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Kultur: 25. Klagenfurter Literaturwettbewerb: Das Rauschen im Hintergrund

In Klagenfurt gibt es, gegenüber dem Wietersdorfer-Peggauer-Gelände, auch ein Bachmann-Gymnasium, und weil Ingeborg Bachmann jetzt ihren 75. Geburtstag gehabt hat, wurde hier ein Denkmal enthüllt: eine "Installation" des "künstlerischen Designers" Klaus Hofer aus Seeboden.

In Klagenfurt gibt es, gegenüber dem Wietersdorfer-Peggauer-Gelände, auch ein Bachmann-Gymnasium, und weil Ingeborg Bachmann jetzt ihren 75. Geburtstag gehabt hat, wurde hier ein Denkmal enthüllt: eine "Installation" des "künstlerischen Designers" Klaus Hofer aus Seeboden. Auf zwei über drei Tonnen schweren Stahlplatten, jeweils sechs mal zwei Meter groß, liest man: "Fish 2001, Urban-Steel, Kulturamt Klagenfurt, Filli Stahl, Die Kärntner Sparkasse AG" und noch einige weitere Verse, bis man merkt: Das sind ja die Sponsoren. Denn drüber steht noch: "Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres Land" aus Ingeborg Bachmanns Gedicht "Böhmen liegt am Meer".

Und während auf dem Neuen Markt in Klagenfurts Zentrum das Stadt-Fest tobte, mit riesigen orangenen Würfeln über den Straßen, auf denen "Kronen-Zeitung" stand, und einer dementsprechenden Beschallung, fand am Stadtrand, im ORF-Studio, zum fündundzwanzigsten Mal der Wettbewerb um den "Ingeborg-Bachmann-Preis" statt. Neben einigen Klagenfurter Schulklassen, die das dem regulären Unterricht vorzogen, hörten dabei etliche deutsche Lektoren, Agenten, Journalisten und Verlagspressesprecherinnen zu. Einheimische gab es darüber hinaus kaum, nur ein älterer Herr mit einer ungewöhnlichen grauen Kinn-Backenbart-Kombination fiel mitunter auf, weil er in regelmäßigen Abständen ganze Sitzreihen dazu zwang, aufzustehen, um seinen Platz verlassen und dann wieder einnehmen zu können.

Wichtig war aber auch der Mann des österreichischen Fernsehens am Mischpult. Er hatte etliche Drehknöpfe und sieben Regler zu bedienen, unter denen jeweils Zettel mit den Namen der sieben Juroren geklebt waren. Diese schleusten an drei Tagen sechzehn Autoren durch den Wettbewerb, die sich allesamt den achten Regler teilen mussten; unter demselben klebte bloß "Autor". Dies war allerdings der Regler, der am leichtesten zu bedienen war. Der Mixer musste ihn nur einmal ganz hochschieben, eine halbe Stunde in dieser Stellung belassen, so lange las der Autor nämlich vor, und anschließend wieder ganz runterziehen. Komplizierter waren die Juroren-Regler. Kaum hatte der Autor ausgelesen, schob der Mixer alle Jurorenregler ein bißchen hoch, um dann virtuos vom einen zum anderen zu springen und denjenigen so voll wie möglich zu erwischen, der gerade sprach.

Dabei galt es, die speziellen Eigenheiten des jeweiligen Jurors zu berücksichtigen. Kein Problem war es bei Burkhard Spinnen und Denis Scheck, die richtige Einstellung zu finden: diese beiden Juroren sprachen klar und präzise, der Regler konnte in die Idealstellung geschoben werden, in der sämtliche Nuancen und Differenzierungen zur Geltung kamen. Wobei es dem Techniker immer mehr Spaß machte, die Spezialdisziplinen der beiden auszukosten: Spinnens geschliffene Rhetorik, seine schier professorale Akkuratesse der Satzkonstruktionen und penibel aufgebauten Pointen; auf der anderen Seite Scheck, der seine stärksten Momente erreichte, wenn er sein Gegenüber in kurze Wortgefechte verwickeln konnte, wenn er kecke Nachfragen und schlagschnelle Erwiderungen platzierte, die den Techniker zu einer wahren Regler-Wechsel-Artistik hinrissen; er hätte sich viel mehr solcher Situationen gewünscht.

Schwieriger wurde es bei den anderen. Robert Schindel war schwer zu fixieren, so sehr man auch den Regler in verschiedenen Stellungen ausprobierte. Schindels Stimme wurde nie so recht eindeutig, immer gab es in seiner Rede ein gegenläufiges Hintergrundrauschen, und seine warme, angenehme Modulation konnte nie auf eine eindeutige Position festgelegt werden. Und der Schweizer Juror Thomas Widmer hatte sich von vornherein auf eine andere Disziplin festgelegt und fiel dadurch auf, dass er selbst bei größter Scheinwerferhitze nie sein braunes Lederjöppchen ablegte. Seine Stimme gab sich zwar zunächst den Anschein, relativ fest zu sein, setzte aber keine größeren Ansprüche frei, der Mixer war in seinen Möglichkeiten ziemlich unterfordert und betrieb Dienst nach Vorschrift.

Auch Birgit Vanderbeke hob immer wieder vielversprechend an, der Mixer stattete den Regler mit einem relativ großen Volumen aus, doch dann kam nicht mehr viel nach. Er musste seine Erwartungen wieder herunterschrauben und bastelte ein bisschen an der Feinabstimmung herum. Auch Konstanze Fliedl aus Wien vermochte nicht, den Techniker zu Höchstleistungen herauszufordern und dadurch zufriedenzustellen. So sehr er versuchte, mehr Höhen hineinzubringen, so richtig wollte es nicht glücken. Keine Extremzustände, keine Spannung der Membranen, kein Knistern und keine Knalleffekte - und nie hatte er Gelegenheit, auch Tiefe unterzumischen wie letztes Jahr noch bei Iris Radisch; man begann ziemlich schnell, sie zu vermissen.

