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Auch die Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen.

© dpa / Federico Gambarini

Update

Chronik der Räumung: Die Zeit von Lützerath läuft ab – und das schneller als gedacht

Großes Polizeiaufgebot, Einsatz auch in der Dunkelheit: Die Räumung von Lützerath geht zügig voran. Statt um Wochen, könnte es sich um Tage handeln.

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Kurz bevor die Spezialkräfte der Polizei über eine Leiter auf den Bretterverschlag auf Stelzen klettern, erklärt eine Aktivistin, worum es hier eigentlich geht. „Hier entscheidet sich der Kampf gegen den Klimawandel“, sagt die Frau, die nicht erkannt werden will.

In gut 2,5 Metern Höhe steht sie mit weißem Ganzkörperanzug und FFP2-Maske auf der „Fahrradwerkstatt“, wie die Klimaschutzaktivisten das hölzerne Stelzenhaus nennen und beobachtet, wie die Polizei am Boden den Kreis um sie und ihre sechs Mitstreiter schließt. „Ich bin schon ein bisschen angespannt“, sagt sie, dann verbarrikadiert sie sich zwischen Dielenbrettern und Planen. Bereit für ihre letzte Störaktion in Lützerath.

Lützerath, der verlassene Weiler an der Abbruchkante zum Braunkohletagebau Garzweiler hat in diesen Tagen für viele Menschen eine enorme Bedeutung bekommen. Für die Polizei, die auch am zweiten Räumungstag mit mehr als 1000 Einsatzkräften vor Ort ist, bleibt es ein schwieriger und hochkomplexer Einsatz.

Am dritten Tag legt sie einen Fokus auf Aktivisten, die sich in unterirdischen Gängen verschanzt haben. „Wir wissen nicht, wie stabil diese unterirdischen Bodenstrukturen sind. Wir wissen auch nicht, wie die Luftzufuhr dort ist“, sagte der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach am Donnerstagabend im WDR. Entsprechend gefährlich sei die Situation.

Hier sehen Sie ein Video von Tagesspiegel-Reporter Felix Hackenbruch zur aktuellen Situation in Lützerath:

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Für die Klimabewegung ist der Ort zum Symbol einer gescheiterten Energiepolitik geworden, mit der Deutschland auf dem Weg ist, das 1,5 Grad-Ziel zu verfehlen. Klimaaktivistin Luisa Neubauer spricht gar vom „Epizentrum des globalen Kampfes für Klimagerechtigkeit“. Für die Aktivistin, die sich am Donnerstag im Stelzenhaus vor der Polizei versteckt, ist Lützerath ein zuhause geworden.

Doch eine Zukunft wird das kleine Dorf nicht haben. Für den Energiekonzern RWE, dem das Gelände gehört und der an die Millionen Tonnen Braunkohle heranwill, ist Lützerath seit Mittwoch kein Dorf mehr, sondern Betriebsgelände.

Einen langen Zaun hat das Unternehmen um das kleine Dorf gezogen. Rein kommen nur noch Polizei, Sanitäter und Presse, nach draußen werden Person für Person die Klimaaktivisten gebracht.

Die Polizei räumte auch die Baumhäuser, die von Aktivisten errichtet wurden.

© AFP/INA FASSBENDER

Doch am Donnerstag verzögert sich der Einsatz. Das schlechte Wetter macht den Einsatzkräften zu schaffen. Fast ununterbrochen regnet es, knöcheltief ist der Matsch. Als noch problematischer erweisen sich die Sturmböen, die die Höhenrettung der Polizei aus den Baumhäusern zu einem gefährlichen Unterfangen machen.

Das geht deutlich schneller, als wir es uns erhofft haben

Mara Sauer von der Initiative „Lützerath lebt“ über die Räumung

Akribisch, aber unaufhaltsam gehen die Behörden vor. Über Hebebühnen und mit Kräne versuchen sie die Aktivisten aus den Bäumen zu holen. Sobald ein Baumhaus geleert ist, wird es von Mitarbeitern von RWE mit Baggern und Kettensägen zerstört. Im Akkord verladen Schaufeltraktoren die Trümmer des Protestcamps.

„Das geht deutlich schneller, als wir es uns erhofft haben“, sagt Mara Sauer von der Initiative „Lützerath lebt“. Sie kritisiert das massive Polizeiaufgebot und, dass auch in der Dunkelheit noch Bäume gefällt und besetzte Höfe geräumt wurden.

„Hier geht es nicht um Sicherheit, sondern nur um Schnelligkeit“, sagte Sauer, die seit eineinhalb Jahren in Lützerath lebt. Das solidarische Zusammenleben im Protestcamp habe ihr gezeigt, dass es Alternativen zum kapitalistischen System gebe, sagt sie während hinter ihr eine alte Eiche gefällt wird.

Ein paar Meter weiter steht die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger und beobachtet, wie die Polizei in das Gehöft Paula vorrückt. Die Präsenz und Geschwindigkeit der Polizei überrascht auch die frühere Klimaaktivistin: „Es ist wohl nur noch eine Sache von Tagen“, sagt sie und blickt auf das Scheunendach.

Mehrere Aktivisten kauern dort im Regen. Aus dem Gebäude war die Polizei am Morgen immer wieder mit Pyrotechnik und Steinen beworfen worden. Eine Polizistin sei dadurch am Bein verletzt worden, ein anderer habe ein Knalltrauma erlitten, teilte die Polizei Aachen am Abend mit.

Ansonsten bleibt es aber auch am Donnerstag überwiegend friedlich, auch bei einem Protestmarsch außerhalb von Lützerath mit rund 800 Teilnehmern, darunter Luisa Neubauer, kommt es nur zu kleineren Rangeleien und Sitzblockaden. Kurz nachdem die Polizei die „Fahrradwerkstatt“ im Protestcamp erklommen hat, schleifen sie auch die unbekannte Klimaschützerin nach draußen.

Ein Beamter wirft ihren Rucksack in den Schlamm, doch die Frau bleibt stoisch in ihrer Blockadehaltung. „Du bist nicht allein“, rufen Aktivisten aus anderen Baumhäusern. Dann hieven mehrere Polizisten die Frau nach unten und tragen sie weg. Wieder ein Hindernis weniger. In Tunneln sollen sich noch Aktivisten verstecken, ein paar letzte Gebäude sind noch besetzt, doch auch sie werden die Polizei wohl nicht lange aufhalten. Die Zeit von Lützerath läuft ab.

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