zum Hauptinhalt

Kultur: Leisegangs Lächeln

Sommerende mit Keimzeit im Lindenpark: Gar nicht so traurig wie auf Platte, und auch ohne das absolute Gehör ein besonderer Genuss

Sommerende mit Keimzeit im Lindenpark: Gar nicht so traurig wie auf Platte, und auch ohne das absolute Gehör ein besonderer Genuss Norberts Lächeln ist bedeutungsvoll. Das Lächeln von Norbert Leisegang, Sänger und Texter der Band Keimzeit, wirkt wie ein krasser Gegensatz zu seiner ausgesprochen melancholisch-brüchigen Stimme und den Texten der aktuellen CD „1000 Leute wie ich“. Vielleicht lächelt er deshalb nur in den Pausen zwischen den Liedern, so als wolle sagen: Es ist alles nicht so traurig, wie ich es singe. Traurig war das Keimzeit-Open-Air-Konzert am Sonnabend im Lindenpark auf gar keinen Fall. Es war eher wie ein Abschiedsfest für den Sommer. Etwa 1500 Keimzeit-Fans fanden sich ein und die meisten hatten vorsorglich an Regenkleidung gedacht. Während des Auftritts der Vorband Kensington Road schauerte es zwar ein wenig, doch die junge Berliner Band hatten noch genügend Sonne im Gemüt, die sie mit sichtlicher Spielfreude und im Stil von Coldplay auf das Publikum übertrugen. Mit seinen blonden kurzen Haaren sieht Tomek nicht nur so aus wie der kleinere Bruder von Norbert Leisegang, er hat die gleiche Art mit dem Publikum zu kommunizieren. „Wir haben in den letzten drei Wochen nicht geprobt“, sagte er, als er den Abschluss-Break eines Songs versaute. „Aber wir freuen uns, zusammen auf dieser Bühne Spaß zu haben“. Dass es bei all der angestrebten Perfektion noch Musiker mit Spaß an der Freude gibt, machte den Auftritt von Keimzeit zu einem ganz besonderen Genuss. Das Stimmen der Gitarren moderierte der Keimzeit-Sänger mit: „Manche haben ja das absolute Gehör. Ich nicht, aber das ist mir egal!“ Das Publikum lachte, Leisegang grinste. Zurück zum Ende des Sommers. Obwohl Keimzeit eine Jahres-Tournee hinter sich hat und bereits die nächste zusammen mit City für Dezember 2003 ansteht, sah Norbert Leisegang sehr erholt aus. Im weißen Hemd, dass seine schlanke Figur betonte, und mit leichter Sommerbräune im Gesicht betrat er die Bühne und lud zunächst zu einem Rückblick auf diesen Sommer ein. „Hat sich jemand verliebt?“, fragte er lächelnd ins Publikum und bekam sogar lauthals Antwort. Dann erst entführte Keimzeit zu einer erneuten Urlaubsreise, die gleichzeitig eine Rückschau in das musikalische Schaffen der Band war. Von „Hofnarr“ bis „Kling Klang“ spielten sie alle Hits im Wechsel mit den mehr kopflastigen Songs der aktuellen CD. Auf „Kling Klang“ folgte eine sehr eigenwillige Version von Gilbert Bécauds Chanson „Natalie“, mit dem das konzentrierte Zuhören ein Ende hatte und das Publikum tanzend feierte. Wieder wurde deutlich, dass Spaß an Musik nichts mit Perfektion zu tun hat. „Entschuldigt, dass ich den Text vergaß, aber ich musste der Balalaika lauschen“, sagte der Sänger, diesmal losgelöst lachend und das Publikum lachte mit. Norbert Leisegangs Lächeln wirkte ansteckend, weil der Sänger Lebensfreude versprühte, die in der aktuellen CD so nicht mehr spürbar wird. Es wäre schön, wenn Keimzeit wieder zu den positiven Kling-Klang-Botschaften ihrer Musik zurück finden könnte. Karsten Sawalski

Karsten Sawalski

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false