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Die Quadrate verschwinden durch Reinigung oder Abkratzen, bis September will Muthesius immer wieder neue Felder anbringen.

© Michael Bienert

Kunstinstallation im Kriminalgericht Moabit: Hinter Gold und Gittern

Im Kriminalgericht Moabit hinterlässt Künstler Winfried Muthesius regelmäßig seine Spuren – kleine Zeichen der Leichtigkeit.

Von Michael Bienert

Das Kriminalgericht in Moabit ist ein kafkaesker Palast: Hinter der Sicherheitsschleuse weitet sich das zentrale Treppenhaus zur lichtdurchfluteten Kathedrale, von der zahllose Flure abgehen. Sie werden umso dunkler und schäbiger, je tiefer man sich in diesem Labyrinth der Justiz verliert.

Angeklagte gelangen aus dem Untersuchungsgefängnis durch ein separates Gangsystem in die Gerichtssäle, ohne Zuschauern und Richtern zu begegnen. Still bearbeiten Staatsanwälte hinter verschlossenen Türen endlose Aktenberge. „Vernehmung! Nicht stören!“, warnt ein Zettel an einer Tür.

Rund 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten die größte Strafgerichtsbarkeit Europas in Gang. In so einem Riesenapparat keimt Sehnsucht nach Störungen der Routine, gerade bei denen, die ihn täglich am Laufen halten müssen. Und so hat der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten Michael Borgas dem Drängen einiger kunstbegeisterter Richterinnen nachgegeben: Am Wochenende, wenn der Betrieb ruht, darf ein Heinzelmännchen ins Haus, dessen blitzblanke Hinterlassenschaften in der folgenden Woche neuen Gesprächsstoff für die Justizbediensteten liefern.

Der Berliner Künstler Winfried Muthesius überzieht seit einigen Jahren schon öffentliche Plätze, U-Bahnhöfe und Museumsräume mit „golden fields“, kleineren oder größeren Rechtecken aus hauchzartem Blattgold. Sie schieben sich nicht aufdringlich ins Bild, sondern tauchen beiläufig auf, wo man sie nicht erwartet – im Gerichtsgebäude etwa neben einer Saaltür, in der Nähe eines Feuerlöschers oder eines Fluchtwegweisers.

So erzeugen die Goldfelder im profanen Alltag kurze Momente der Irritation, die durch die Wahl des edlen Materials vor allem positive Assoziationen beim Betrachter auslösen: Gold steht für Reinheit, Beständigkeit, Werthaltigkeit.

„ein einzigartiges kleines Glücksgefühl“

„Durch den Glanz der golden fields kommt eine gewisse Leichtigkeit ins Haus, in dem ansonsten vorwiegend ernste bis sehr ernste Angelegenheiten verhandelt werden“, sagt Gerichtspräsident Michael Borgas. Und die Richterin Sabine Schummy, eine der Initiatorinnen der Kunstaktion schwärmt: „Die Goldfelder lösen auf unerklärliche Weise ein einzigartiges kleines Glücksgefühl in mir aus, wenn ich daran vorbeigehe.“ Das Gebäude, in dem sie seit dreißig Jahren arbeitet, nehme sie dadurch neu wahr, wenn sie auf der Suche nach neuen Goldflecken durch die Flure streift.

Weh tut diese Kunst niemandem. Um ihr Spannungsverhältnis zur Umgebung zu betonen, nennt der Künstler Winfried Muthesius seine Installation „Free“. Die unscheinbaren Goldflecken auf Boden- und Wandfliesen, Türen und Glasscheiben können zum Nachdenken anregen, über Freiheit und Gefangenschaft in der Justizmaschine. Sie eröffnen einen freien Assoziationsraum jenseits der juristischen Regeln und Sichtweisen, nach denen sonst im Haus verfahren wird.

Winfried Muthesius wünschte sich schon lange, mit seiner Kunst in diese Sphäre eingelassen zu werden. Vor sieben Jahren war ein erster Anlauf sang- und klanglos in den Mühlen der Justizbürokratie versackt. Jetzt hat Muthesius zwar auch keinen bezahlten Auftrag bekommen, aber immerhin die Genehmigung und logistische Unterstützung durch die Justizverwaltung.

„Free“ nennt Muthesius seine Installation, die im merkwürdigen Gegensatz zur Ernsthaftigkeit des Ortes steht.
„Free“ nennt Muthesius seine Installation, die im merkwürdigen Gegensatz zur Ernsthaftigkeit des Ortes steht.

© Michael Bienert

Zur Zeit läuft im Kriminalgericht der Prozess gegen vier mutmaßliche Räuber der 100 Kilogramm schweren Goldmünze, die 2017 aus dem Bode-Museum gestohlen und wahrscheinlich eingeschmolzen wurde. Befürchtet Muthesius nicht, dass Diebe seine gold fields von den Wänden kratzen?

„Das Material für die Vergoldung einer Wandfliese im Gericht kostet mich gerade mal 1,50 Euro“, antwortet er. „Aber so eine traditionelle Ölvergoldung, bei der eine hauchdünne Goldschicht auf eine angetrocknete Grundierung aufgetragen wird, braucht Geduld und Geschick, darin liegt der eigentliche Aufwand.“

Noch bis September will Winfried Muthesius seine Spuren im Haus hinterlassen, die nach und nach wieder verschwinden: abgerieben, abgewaschen, abgetreten, wegrenoviert, wie auch immer. Die Vergänglichkeit der hauchdünnen Goldüberzüge gehört zum Konzept seiner Installation.

Auch Mitarbeit ist erwünscht. Auf eine vergoldete Wandfliese am Eingang zum Saal 220 hat jemand ein Herz und den Namen „Kitta“ eingeritzt. Wer liebt hier wen? Die Juristinnen im Haus arbeiten bereits mit Herzblut an der Aufklärung dieses Falls.

Das Gerichtsgebäude in der Turmstraße 91 ist montags bis freitags von 9 bis 13 Uhr für Publikum geöffnet. Mehr Infos über den Künstler: www.muthesius.com.

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