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Berlin: Explosion auf See

Sein Hundchen hat ihn wiedererkannt, die Wohnung ist warm, und auf sämtlichen Tischen leuchten noch die Blumensträuße von seinem 60. Geburtstag.

Sein Hundchen hat ihn wiedererkannt, die Wohnung ist warm, und auf sämtlichen Tischen leuchten noch die Blumensträuße von seinem 60. Geburtstag. Jörg Lehmann könnte zufrieden sein. Könnte. Könnte, sollte, wäre, hätte. Zu spät. "Es ist nicht so, dass ich zum Psychiater müsste. Aber ich habe ein Problem im Kopf", sagt Lehmann. Seinen Geburtstag wollte er südlich von Australien feiern - allein an Bord seiner "Kreuz As", mit der er im August zur Nonstop-Weltumsegelung gestartet war. Von seinem Verein im Köpenicker Ortsteil Karolinenhof sollte es durch Spree, Havel, Elbe, Nordsee und Ärmelkanal zum Atlantik gehen. Dann südwärts bis zum Kap der Guten Hoffnung, an Neuseeland vorbei, hinter Feuerland wieder nordwärts Richtung Europa und den Müggelbergen entgegen. Aber irgendwo auf der Südhalbkugel, etwa zwischen Angola und Brasilien, explodierte sein Bordkocher, und auf dem vorzeitig angetretenen Rückweg geriet er in Seenot. Sein Leben konnte er retten, sein Schiff nicht.

Ohne Kocher war der Törn um die Welt unmöglich: kein warmes Wasser, kein Brot, keine Nudeln. Keine Chance. Lehmann steuerte die Kapverden an, weil er den Kocher auf See nicht ordentlich löten konnte. Nach gelungener Reparatur startete er Richtung Azoren, wo sein Schiff überwintern sollte. Das im Meer treibende Tau bemerkte er erst, als es sowohl das Ruder als auch die eilig in Gang gesetzte Schraube blockierte. Es war stockfinster, die See war rau und die Küste bedrohlich nahe. Die Anker konnten gegen die Brandung nichts ausrichten; knirschend lief die "Kreuz As" auf den steinigen Strand. Eine Nacht lang funkte der Skipper Notsignale und schleppte das Nötigste an Land, während die Wellen sein Boot ruinierten. Am Morgen bemerkte ihn ein russisches Kreuzfahrtschiff und veranlasste Hilfe. Ein Fischer schleppte die Yacht in den Hafen von Mindelo. Dort wurde am nächsten Tag die Funkanlage geklaut. Lehmann heuerte einen Wachmann an, der unter dem aufgebockten Schiff schlief. "Das System klappt: Die Einen klauen wie die Raben, damit die anderen Arbeit als Wächter haben", schrieb er ins Logbuch. Allmählich wurde ihm klar, dass sein Schiff verloren war. Er musste nur noch auf den Versicherungsgutachter warten. Tags darauf erschien der Fischer erneut: Er verlangte 2000 Dollar für die Bergung.

Nun sitzt Lehmann auf seinem Sofa in der Pankower Wohnung und grübelt, was er falsch gemacht haben könnte. Er kommt zu keinem brauchbaren Ergebnis. Benny, der kleine weiße Highland-Terrier, beobachtet ihn sorgenvoll aus dem Augenwinkel. Vielleicht bekommt er später noch ein paar Bilder von der Reise zu sehen.

Eine zweite Chance zur Weltumsegelung sieht Lehmann vorläufig nicht. Selbst wenn er 80 000 Mark von der Versicherung bekäme: Ein gebrauchtes Schiff vom Format der "Kreuz As" dürfte das Doppelte kosten. Aber vielleicht kann er sich im nächsten Sommer irgendwo als Mitsegler verdingen. "Denn wenn ich bloß am Ufer stehen und den anderen beim Segeln zuschauen müsste", sagt Lehmann, "dann muss ich wohl doch noch zum Psychiater."

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