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Mike Kelley: „Ectoplasm Photograph 9“, 1978/2009

© Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Punk im Weltall: Das Universum des Künstlers Mike Kelley

Kuscheltiere machten ihn bekannt. Eine große Werkschau stellt den US-Amerikaner nun im Düsseldorfer Museum K21 in seiner ganzen Abgründigkeit vor.

Die Erkenntnis trifft einen wie der Blitz. In den 1990ern, als Mike Kelley auf der Höhe seiner Karriere war, hat man ihn nicht verstanden. All die abgewetzten Plüschtiere, aus denen der US-amerikanische Künstler seine Assemblagen schuf, wurden als Hinweis auf seine eigene Kindheit interpretiert: Kelley, ein Opfer von Missbrauch, der die Erlebnisse geradezu obsessiv thematisierte.

Es war viel komplizierter, aber Kelley machte mit. Nachdem er einmal in der Ecke der Vergangenheitsbeschwörer saß, protestiert er zuerst, schwieg dann aber. Sollten die Leute reden, der Künstler arbeitete sich an weiteren Themen ab, schuf 2007 mit der raumfüllenden Installation „Kandors“ nach der geschrumpften Heimat von Superman seine spektakulärste Arbeit – und nahm sich fünf Jahre später das Leben.

Er „kämpfte mit Skulpturen aus Stofftieren und Comic-Modellen gegen die Traumata seiner Kindheit“, rief ihm das Magazin „Der Spiegel“ nach. Nicht einmal jetzt wurde der Künstler sein Image los. Sein Freitod, der wohl mit depressiven Schüben zu tun hatte, befeuerte die These erst recht.

Exzessive Highschool-Partys

Die aktuelle Retrospektive im Museum K21 in Düsseldorf blickt nun aus zeitlicher Distanz auf Kelleys ebenso eigenwilliges wie originäres Werk. Die Ausstellung „Ghost and Spirit“ nahm ihren Anfang in der Bourse de Commerce in Paris im Privatmuseum des Multimilliardärs Francois Pinault, der die unter Glasglocken leuchtenden und dampfenden „Kandors“ in kleiner Edition komplett erwarb. Von Düsseldorf zieht die Ausstellung weiter nach Stockholm und London, ein Beweis für die ungebrochene Anziehungskraft des Künstlers.

Vor allem aber lässt der Parcours durch die frühen Videos, die Auto- und Stofftierporträts, seine großartige Serie „Extracurricular Activity Projective Reconstruction“ über die Ausschweifungen von Highschool-Partys, die Kelley nach Fotos noch einmal rekonstruiert; lassen seine 1978 begonnenen „Ectoplasm Photographs“ den eigentlichen Impuls jener Kunst erkennen: Es ging um alles, woran man glaubt und die daraus resultierenden Abhängigkeiten.

Kelley glaubte erst einmal an nichts. Schon gar nicht an die minimalistischen Strömungen seiner amerikanischen Vorgänger, die wie Donald Judd ihre Skulpturen radikal reduziert hatten. Kelley reagierte komplementär: Er holte Dreck und Gefühle in die Kunst zurück, statt Kanten gab es knuddelige, gebrauchte Stofftiere, von denen eines auf dem Plattencover „dirty“ der Noise-Band Sonic Youth auftauchte.

Seine Filme waren sprachlich überbordend, die Argumentation darin verlief komplett inkonsequent. In Performances wie „The Futurist Ballet“ von 1973 verwies er mit Skulpturen auf Lichtgestalten der Avantgarde wie Marcel Duchamp oder Joseph Beuys, stellte in seinen Monologen dann aber jeden künstlerischen Fortschritt wieder infrage.

Watte quillt aus Kelleys Ohren

In den frühen „Ectoplasm Photographs“ zeigte er sich selbst während einer Séance im Stil des späten 19. Jahrhunderts. Die Fotografie ist bläulich und leicht unscharf, von hinten kommt geisterhafter Rauch, aus Kelleys Ohren und Nase quillt sogenanntes Ektoplasma, das in der Parapsychologie ein Medium auszeichnen soll. Bloß ist es im Fall des Künstlers erkennbar Watte, die er sich in die Körperöffnungen gestopft hat.

Man kann darüber lachen und Kelley für einen Clown halten. Man kann sich aber auch daran erinnern, dass der Exorzismus in den USA regelmäßig eine Renaissance erlebt und bis heute Menschen sterben, weil ihnen ein angeblicher Dämon ausgetrieben werden soll.

Nr. 2 für Mike Kelley, Kultur: „More Love Hours than Can Ever Be Repaid“ 1987.

© Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Dass seine katholische Erziehung Spuren hinterlassen hat, demonstriert Kelleys Skulptur „Catholic Birdhouse“, die er 1978 als Kasten mit zwei unterschiedlich engen Bohrlöchern im selben Jahr konstruierte, in dem er das California Institute oft he Arts in Los Angeles mit einem Studienabschluss verließ. Wer sich durch diese Löcher in das Nest zwängen muss, der ist verformt.

Für immer pubertär

Um solche Deformationen, die in der fragilen Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein geschehen und selten völlig ausheilen, kreist ein großer Teil des Werks. Momente der (auch sexuellen) Allmacht werden von solchen des eigenen Ungenügens überlagert, zurückbleibt ein ewig pubertäres Gefühl, den Schwankungen des Egos wie der Mainstream-Gesellschaft ausgeliefert zu sein.

Da rücken auch die Kuscheltiere erneut in den Fokus der Interpretation – doch diesmal wird das Meer aus einst von Eltern gebastelten Häschen, Katzen und Fantasiefiguren zur harten Währung. Kelley begriff es als einen ungleichen Deal: Das Geschenk setzt die Kinder unter Druck. Was sollen sie zurückgeben außer Liebe, materiell sind sie erfahrungsgemäß schlecht ausgestattet.

So beginnt das Spiel der Abhängigkeiten, von Erwartungen und Machtstrukturen. Mike Kelley rebellierte dagegen, hob das Abgründige und das Verdrängte aufs Podest, kramte die verdrängte Sexualität hervor und untersuchte Comic-Mythen.

„Kandor“, dieser Comic-Mythos einer Stadt vom Planeten Krypton, die x-mal erwähnt und dabei immer wieder anders beschrieben wird, war ein Faszinosum für den Künstler. Weil es so viele Versionen gab, hat er sie in immer neuen Varianten gebaut – in farbigem Gießharz, von innen leuchtend und so perfekt, dass sie sich vom Second-Hand-Charakter der meisten anderen Arbeiten deutlich abhebt. Trotzdem gehört sie zu Kelleys Lebenswerk. Als Superman hätte er den Punk sicher bis ins Weltall gebracht.

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