Am schlimmsten war es allerdings bei Elisabeth Bronfen. Da war gar nichts fest zu umreißen. Frei fluktuierend schwebte da etwas im Raum, das sich ständig in diffusen Sphären verhedderte und immer größere atmosphärische Störungen verursachte. Als Bronfens Regler einmal auf einer einigermaßen mittleren Einstellung stand, klingelte plötzlich das Handy des Mixers, und solange der nach seinem Handy suchte, blieb Bronfens Stimme sich selbst überlassen, flatternd und undeutlich; niemand war in diesen drei Tagen so einsam wie Elisabeth Bronfen.

Über die Autoren ist weiter nicht viel zu sagen. Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass sich die Aufmerksamkeit der Lektoren und Agenten eher auf die sogenannte "Häschenschule", den "Literaturkurs" vor dem eigentlichen Wettbewerb verlagert hat: hier können noch potenzielle Debütanten unter Vertrag genommen werden, hier kann man noch versuchen, den Boom der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur weiter aufrechtzuerhalten, während die Autoren des Wettbewerbs selbst längst gekauft sind und in die Realität überführt. Man hörte vor allem Sätze wie "hast du dieses Manuskript auch auf dem Tisch gehabt" und "der Sowieso hat dafür tatsächlich einen Vorschuss von soundsoviel gezahlt" und "der ist halt bei dieser und jener Agentur"; Überraschungen kann es da kaum mehr geben.

Es gab neben den üblichen Urlaubs- und Familiengeschichten und postexperimentellen Versuchsanordnungen einmal noch etwas aus den Endmoränen der Pop-Stilisierung, einmal die unvermeidliche Literaturbetriebssatire, zweimal die Humorvorgabe nach dem Motto "Witz komm raus du bist umzingelt", zweimal etwas aus der derzeit virulenten Beschäftigung der Enkel mit ihren fernen Vorfahren während des Nationalsozialismus und mindestens dreimal Sex; da war es eine Zeitlang fraglich, ob man überhaupt vier diskutable Texte für die vier zu vergebenden Preise zusammenkriegen konnte. Gottseidank waren dieses Jahr die zwei zusätzlichen Stipendien weggefallen, das erleichterte die Sache, und als der sechzehnte Autor gelesen hatte, konnte man einigermaßen beruhigt sein: zu vier Preisen ohne Peinlichkeit würde es reichen, wenn die Jury nicht noch irrationale Schlenker produzierte.

Da waren also Michael Lentz mit einer relativ streng durchkomponierten Etüde über das Sterben einer Mutter - die Assoziationen aus Familiengeschichte und Bildungsgut sind dabei geschickt zu Motivknäueln verwoben (erster Preis, der Bachmann-Preis); Jenny Erpenbeck mit einer kalkulierten, auf raffinierte Vagheit und Unentschiedenheit gezielten Geschichte über Schuld und Tapferkeit der Großelterngeneration, wobei der Erpenbecksche DDR-Familienhintergrund aus Stalinismus und Aufopferung zwar angedeutet, aber nicht recht ausgelotet wird (zweiter Preis); Antje Rávic Strubel mit einem suggestiv auf derzeit gut gehende Themen (Sex, Kälte, Frauen, Ausweglosigkeit) hin berechneten Text über den Stillstand der DDR Ende der siebziger Jahre (dritter Preis) und Katrin Askan mit einem unglücklichen Paar auf Fuerteventura (vierter Preis). Dass von einigen Juroren auch noch der Text Norbert Müllers, der einer gründlicheren Prüfung kaum standhält (mühsam ironisierte Schriftstellerklischees, unglücklich mit einer Prise Kafka versetzt), ins Spiel gebracht wurde, hat etwas mit Verzweiflungsschlenkern der unglücklicheren Juroren zu tun.

Etwas bleibt jedoch nach diesem Bachmann-Wettbewerb offen, etwas Dunkles, das vielleicht nur die Literatur selbst erhellen könnte. Es ist das Rätsel der Elisabeth Bronfen. Wie diese Geisteswissenschaftlerin, die in manchen Kreisen fast so etwas wie einen Kultstatus zu haben scheint, an den Texten vorbeisprach und in sich in beliebigen konzeptionellen Phrasen verlor, das hätte man in keiner Satire so zuspitzen können. Sätze wie "Ich hatte für mich auch den Begriff der Austauschbarkeit", "Ich will den Begriff des Hörensagens einbringen" oder "Ich komme wieder zu meiner Hysterie und da möcht ich dran festhalten" wurden über die diversen literarischen Versuche gestreut, bei denen es egal schien, ob sie eher gelungen, eher gescheitert oder überhaupt peinlich waren. Die beiden schlechtesten Texte des Wettbewerbs, bei denen alle anderen Juroren ziemlich entsetzt waren, wurden zielsicher von Bronfen ausgewählt, einen davon verteidigte sie gar mit der Bemerkung, dass es endlich an der Zeit sei, in Deutschland das Verhalten der Väter und Großväter im Nationalsozialismus zu thematisieren. Hier begannen Realität und Fiktion, Gegenwart und Geschichte auf heillose Weise ineinander zu verschwimmen, ein unerhört literarischer Vorgang, der vielleicht nur noch dadurch gesteigert wurde, dass zum erstenmal in der Geschichte des gesamten Wettbewerbs die aus dem deutschen Literaturbetrieb zusammengestellte Fußballmannschaft gegen die österreichischen Fernsehmannen gewann.

Helmut Böttiger

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