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Kultur: Rolle rückwärts

In Berlins Galerien feiern die Künstler der älteren Generation ein grandioses Comeback

Botsuana, 1993: Hermann Pitz sitzt am Flughafen und wartet auf seinen Transfer. Im nahen Baum arbeiten die Webervögel an ihrer Kronen-Kolonie: Hunderte Nester hängen bereits im Baum, die meisten davon bleiben später leer – und Pitz, der große Recycler, bedient sich. Er nimmt acht dieser fragilen, organischen Körper, kleidet sie mit Papier aus und malt konkave Welten in ihr Inneres: seinen Weg durch Düsseldorf ins Atelier, einen Blick in die fiktive National Gallery in Botswana, einen Löwen in der afrikanischen Steppe.

Fast zwei Jahrzehnte später liegen die Nester nun in der Galerie Thomas Schulte (Charlottenstr. 24, bis 23.10.). Dass sie nicht längst auf diverse private Sammlungen verteilt sind, verdankt sich der Uneinsichtigkeit des Künstlers. Nach ’93 war die Arbeit für ihn zuerst eine Installation und nur im Ganzen verkäuflich. Inzwischen sieht Pitz das anders – und er ist nicht allein mit seiner Revision. In ganz Berlin blüht der Rückblick! Jürgen Klauke in der Galerie Baudach, Yoko Ono bei Haunch of Venison, Harald Klingelhöller bei Meyer Riegger, Anna Oppermann in der Galerie Barbara Thumm und die Ausstellung „Koksen ist Achtziger“ im Projektraum Nymphius. Susanne Albrecht zeigt Kunst von Jonathan Borofsky und Dennis Oppenheim, die Galerie Sprüth Magers stellt eine neue Videoinstallation von Barbara Kruger neben ältere Arbeiten von Astrid Klein: An die Stelle der immer nächsten Generation treten in den Galerien gerade jene Künstler, die bis weit in die neunziger Jahre in deutschen Museen, auf der Documenta oder in Kunstvereinen präsent waren. Bloß in Berlin nicht, das sich bis in die Gegenwart vor allem damit befasste, seinen Ruf als junge Kunststadt zu festigen.

Nun also scheint man stark genug für eine Auseinandersetzung. Vielleicht auch etwas außer Atem ob der Rasanz, mit der sich immer neue Positionen manifestieren. Oder aber man ist wie Guido Baudach in der komfortablen Situation einer Zweitgalerie. Im alten Westen, am Savignyplatz: was für sich schon eine retrospektive Geste darstellt, nachdem sich die Kunstszene lange auf Mitte konzentrierte oder neue Orte erschloss. Doch in der Fabrikhalle, in der Baudach seit 2004 im Wedding sitzt, wäre eine Kabinettausstellung wie diese gar nicht möglich, sagt der Galerist. Obwohl er Jürgen Klauke für den Künstler hält, der ihn in den achtziger Jahren am stärksten beeinflusst hat. Weil Klauke Themen wie die künstliche Festschreibung der Geschlechter in seine schwarz-weißen, verstörenden Fotografien genommen hat, als die Gender-Debatte noch gar nicht gereift war. Und weil die Siebziger-Jahre-Sujets, Klaukes Prothesen wie seine Puppen (8000– 70 000 Euro), unmittelbarer wirken als manches von heute. Schließlich auch, weil einer Erfolgsgalerie wie Baudach, die wie ein Pilz emporgeschossen ist, die Rückversicherung gut ansteht. Wo der Betrieb immer schneller dreht, bremst man am besten ab und vergewissert sich, wer hier eigentlich die ästhetischen Leitlinien vorgibt.

Das gilt auch die die jüngere Künstlergeneration. So wirkt es nur konsequent, wenn die Galerie Meyer Riegger (Friedrichstr. 235, bis 28.9.) Skulpturen von Klingelhöller mit denen von Katinka Bock kombiniert. Bock wurde 1976 geboren – da hatte Klingelhöllers Vokabular sich schon entwickelt. Wie viele Künstler seiner Generation lehrt er seit langem selbst an einer Akademie und pflanzt so seine Ideen in die Köpfe der Studenten. Positionen, die in Zeiten der Performance, von Body Art und abstraktem Minimalismus gewachsen sind.

Ihren wegweisenden Charakter machen etwa die Collagen der „Broken Hearts“-Serie von Astrid Klein klar. Ihre großen Prints von 1980 hängen in der Galerie Sprüth Magers (Oranienburger Str. 18, bis 23.10.) Mixturen aus Arno Schmidts epochalem Roman „Zettels Traum“ und Pin-ups, die die Künstlerin über das Faksimile geklebt hat. Hier überlagern sich Text und Bild, werden mehrfach reproduziert und vermitteln, dass die Wahrnehmung eine Frage subjektiver Vorlieben ist. Kritik an der Konstruktion der Geschlechter – so klar und zugleich komplex, dass die Serie auch Jahrzehnte später noch funktioniert. Dabei steht im Zentrum der Ausstellung die neue, aufwendigen Vierkanal-Videoinstallation „The globe shrinks“, in der Barbara Kruger wie gewohnt mit Kosum und Fanatismus abrechnet. Und doch stellt man bei aller überbordenden Technik fest, dass Klein mit weit simpleren Mitteln ähnlich Eindrucksvolles gelingt.

Eine Einladung zum Vergleich nicht nur von Jahrgängen, sondern auch der Werke selbst. Bei Susanne Albrecht (Charlottenstr. 78, bis 2.10.) kann man auf Anfrage frühe Videos von Dennis Oppenheim sehen, in denen er Selbstverletzung und Körpererfahrung thematisiert. Das kleine Modell „Pig Fabric“ (4500 Euro) entlässt Tiere aus der Retorte – solche Radikalität sucht man auf seinen großen „Studies“ der neunziger Jahre vergeblich. Bei Hermann Pitz gestaltet sich die Rückschau etwas schwierig. Obwohl seine Ausstellung „Kunst der letzten dreißig Jahre“ verheißt, werden die Nester bloß von einer zweiten Installation (2000) flankiert. Wer eine Retrospektive erwartet, wird vor den Kopf gestoßen. Oder aber darauf, dass sich alle Gegenwartskunst in Berlins Galerien auf diese Zeit beruft.

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