45 Jahre Schwuz: Berlins queeres Wohnzimmer feiert Geburtstag
Vom kleinen Treffpunkt im Hinterhof zum etablierten Club: Seit 45 Jahren gibt es in Berlin das Schwuz. Die queere Institution hat sich immer wieder neu erfunden.
Eine selbst gebaute Theke, ein paar alte Kinosessel, ein mitgebrachter Plattenspieler – viel mehr gab es am Anfang nicht. „Doch es hat sich schnell herumgesprochen“, erinnert sich Elmar Kraushaar. Er war 1977 in der Anfangszeit des Schwulenzentrums, kurz Schwuz, dabei. Engagierte Studenten hatten es gegründet. Viele kamen aus der Homosexuelle Aktion Westberlin, eine der größten und aktivsten Schwulengruppen der damaligen Zeit, die nach einem Streit über den richtigen politischen Kurs zerbrochen war.
In deren Räumlichkeiten in einer Fabriketage in der Kulmer Straße in Schöneberg entstand ein Ort „für Schwule, die gegen Diskriminierung der Tunten, der Schwulen, der Homosexualität, der Repression im Allgemeinen aktiv sind und werden wollen“, wie es im Gründungsbeschluss heißt.
45 Jahre ist das jetzt her, das Schwuz gibt es noch immer. Viel größer, professioneller, aus der Clubszene Berlins nicht mehr wegzudenken. Am Wochenende wird das mit einer großen Party gefeiert. „Am Anfang war das Schwuz allerdings kein Club, sondern ein niedrigschwelliger Treffpunkt und eine Alternative zu kommerziellen Szenekneipen“, sagt Kraushaar, bei der Gründung 27 Jahre alt. „Es war unser schwules Wohnzimmer.“
In dem selbstverwalteten Zentrum trafen sich Arbeitsgruppen, wurden Aktionen vorbereitet und neue Projekte angestoßen. Eine schwule Schülergruppe gründete sich, ebenso das Rosa Telefon, der Vorläufer der Schwulenberatung. Auch der Buchladen Prinz Eisenherz wurde 1978 im Schwuz auf den Weg gebracht, 1979 der erste Berliner Christopher Street Day und 1984 die „Siegessäule“ – das queere Stadtmagazin, das es heute noch gibt.
In den 1980er Jahren fanden auch die Tunten hier ihre Heimat: Melitta Sundström, Melitta Poppe, Chou-Chou de Briquette, BeV StroganoV und Pepsi Boston traten auf. „Bei diesen Tuntenshows war es immer brechend voll im Schwuz“, erinnert sich Kraushaar. Aids war in diesen Jahren das beherrschende Thema in der schwulen Szene; die Tunten verknüpften ihre Auftritte mit politischen Botschaften, betrieben Aids-Aufklärung, sammelten Geld für HIV-bezogene Projekte oder gründeten sie.
An Samstagen etablierten sich Disco-Abende, im Kino „Zwielicht“ wurden die Filme von Rosa von Praunheim gezeigt. Doch Ende 1986 sollte das Gewerbegebäude in der Kulmer Straße grundsaniert werden. Das Schwuz musste raus und landete nach mehrmonatiger Schließung und intensiver Suche in der Hasenheide 54 nahe dem Südstern. Die Räume waren größer, die Musikanlage professioneller. Aus dem Schwuz wurde mehr und mehr ein etablierter Club. 1000 Menschen kamen zur Eröffnungsparty. „Schlangen an den Wochenenden gehörten jetzt dazu“, erinnert sich Kraushaar.
In der Hasenheide blieb das Schwuz acht Jahre. Weil es Probleme mit dem Vermieter gab – die Miete sollte um 70 Prozent steigen, der Mietvertrag nur um ein Jahr verlängert werden – zog das Schwuz 1995 in neue Räume am Mehringdamm. Ein Kellerlabyrinth, in dem sich die Besucher:innen zwischen diversen Theken und Tanzflächen schnell verirren konnten. Mottopartys zwischen Schlager und Pop wurden mehr und mehr zum Kerngeschäft, eigene Partyreihen entstanden.
Weil die Räumlichkeiten zu klein wurden und es Streit mit dem Café Melitta Sundström gab, durch das die Besucher:innen gehen mussten, um ins den Club zu gelangen, zog dieser 2013 an den heutigen Standort in der ehemalige Kindl-Brauerei in Neukölln. Der Club ist nun deutlich größer und mondäner – Lagerhallenoptik und Industriecharme statt Kellerlabyrinth. Bis zu 1500 Menschen feiern hier etwa an den Samstagen, etwa wenn Jurassica Parker zu ihrer legendären „Popkicker“-Party ruft oder die „Madonnamania“ stattfindet, die es seit mehr als 20 Jahren gibt.
Partys, ob Pop, Schlager oder Elektro, sind das Kerngeschäft. Doch auch queere Kultur hat ihren Platz. Seit einem Jahr gibt es die Pepsi Boston Bar, die immer mittwochs bis samstags ab 19 Uhr geöffnet ist. Der Eintritt ist frei, und wer bis 22.30 Uhr kommt, kann später bei den Partys kostenlos weiterfeiern. Ein Treffpunkt, der an die Anfänge des Schwuz in Schöneberg erinnert.
In der Pepsi Boston Bar finden Dragshows, Lesungen, Diskussionen oder die FLINTA*-Bar Night statt – ein Angebot speziell für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen. Denn längst ist das Schwuz nicht mehr nur für homosexuelle Männer, sondern versteht sich als Ort für alle Farben des Regenbogens. „Publikum und Team sind deutlich diverser geworden“, sagt Schwuz-Geschäftsführer Marcel Weber.
130 Menschen arbeiten mittlerweile im Club, mehr als 300 Veranstaltungen gibt es pro Jahr. Und das Programm wird ständig weiterentwickelt. Seit kurzem gibt es eine neue Musikanlage und auch für das nächste Jahr hat sich das Schwuz einiges vorgenommen. „Für unsere Stammgäste wird es im neuen Jahr ein günstiges Monatsabo geben“, sagt Weber. 29 Euro soll es kosten und jederzeit kündbar sein.
Genau solche Veränderungen seien der Grund dafür, dass das Schwuz seit 45 Jahren erfolgreich sei, sagt Elmar Kraushaar: „Das Schwuz hat sich immer wieder neu erfunden, ist mit dem Zeitgeist gegangen und war manchmal auch seiner Zeit voraus. Und es ist immer ein junger Laden geblieben.“
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