischen Sounds der 80er Jahre zu verschmelzen. Mit den Alben „Private Dancer“ (1984), „Break Every Rule“ (1986) und „Foreign Affair“ erklomm sie die Weltspitze abermals und wurde zur gefragten Duo-Partnerin von David Bowie und anderen.

Tina Turner während eines Auftritts im Madison Square Garden 1987.
Tina Turner während eines Auftritts im Madison Square Garden 1987.

© dpa/Ray Stubblebine

Dabei hätte sie sich beinahe um den Erfolg gebracht, weil sie zu sehr um Abgrenzung von ihrem alten Erfolg bemüht war. So lehnte sie es zunächst ab, ihren Comeback-Hit „What’s Love Got To Do With it“ zu singen, weil sie fand, dass er ihr nicht entsprach. Wie konnte etwas nicht mit Liebe zu tun haben?, fragte sie. Und sie fühlte sich derselben Nötigung ausgesetzt, der sie mit der Trennung von Ike hatte entfliehen wollen.

Erst die Überzeugungsarbeit ihres Mitproduzenten Terry Bitten öffnete ihr die Augen. „Wenn ich verstanden hätte, wie frech der Song ist, hätte ich ihn sofort akzeptiert“, sagte sie.

Inbegriff der Power-Frau

Ihre exzentrische Aufmachung, die Löwenmähne und Tigerkostüme, ließen sie eine Stil-Ikone werden. Für den Trash-Film „Mad Max – Beyond Thunderdome“ schrieb sie nicht nur den Soundtrack, sondern trat auch als feurige Antipodin des Helden auf.

Es war unvermeidlich, dass ihre Lebensgeschichte bei all den dramatischen Wendungen nicht auch zum Stoff popkultureller Verarbeitung wurde. Mit Genugtuung nahm sie die Huldigungen für das Musical entgegen, das von ihr erzählt. Doch viel zu tun hatte sie damit nicht mehr.

Tina Turner hatte gesagt, was sie zu sagen hatte. Kaum jemand verstand es wie sie, die Verwicklungen von Begehren und Liebe zu schildern. Dabei spielten auch ihre eigenen dunklen Erfahrungen eine Rolle. Wie etwa in „Two People“, wo sie gesteht, nicht loslassen zu können, weil zwei Menschen einander eben Schutz bieten müssten. Egal, was sei. Oder in „Typical Male“, wo sie zugibt, ihre weibliche Ausstrahlung einzusetzen, um gewöhnliche Männer rumzukriegen –und sich immer mehr in Schwierigkeiten bringt.

Diese Art Pop, die mit ihrem und dem Namen von Phil Collins verbunden ist, ging vor langer Zeit unter. Und dennoch wird die Nutbush City Queen, als die Tina Turner durch die Diskotheken fegte, der Inbegriff der Power-Frau bleiben.

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