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Schmerzfrei. Einige Rollstuhlrugby-Spieler sollen sich an gelähmten Stellen verletzen, um sich mit Adrenalin zu dopen.

© REUTERS

Verletzte Sieger: Boosting - Vorteil durch Schmerzlosigkeit

Der Behindertensport diskutiert über Stress-Doping durch Boosting – gelähmte Athleten fügen sich selbst Schaden zu, um ihre Leistungen zu steigern.

Das Thema ist nicht wirklich appetitlich, aber es ist heftig umstritten. Athleten dopen sich, indem sie ihrem teilweise unempfindlichen Körper Schaden oder Stress zufügen, um die Leistung zu steigern. Das Boosting ist in Fachkreisen auch bei den Paralympics in London Gegenstand von Diskussionen.

Bei früheren Spielen ist es beispielsweise vorgekommen, dass von der Brust abwärts gelähmte Männer sich über spitze Hilfsmittel an besonders empfindlichen Körperstellen verletzten, die Hoden abklemmten, um den Körper zu pushen. Sie fühlen ja nichts, aber der Körper schüttet massenhaft Adrenalin aus, der Blutdruck steigt, Fluchtreflexe setzen ein, sie werden aggressiver und leistungsfähiger. Bei den Paralympics in London ist bislang kein Fall bekannt geworden, aber Insidern zufolge sollen bis zu 30 Prozent der derart gelähmten Athleten zu so einer extremen Maßnahme bereit sein.

Rolf Kaiser, Arzt beim deutschen Team, weiß, wie internationale Experten Betrügern in der Vergangenheit auf die Spur kamen: Die Betreffenden schwitzen auffällig, die Körpertemperatur steigt, sie werden blass, bekommen Gänsehaut.

Je mehr Geld und öffentliche Anerkennung eine Rolle im Behindertenleistungssport spielt, desto eher steigt die Bereitschaft, zu dopen. In London unternehmen die Partner der Welt-Antidoping-Agentur Wada, eine Klinik und das King's College, rund 1250 Blut- und Urinkontrollen. Schon vor den Spielen wurden die syrische Gewichtheberin Alhasan wegen des Nachweises von Methylhexaneaminen bei Wettkämpfen in Jordanien aus dem Verkehr gezogen, die russische Sprinterin Elena Chistilina ist wegen Metaboliten seit einem Event in den Niederlanden gesperrt. In London gab es bislang einen Substanzen-Fall, dabei soll der brasilianische Gewichtheber Bruno Pinheiro Carra mit Abführmitteln Stoffe verschleiert haben.

Aber die guten Leistungen in London könnten, wenn Schätzungen und Einschätzungen von Experten stimmen, auch hier und da mithilfe von Boosting zustande gekommen sein. Der Chefmediziner des Welt-Behindertensportverbands IPC, Peter Van de Vliet, geht davon aus, dass sich Boosting in bestimmten Sportarten konzentriert. So sollen Erfahrungswerten zufolge querschnittgelähmte Sportler insbesondere in den Sportarten Rollstuhlbasketball und -rugby in Boosting verwickelt sein.

Einer, der sich traut, darüber zu sprechen, ist Brad Zdanivsky. Der 36-jährige Kletterer aus Kanada hat damit experimentiert. Viele Gelähmte leiden unter zu niedrigen Blutdruck. Weil Zdanivskys Körper wegen fehlender Reaktionsfähigkeit nicht wie der von Nichtbehinderten bei Anstrengung automatisch mit stärkerer Duchblutung reagiert, hat er seinen Zehen und Beinen zum Test mal kleine Elektroschocks verpasst. Das hat gewirkt. Zdanivsky berichtete der BBC auch, er habe von Athleten gehört, die sich mit kleinen Hämmern Zehen brechen, um die Leistungen zu steigern.

Eine eher harmlose Methode besteht darin, sich etwa den Katheter abzuklemmen. Die Blase füllt sich, Stresshormone werden ausgeschüttet. Doch das Risiko ist hoch. Der kanadische Experimentierer warnt davor, dass leicht „Adern hinterm Auge platzen können oder man sich auch einen Gehirnschlag holen kann“.

Seit 1994 ist Boosting in den Dopingregeln verboten. Es wird aber im Behindertenleistungssport bislang nicht nachdrücklich erforscht. Annette Kögel

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