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Wirtschaft: Miss Wirtschaft

Neelie Kroes soll EU-Wettbewerbskommissarin werden – trotz ihrer fragwürdigen Firmenkontakte

Als Neelie Kroes noch die Verkehrsministerin der Niederlande war, trommelte sie wichtige Wirtschaftsbosse des Landes zusammen, um eine neue Lobbygruppe ins Leben zu rufen. Die Gruppe sollte die weltweite Vermarktung der niederländischen Transportindustrie vorantreiben und sich beim Parlament für die Genehmigung von Verkehrsprojekten stark machen. Kroes organisierte noch einen staatlichen Zuschuss für die Vereinigung und übernahm nach ihrem Rückzug aus der Regierung 1989 ihren Vorsitz.

Ganz oben auf der Agenda der Lobbyisten stand der Bau einer Güterbahnlinie, die den Hafen von Rotterdam mit dem deutschen Eisenbahnsystem verbindet – die so genannte Betuwe-Strecke. Als die Regierung staatliche Mittel für das Projekt bewilligte, lag ihr auch ein ermutigendes Gutachten der Wirtschaftsschule vor, deren Präsidentin Frau Kroes zu jener Zeit war. Unter den Profiteuren der Betuwe-Strecke sind das niederländische Transportunternehmen Royal Nedlloyd NV und der Baukonzern Ballast Nedham NV, der den Großteil der Bauleistungen erbringt. In beiden Gesellschaften saß auch Kroes im Aufsichtsrat.

Jetzt soll Neelie Kroes neue EU-Wettbewerbskommissarin werden, vor allem wegen ihrer Erfahrungen, die sie seit ihrem Ausscheiden aus dem Verkehrsressort im Wirtschaftsleben gesammelt hat. Unterdessen ist die Betuwe-Bahnlinie noch immer nicht fertig und wird mit außerplanmäßigen Mehrkosten von über drei Milliarden Euro inzwischen vom niederländischen Parlament untersucht.

Das Projekt zeigt, dass die 63-Jährige bei ihren wirtschaftlichen Betätigungen nicht immer klar zwischen privaten und öffentlichen Interessen getrennt hat. Zu jener Zeit war dies in den Niederlanden nichts Außergewöhnliches. Dennoch sind die Verflechtungen der Kandidatin zur Wirtschaft für ihre Kritiker eher ein Ablehnungsgrund als ein Eignungsmerkmal für den hohen Posten.

Das Vermengen von Wirtschaftsinteressen und Regierungsaufgaben gerät inEuropa unter verstärkte Beobachtung. Besonders kontrovers sind staatliche Hilfen für die Großkonzerne. Frankreich und Deutschland stoßen mit ihren Auffassungen von Industriepolitik auf wenig Verständnis bei der Europäischen Union. Und gerade die Kommission hatte sich in den vergangenen Jahren stark gemacht für die Abkehr von einer Wirtschaftspolitik zugunsten einiger weniger Unternehmen.

Die Berufung von Frau Kroes sollte schon in der letzten Woche wirksam werden, wurde jedoch zunächst Opfer des Widerstandes, der dem künftigen Kommissionschef José Manuel Barroso wegen der Auswahl einiger der Kandidaten entgegengeschlagen ist. Die Ablehnung durch das EU-Parlament entzündete sich auch an Frau Kroes. Mit Blick auf ihre engen Verbindungen zur Wirtschaft wurde ihre Effektivität als oberste Wettbewerbshüterin in Frage gestellt. Inzwischen präsentierte Barroso eine veränderte Aufstellung seiner Regierungsmannschaft, bestätigte dabei jedoch die umstrittene Niederländerin. Über alle Mitglieder der Kommission stimmt das EU-Parlament am 18. November ab.

