zum Hauptinhalt

Politik: Die Teilung überwinden

Von Wolfgang Schäuble

In der kommenden Woche jährt sich zum 43. Mal der Tag des Mauerbaus. Zwar werden es im November auch schon 15 Jahre sein, dass sie wieder gefallen ist, aber die Folgen der Teilung sind noch immer zu spüren. Bei der Abstimmung über Hartz IV gab es zum ersten Mal im Bundesrat eine klare Frontstellung zwischen Ost und Westdeutschland. Wenn der Aufbau Ost nicht bald gelinge, erleide das ganze Land Schaden, mahnte eine von Klaus von Dohnanyi geleitete Kommission, und Antje Vollmer forderte vor kurzem in dieser Kolumne: „Rettet den Westen!“ Zwar wollte sie damit vor einer kulturellen Verödung des Berliner Westens warnen, aber im Kern geht es dabei um Veränderungen, die mit der Überwindung der deutschen Teilung zusammenhängen.

Von alledem trifft vieles zu. Umgekehrt zeigt die Erinnerung an den Mauerbau auch, was alles besser geworden ist. Vor allem belegt sie, dass Teilung und Diktatur und nicht Fehler bei der Wiedervereinigung die eigentliche Ursache sind. Auch ohne die Aufbauleistungen für die neuen Länder wäre die Wirtschaft in Deutschland dem härter gewordenen Wettbewerbsdruck ausgesetzt, der zur Verlagerung von Arbeitsplätzen führt und der uns zwingt, die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme neu zu bedenken. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist größer geworden, das ist leider nicht zu bestreiten. Da liegt der Ruf nach dem Staat nahe. Sparen ja, aber dann gefälligst alle, und gerecht muss es zugehen. So erwarten viele von der Politik ein Gesamtkonzept. Ob das die Politik nicht überfordert?

Der 13. August erinnert daran, dass ein politisches System, das sich für alles zuständig erklärt, am Ende herzlich wenig zustande bringt. Das gilt gerade im sozialen Bereich, wo staatliche Allzuständigkeit rasch Entsolidarisierung fördert. Aber das heißt umgekehrt auch, soziale Verantwortung nicht klein zu schreiben. Wer über zu hohe Steuern klagt, muss soziales Engagement stärker leben. Das war der Fehler der Shareholder-Value-Philosophie, dass sie die Verantwortung von Unternehmen auf die kurzfristige Ertragssteigerung reduzierte. Das ist das Ärgerliche am Fehlverhalten von Teilen der Managerklasse.

Das müssen wir ändern. Aber das heißt auch, dass wir uns mit der wachsenden Spaltung in unserer Gesellschaft nicht abfinden dürfen. Wenn beides zusammenkommt, können wir unsere Chancen nutzen. In Frankreich hört man zurzeit immer wieder, dass durch die Erweiterung der EU Deutschland am meisten profitiere, weil wir näher an neuen dynamischen Märkten im Osten Europas liegen würden. Das zeigt, dass wir eher mit Zuversicht neue Herausforderungen annehmen sollten. Aber das setzt voraus, dass wir die Teilung überwinden, in Deutschland wie in Europa, und genau dazu mahnt der 13. August.

Der Autor ist Mitglied des CDU-Präsidiums. Er schreibt diese Kolumne im Wechsel mit Richard Schröder und Antje Vollmer.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false