Wenn sie den Posten erhält, spricht vieles für einen Kurswechsel gegenüber Amtsvorgänger Mario Monti, dessen harte Linie allgemein mit einem Gemisch aus Verachtung und Anerkennung quittiert wurde.Unter anderem vereitelte er die Übernahmepläne des General-Electric-Chefs Jack Welch und erteilte Bill Gates’ Vorstellungen vom europäischen Microsoft-Geschäft eine Abfuhr. Bei Frau Kroes hofft die Wirtschaft auf mehr Verständnis. „Sie weiß genau, wie die Dinge in der Wirklichkeit laufen“, sagt Karel van Miert, Vorgänger von Monti im EU-Wettbewerbsressort und Nachfolger von Kroes im Amt des Präsidenten der Nyenrode Wirtschaftsschule in den Niederlanden. „Für eine Wettbewerbskommissarin ist dies eine nützliche Basis.“

Frau Kroes stand selbst nie an der Spitze eines Unternehmens. Doch nach ihrem Ausstieg aus der niederländischen Politik hat sie sich als einflussreiche Autorität in der niederländischen Geschäftswelt etabliert.Bei mehr als 50 Unternehmen und gemeinnützigen Vereinigungen saß sie im Aufsichtsrat. Sie gilt auch als Retterin der Nyenrode Wirtschaftsschule, deren Präsidentin sie wurde.

Nachdem die Einrichtung die staatliche Förderung verlor, hat Kroes über ihr weitreichendes Netz von Industriekontakten neue Geldquellen in der Unternehmenswelt gefunden. Kroes sagte, sie werde sich in ihrem neuen Amt immer als befangen erklären, wenn Untersuchungen gegen Unternehmen durchgeführt werden, in deren Gremien sie saß. Sie habe sich von sämtlichen Beteiligungen getrennt und versprach, nie mehr in die private Wirtschaft zurückzukehren. Zu einem Interview war sie jedoch nicht bereit. In einer Stellungnahme per E-Mail bemerkte Kroes, dass ihre Schritte über die ethischen Amtsanforderungen der EU hinausgegangen sind und sagte, dies „verhindere effektiv sämtliche Interessenskonflikte für jetzt und die Zukunft.“

Für einige der Abgeordneten im EU-Parlament bleiben dennoch mögliche Konflikte, und auch aus den Niederlanden gibt es Stimmen, die eine genauere Untersuchung der beruflichen Vergangenheit von Frau Kroes fordern. „Die Weise, in der sie aufgetreten ist und ihre Kontakte für das Betuwe-Bahnprojekt eingesetzt hat, zeigt, dass diese Art von Industriekarriere nicht förderlich für das Amt des Wettbewerbskommissars ist“, sagt Oliver Hoedeman, Forschungsleiter bei Corporate Europe Observatory, einer Amsterdamer Gruppe zur Überwachung von Lobbyarbeit.

Auch der Wettbewerbs-Anwalt Chris Bright ist skeptisch. „Wenn man sich die Reformen der EU ansieht, scheint es sehr widersprüchlich, eine Person mit so vielen offensichtlichen Interessenskonflikten auszusuchen“, meint der Anwalts-Partner für Wettbewerbsrecht bei der Londoner Anwaltsfirma Shearman & Sterling. Das Betuwe-Projekt zieht sich wie ein roter Faden durch Kroes politische und privatwirtschaftliche Ämter-Karriere der letzten 16 Jahre.

Während einer Anhörung im September anlässlich der parlamentarischen Untersuchung des Projekts sollte sie auch zu einem Bericht des niederländischen Journalisten Frank Sidiqui Stellung nehmen. Dieser dokumentierte nach jahrelanger Untersuchung des Themas, wie Frau Kroes als Teil einer kleinen Interessengruppe die Transportpolitik des Landes beeinflusst hat – und zwar vor und nach ihrem Ausscheiden aus dem Ministeramt. Viele Worte machte die kritisierte Ministerin nicht: „Das sehe ich nicht so“, war ihre Antwort.

Alexei Barrionuevo[Den Haag]

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